Mit der fünften Staffel endet die Geschichte von Joe Goldberg, Serienmörder, Romantiker und Antiheld in Personalunion. Netflix bringt die Thriller-Serie zu einem runden Abschluss und führt die Erzählung zurück an den Ort, an dem alles begann: New York City.
Drei Jahre sind vergangen, seit Joe mit Kate Lockwood London verlassen hat. Inzwischen ist Kate CEO der mächtigen Lockwood Corporation, während Joe ein öffentlich gefeierter Ehemann ist, charmant, smart, scheinbar geläutert. Doch wer Joe Goldberg über vier Staffeln hinweg begleitet hat, weiß: Ein neues Leben bedeutet bei ihm nie ein endgültiges Ende alter Muster.
Der Schauplatzwechsel zurück nach New York ist mehr als eine nostalgische Geste. Die Stadt fungiert als Spiegelbild für Joes inneren Zustand, pulsierend, widersprüchlich, voller Schatten. Die Serie greift dabei den Bogen zur ersten Staffel auf und verleiht dem Finale eine dramaturgische Geschlossenheit, die vielen Serien fehlt.
Zwischen Schein und Abgrund: Joe als Promi
Neu ist Joes Status in der Öffentlichkeit. Anders als in den früheren Staffeln lebt er nicht länger im Verborgenen. Als „Prince Charming“ einer milliardenschweren Unternehmerin steht er im Rampenlicht, umgeben von Kameras und Sozialen Medien. Die Autoren spielen geschickt mit dieser neuen Dynamik. Anonymität war stets Joes Waffe, jetzt wird sie ihm zum Verhängnis.
Diese mediale Sichtbarkeit macht das Spiel mit Identität, Manipulation und Schuld noch komplexer. Die Fassade des gebändigten Familienvaters bröckelt schnell, als eine junge Frau, Bronte, gespielt von Madeline Brewer, in sein Leben tritt und alte Sehnsüchte weckt. Parallel dazu werfen Kates Geschwister ihren eigenen Schatten auf das scheinbar perfekte Leben des Paars.
Die inneren Kämpfe eines Antihelden
„You“ war von Beginn an eine Studie über Obsession, Macht und die Unfähigkeit zur Selbstreflexion. Staffel 5 verdichtet diese Themen zur finalen Abrechnung. Joe ist nicht mehr der naive Buchhändler von damals, aber auch kein rehabilitierter Mensch. Vielmehr ist er ein Mann zwischen zwei Versionen seiner selbst, der alten, getrieben von Gier und Gewalt, und der neuen, kontrollierten, aber hohlen Existenz.
Die Staffel verzichtet weitgehend auf neue Spielereien im Plot und fokussiert sich stattdessen auf Charaktertiefe. Dabei bleibt sie der DNA der Serie treu, psychologische Spannung, ironisch gebrochene Erzählung und eine Hauptfigur, die man gleichzeitig verachtet und mit der man sympathisiert.
Neue Gesichter, bekannte Muster
Neben Madeline Brewer als Bronte bringt die fünfte Staffel weitere interessante Figuren ins Spiel: Griffin Matthews als Kates Bruder Teddy Lockwood, Anna Camp in einer Doppelrolle als Raegan und Maddie Lockwood sowie Nava Mau als Ermittlerin Detective Marquez. Alle spielen ihre Rollen überzeugend, wirken aber wie Satelliten um die Hauptfigur Joe. Kaum eine Nebenfigur durchbricht seine narrative Dominanz.
Diese Ausrichtung stärkt zwar die innere Logik der Serie, lässt aber gelegentlich Tiefe im Ensemble vermissen. Während frühere Staffeln durch komplexe Nebencharaktere punkteten, ist die letzte Staffel stärker auf Joe fixiert, ein bewusster, aber auch risikobehafteter erzählerischer Schritt.
Produktion, Übergabe und Abschied
Hinter den Kulissen markiert Staffel 5 ebenfalls einen Einschnitt. Serienschöpferin Sera Gamble zog sich aus dem operativen Showrunning zurück. Ihre Nachfolger Michael Foley und Justin W. Lo, langjährige Mitglieder des Writer’s Room, übernahmen die kreative Leitung und bringen die Geschichte stimmig zu Ende.
Laut eigenen Aussagen war die Rückkehr nach New York nicht nur dramaturgisch sinnvoll, sondern auch eine persönliche Entscheidung. „Wir wollten Joe dorthin zurückbringen, wo alles begann, aber ihn als veränderten Menschen zeigen.“ Genau darin liegt die Stärke der Staffel. Sie balanciert Vergangenheit und Gegenwart, Wahnsinn und Normalität, Täuschung und Selbsterkenntnis.
Ein Serienfinale, das seinem Protagonisten gerecht wird
Die fünfte Staffel von „You“ ist kein lautes Finale, sondern ein leises, unheilvolles Ausklingen einer Serie, die nie nur Thriller, sondern auch Charakterstudie war. Die Macher liefern keine großen Twists oder Actionszenen, sondern ein psychologisch dichtes Porträt eines Mannes, der sich selbst nicht entkommen kann.
Ob Joe Goldberg am Ende seiner Reise Erlösung findet oder untergeht, sei hier nicht verraten. Sicher ist nur: „You“ verabschiedet sich mit jener verstörenden Ambivalenz, die die Serie von Anfang an ausgezeichnet hat.
Über „You“
„You“ basiert auf den Romanen von Caroline Kepnes und wurde seit der ersten Staffel auf Netflix schnell zum Publikumsliebling. Ursprünglich für den US-Sender Lifetime produziert, erlangte die Serie auf der Streaming-Plattform internationale Bekanntheit. Die Zuschauerzahlen wuchsen mit jeder Staffel, die Diskussionen über toxische Männlichkeit, voyeuristische Erzählweisen und moralische Ambivalenz begleiteten den Erfolg.
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