Viele ältere Musikfans beschweren sich über die Musik von heute. Aber auch unsere Eltern haben sich über unsere Musik beschwert. Über die Gründe, warum wir musikalisch irgendwann den Anschluss verlieren.
Menschen, die wir wir in den 80er und 90er Jahren angefangen haben Musik zu hören, hatten das Glück, gleich mehrere musikalische Revolutionen zu erleben: Punk brachte Post-Punk, New Wave und Grunge hervor. Die elektronische Musik ermöglichte eine neue Form der Clubkultur, aus den USA schwappte HipHop zu uns herüber und formte eine ganz neue Jugendkultur.
Gegen unsere alten Helden klingt neue Musik heute ziemlich langweilig. Oder sind wir einfach nur alt geworden? Fanden unsere Eltern unsere Musik nicht auch total Scheiße im Vergleich zu ihren geliebten Beatles und Stones?
Eine Studie eines Streaminganbieters stellte 2018 fest, dass die meisten Menschen ab 30 sich kaum noch auf neue Musik einlassen und stattdessen bei der prägenden Musik ihrer Jugend bleiben. Deshalb haben es neue Künstler besonders schwer, vor allem, wenn ihre Musik keine Teenager ansprechen, sondern erwachsene Menschen.
Es gibt so einen Punkt im Leben, an dem wir uns mit der Musik gemütlich einrichten, die wir aus Jugendtagen kennen. AC/DC, die Rolling Stones und U2 füllen seit Jahrzehnten immer wieder die Stadien, während neue Bands eher die zweite Reihe auf Festivals bekommen. Jede Generation hat ihre eigene Musik. Die Übergänge sind zwar fließend und besonders Musikbegeisterte interessieren sich selbstverständlich für Musik aus allen Jahrzehnten, doch der Großteil der „Normalhörer“ bleibt beim Altbewährten und hält „ihre Musik“ für das Nonplusultra und alles andere für schlecht.
60er und 70er: Boomer und die Macht des Rock’n’Roll
Die Babyboomer, aufgewachsen in den 60ern und 70ern, erlebten eine kulturelle Revolution. Die Beatles, Rolling Stones, Led Zeppelin und Pink Floyd waren international die Giganten dieser Ära und brachten die damalige Jugend dazu, sich gegen das Establishment aufzulehnen. In Deutschland drückten Künstler wie Udo Lindenberg, der als erster deutscher Rocker bekannt wurde, und Ton Steine Scherben mit Frontmann Rio Reiser das Lebensgefühl und den politischen Aufbruch dieser Generation aus und Punk war der Endpunkt dieser Rebellion.
Viele Boomer kehren heute noch zu diesen Hymnen der Freiheit und Rebellion zurück – zu einer Zeit, die sie als ihren persönlichen Höhepunkt erleben, einer Zeit in der sie sich das erste Mal verliebt oder Drogen genommen haben und als die Welt ganz weit offen stand. Die Musik ist ein Soundtrack dieser Zeit.
80er und 90er: Gen X und die Blütezeit der Popkultur
In den 80ern und 90ern erlebte die Gen X den großen Aufstieg von Synth-Pop, Grunge und Hip-Hop. In Deutschland wurde deutschsprachige Popmusik mit der Neuen Deutschen Welle mehrheitsfähig und war damals noch aufmüpfig und unangepasst. Künstler wie Depeche Mode, The Cure, Prince und Madonna dominierten die Pop- und Alternative-Szene, während in den 90ern Bands wie Nirvana, Pearl Jam und R.E.M. das Lebensgefühl vieler Jugendlicher prägten. Die deutsche Musikszene brachte Acts wie Die Ärzte und Die Toten Hosen hervor, die mit punkigen Klängen und lustigen Texten junge Fans eroberten, und Herbert Grönemeyer, der mit Hits wie „Bochum“ und „Männer“ die deutsche Popkultur neu definierte.
Die CD läutete das Goldene Zeitalter der Musikbranche ein und sorgte für Rekordumsätze. Auch der frühe Hip-Hop kam mit den Fantastischen Vier endgültig in Deutschland an – und blieb. Die Band feiert gerade ihr 35. Jubiläum mit einem neuen Album. Und die Loveparade machte Techno und House zum Mainstream. Keine Generation hat mehr völlig verschiedene Musikstile hervorgebracht.
00er und 10er: Millennials und die digitale Revolution
Für Millennials, die in den 2000ern und frühen 2010ern sozialisiert wurden, war Musik erstmal digital verfügbar. Mit der Jahrtausendwende kamen MP3s, iTunes, Tonspion wurde als weltweit erster MP3 Blog bekannt und füllte das Vakuum im Netz bevor Streamingdienste wie Spotify das Musikgeschäft neu erfanden. Und zwar so dass bei den einzelnen Künstlern aufgrund der unendlichen Masse verfügbarer Musik kaum noch Geld zum Leben blieb.
Plötzlich hatte man dadurch Zugriff auf jegliche jemals aufgenommene Musik. Alle hörten was anderes. Künstler wie Beyoncé, Lady Gaga und Rihanna dominierten die Pop-Charts, doch auch Indie und Elektro feierten in den Clubs Durchbruch. Doch die meisten Bands sind heute längst wieder vergessen, weil der große Durchbruch und eine langfristige Karriere im digitalen Zeitalter fast unmöglich geworden war. Es gab plötzlich viel zu viel Musik, immer und überall. Millennials sind die erste Generation, für die Musik und Technologie eng verbunden sind – was sie aber nicht weniger nostalgisch macht. Viele kehren gern zu den Sounds dieser Zeit zurück und trauern bereits heute ihrer großen wilden Zeit nach.
Die Gegenwart: Gen Z und die Welt nach den Genres
Die Gen Z scheint sich in einer Welt ganz ohne Genre-Grenzen zu bewegen. Plattformen wie TikTok machen Musiktrends zu schnellen, oft kurzlebigen Hypes. Stars wie Billie Eilish, Lil Nas X, Charli XCX oder Doja Cat zeigen, wie sich Musik frei von Schubladen entwickeln kann.
Musik wird heute in erster Linie über Social Media populär. Neue „Künstler“ kommen oft aus dem Nichts und werden häufig anhand der reinen Followerzahlen vermarktet. Dass musikalische Qualität hier nur noch ein kleiner Nebenaspekt ist, ist dieser Logik geschuldet. Für Gen Z ist Musik flexibler – doch die Frage bleibt: Werden sie mit 30 noch immer auf TikTok nach neuen Sounds suchen? Die Studie zeigt: Eher nicht. Auch die Jüngsten könnten bald beim Sound ihrer Jugend landen, sofern sie damit etwas Gutes verbinden. Ob sie allerdings wirklich die Musik der singenden Influencer mit der gleichen Leidenschaft, mit der wir heute immer noch The Cure oder Depeche Mode, hören werden? In die großen Stadien schaffen es jedenfalls nur weniger dieser kurzlebigen Social-Media-Phänomene, die mit Mitte 20 manchmal schon Millionen gescheffelt haben und sich nach Dubai absetzen können statt durch die Welt zu touren wie die alten Bands. Aus gutem Grund gibt es heute keine großen neuen Bands mehr: sich über die kleinen ranzigen Clubs ganz nach oben in die erste Liga zu spielen, ist heute fast unmöglich geworden. Und demnächst werden wir es wohl auch zunehmend mit KI-generierten Künstlern zu tun bekommen, die als Marionetten der Musikindustrie designt werden können und ansonsten keine Ansprüche stellen.
Heute spielen im Musikgeschäft ganz andere Faktoren eine Rolle, als Musikalität oder gute Texte. Selbst musikalisch extrem offene Musikredakteure haben den Anschluss an die Musik der Gen Z komplett verloren. Das liegt zwar auch, aber nicht nur an der Musik. Sondern an unserer Natur.
Warum bleibt man immer beim Sound der eigenen Jugend?
Laut der Studie entdecken die meisten Menschen bis zum Alter von 24 am eifrigsten neue Songs, im Schnitt zehn pro Woche. Doch ab 30, so die Statistik, flaut diese Neugier ab. Zwischen Job, Familie und To-do-Listen bleibt zu wenig Zeit oder Energie für Neuentdeckungen. Stattdessen greifen 60 Prozent lieber auf Altbewährtes zurück und fühlen sich in einem „musikalischen Trott“ gefangen. Gleichzeitig hätten 47 Prozent eigentlich Lust, mehr neue Musik zu hören – es fehlt ihnen aber schlicht die Zeit. Ein Viertel der Befragten ist hingegen ehrlich: Neue Musik? Nein, danke.
Die musikalische Erstarrung der Festivals: Warum die alten Helden immer bleiben
Wenn es stimmt, dass die meisten ab 30 beim Sound ihrer Jugend bleiben, erklärt das auch die Festival-Line-ups. Die Acts, die hier regelmäßig ganz oben stehen – Metallica, Foo Fighters, Red Hot Chili Peppers – ziehen die Generationen an, die das nötige Kleingeld haben. Denn für ältere Fans ist das Line-up ideal, während jüngere Künstler oft nur in den frühen Slots auftreten. Das erklärt auch, warum die Headliner in der Regel männlich und weiß sind – immerhin dominiert(e) dieser Stil die Jugend vieler Boomer und Gen-Xer.
Jüngere, diversere Künstler ziehen jüngere Fans an, die sich heute aber schlicht keine großen Festivals mehr leisten können. Und vielleicht auch gar nicht dafür interessieren. Die Generationen, die sich heute die Festival-Tickets leisten können, wollen offenbar nur die alten Helden sehen, die es heute aber nur noch zu extrem hohen Preisen zu sehen gibt.
Festivals die nicht die großen alten Namen buchen, können sich auf Social Media regelmäßig auf einen Shitstorm der Nostalgie-Fans einstellen, die beklagen, warum man nicht den jeweils eigenen Lieblingsact von vor 30 Jahren gebucht habe. Fan kommt von Fanatiker und das kann manchmal ganz schön beschränkt sein. In der Folge haben bereits viele Festivals aufgegeben, die in diesem Spiel um die ganz großen Namen nicht mehr mithalten können. Und auch die ganz Großen werden wohl nicht mehr lange solche „alten“-Line-Ups liefern können. Dabei gäbe es so viel Neues zu entdecken.
Nostalgie schlägt neue Musik
Warum Neues entdecken, wenn das Alte sich so vertraut anfühlt? Es ist eben schwer, aus der musikalischen Komfortzone auszubrechen. Auch, wenn uns alle Algorithmen der Welt dabei helfen könnten, neue Musik zu entdecken, dominiert überall die glückselige Nostalgie.
Aber wir sollten uns selbst nicht so beschränken: noch heute wird jede Woche unfassbar gute Musik veröffentlicht. Zwar ist sie nicht mehr auf großen Musiksendern zu hören und es gibt auch keine großen Musikmagazin mehr, um den neuen Scheiß kennenzulernen. Aber noch nie war es einfacher, neue Musik zu entdecken, als heute. Man muss sich einfach ein bisschen damit beschäftigen.
Und wer wirklich gar keine Zeit hat, dem helfen wir mit unseren Spotify Playlisten gerne dabei.