Hohen Erwartungen begegnet Trettmann mit frischen Ideen. Für den Nachfolger zum gefeierten „#DIY“ hat er sich zusammen mit KitschKrieg musikalisch neu orientiert.
Hätte Trettmann ein zweites „#DIY“ aufgenommen, Kritiker und Fans hätten erneut zu Lobeshymnen angesetzt. Doch der Musiker hat sich dagegen entschieden und stattdessen ein Album produziert, das seinen aktuellen Lifestyle verarbeitet. Dass das weniger nach West Indies und viel mehr nach Rave-Kultur klingt, ist mutig und erfrischend zugleich.
Auf Elektropartys soll sich der Wahl-Leipziger zuletzt wohler gefühlt haben. Die Einflüsse, die er daraus gezogen hat, beschränken sich aber nicht nur auf Rave-Rhythmen. Trettmann lässt die Zuhörer auch an seinem Liebesleben teilhaben, das durch die Anonymität der großstädtischen Feierkultur an Spannung gewinnt. Von der kurzlebigen Romanze („Retro Shirt“) bis zur schwierigen Trennung („Bye Bye aka Delicious“) bleibt keine Schattierung der romantischen Poesie ungenutzt.
Video: Trettmann – Intro
„Kein Sprint, das ist ein Marathon“, heißt es im „Intro“. Trettmann und sein KitschKrieg-Team haben sich mit ihrer EP-Trilogie von 2016 einen Namen für hochwertige Produktionen gemacht. Bis sich die Qualität der Instrumentals herumsprach, mussten sie allerdings reichlich Überzeugungsarbeit leisten. Unbeirrt lassen sie auch auf „Trettmann“ ihrem künstlerischen Anspruch freien Lauf. Statt mit aufpolierten Beats, die keine Minute zum Luftholen lassen, spielen KitschKrieg mit Minimalismus.
Simple Pianomelodien und ein dezenter Autotune-Einsatz befeuern die melancholische Stimmung, die der 45-Jährige mit reifen Worten erzeugt. Die Gastsängerinnen Alli Neumann und KeKe dienen als weitere Klangelemente, die sich den Songs unterordnen. „Trettmann“ ist Tanzmusik, die auch im Sitzen funktioniert. Nur selten spielt sich die Musik wie in „Zeit steht“ in einen poppigen EDM-Rausch.
Video: Trettmann – Stolpersteine
Mit „Stolpersteine“ befindet sich ein ungewöhnlicher Höhepunkt auf „Trettmann“. Der Song erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus, verzichtet aber auf kalkulierte Rührseligkeit. Stattdessen berührt er mit einem einfallsreichen Konzept, das die heutigen Gefahren der erstarkten Rechte noch bedrohlicher wirken lässt. Da verzichten Trettmann und Co zu Beginn des Liedes auch auf den vollständigen „KitschKrieg“-Drop und beschränken sich auf „Kitsch“.
„Es war David gegen Goliath / Alle gönnen mir, dass ich gewonnen hab'“, fasst es Trettmann im Intro zusammen. Daran ändert sich auch mit seinem zweiten Album in der KitschKrieg-Ära nichts. Wer sich auf ein verändertes Klangbild einlässt, wird die gleichen Glücksgefühle wie mit „#DIY“ erleben. Das schmälert auch ein zeitlich ungünstig angefragtes Gzuz-Feature nicht.
Video: Trettmann feat. Alli Neumann – Zeit steht