ALBUM DER WOCHE – Mit ihrem sechsten Album „Night Life“ kehren The Horrors in jene Schattenwelt zurück, aus der sie einst gekommen sind. Das neue Line-up bringt frischen Wind, aber der Sound bleibt unverkennbar: finster, intensiv und elektrisierend.
Seit ihrem Debütalbum „Strange House“ von 2008 haftet The Horrors der Ruf eines Nachschattengewächses an. Doch wo frühere Alben wie „V“ auf schimmernden Synthpop setzten, dominieren nun düstere Basslines, verzerrte Elektronik und industrielle Härte. „Night Life“ ist ihr kompromisslosestes Album seit „Primary Colours“, zugleich aber auch eines der vielschichtigsten und eingängisten.
Gleich der Opener „Ariel“ zeigt, wohin die Reise geht: Fünf Minuten dichte Atmosphäre, zwischen Ambient und düsteren Pop-Strukturen, die sich langsam zu einem brodelnden elektronischen Finale aufbauen.
„Trial By Fire“ hingegen zitiert mit seinem treibenden Beat und aggressiven Sound deutlich Nine Inch Nails, während „Lotus Eater“ mit pulsierenden Rhythmen und düsterer Club-Energie an Depeche Mode erinnert – nur rauer, ungeschliffener.
Mit der neuen Keyboarderin Amelia Webb (The Ninth Wave) bringt die Band zudem eine anthemhafte Note ein, wie in „More Than Life“, das trotz seiner Eingängigkeit nie die dunkle Grundstimmung verlässt. Faris Badwan bleibt der Mittelpunkt: Seine Stimme wechselt zwischen zurückhaltender Melancholie und bedrohlicher Präsenz, seine Texte kreisen um Chaos, Gewalt und Entfremdung – Themen, die in Zeiten globaler Krisen aktueller denn je wirken.
Das emotionale Zentrum des Albums ist „The Silence That Remains“. Eine beklemmende Reflexion über das Warten auf schlechte Nachrichten, über Verlust und Isolation. Badwans palästinensische Wurzeln schwingen unüberhörbar mit, und es fällt schwer, diesen Song nicht als Reaktion auf den Nahostkonflikt zu verstehen. Doch statt politischer Parolen setzt die Band auf Atmosphäre, auf das Gefühl der Ohnmacht und des Verstummens in einer lauten Welt.
„Night Life“ ist ein melancholisches, aber nicht hoffnungsloses Album und steht damit in engerer Verwandtschaft zum letzten Album von The Cure „Songs Of A Lost World“. Ein Werk, das nicht nur zurückblickt, sondern weiterführt, was sie vor 20 Jahren begonnen haben: Musik zu schaffen, die mehr ist als Genre und Attitüde – ein Soundtrack für die Nacht.
Biografie The Horrors
The Horrors gründeten sich 2005 im englischen Southend-on-Sea und machten zunächst als exzentrische Gothic-Garagenband von sich reden. Ihr Debüt „Strange House“ (2007) war ein wilder Mix aus Horror-Punk, 60s Garage und The Cramps-Attitüde. Doch mit dem zweiten Album „Primary Colours“ (2009) vollzog die Band einen radikalen Stilwechsel und stieg mit einem düsteren Mix aus Post-Punk, Shoegaze und Krautrock zur Kritikerliebling auf. Produziert wurde das Album von Geoff Barrow (Portishead), es brachte The Horrors den endgültigen Durchbruch.
In den folgenden Jahren erweiterten sie ihren Sound um elektronische Elemente, ohne dabei ihre düstere Grundstimmung zu verlieren. Alben wie „Skying“ (2011) oder „V“ (2017) zeigten ihre Offenheit für Experimente zwischen Indie-Rock, Psych und Synthpop. Neben ihrer Musik fiel vor allem Sänger Faris Badwan durch seine charismatische Bühnenpräsenz und Nebenprojekte wie Cat’s Eyes auf. Nach längerer Pause und personellen Veränderungen kehren The Horrors 2025 mit „Night Life“ zurück – und präsentieren sich kompromisslos wie lange nicht.
Diskografie The Horrors
- Strange House (2007)
- Primary Colours (2009)
- Skying (2011)
- Luminous (2014)
- V (2017)
- Night Life (2025)
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