Zum Inhalt springen

Spotify Wrapped und „Ghost Artists“: Wie Spotify seine Nutzer verägert

Spotify setzt offenbar verstärkt auf KI. Das war nicht nur im diesjährigen Spotify Wrapped offensichtlich, sondern auch bei Musik von so genannten „Ghost Artists“. Das sorgt für immer mehr Kritik. Ist es Zeit für einen Wechsel?

Bereits seit Jahren gibt es Berichte über sogenannte “Ghost Artists” auf Spotify, Musiker und Produzenten, die im Auftrag des Streaming-Giganten große Mengen an Musik für Playlists erstellen. Diese Inhalte, bekannt als Perfect Fit Content (PFC), sind darauf ausgelegt, Spotify geringere Lizenzkosten zu bescheren und die Gewinne zu maximieren. Ein neuer Bericht von Liz Pelly in Harper’s Magazine wirft nun ein umfassenderes Licht auf diese Praxis – und ein Buch, das sich diesem Thema widmet, soll bald erscheinen.

Mood Machine: Das Buch über Spotify und die Kosten der perfekten Playlist

Am 7. Januar 2025 erscheint Liz Pellys Buch Mood Machine: The Rise of Spotify and the Costs of the Perfect Playlist. Auf 288 Seiten beleuchtet Pelly die Entstehung und Auswirkungen des PFC-Modells sowie die enge Zusammenarbeit mit Produktionsfirmen, die die Musik liefern. Das Buch basiert auf einer über ein Jahr andauernden Recherche, einschließlich Interviews mit ehemaligen Spotify-Mitarbeitern, einer Analyse interner Dokumente und Einblicken in die Strukturen hinter den populären Playlists.

Ein zentraler Vorwurf: Spotify arbeitet gezielt mit einer kleinen Anzahl von Produktionsfirmen zusammen, um kostengünstige Musik zu erstellen, die auf beliebten Playlists platziert wird. Dabei werden gezielt Redakteure eingestellt, die das PFC-Modell unterstützen.

Enthüllungen aus Schweden

Laut Mood Machine stammen viele der PFC-Inhalte aus Schweden. Berichten zufolge ist das Unternehmen Firefly Entertainment ein zentraler Akteur, ähnlich wie Epidemic Sound, ein weiterer großer Anbieter. Schweden war in den letzten Jahren immer wieder im Fokus von Berichten über Spotify, darunter Anschuldigungen zu Geldwäsche durch Fake-Streams und die Enthüllung des schwedischen Künstlers Johan Röhr, der für über 650 Künstlerprofile und mehr als 15 Milliarden Streams verantwortlich gemacht wird.

ALBUM DES JAHRES 2024

Die 50 besten Alben des Jahres 

Auswirkungen auf Künstler und die Musikbranche

Das PFC-Modell hat erhebliche Konsequenzen für unabhängige und nicht unter Vertrag stehende Künstler. Einerseits verdrängen diese anonymen Produktionen echte Künstler von den begehrten Playlist-Plätzen, andererseits verschärfen sie die ohnehin niedrigen Auszahlungen durch den Streaming-Dienst. Spotify weist zwar darauf hin, dass keine Playlist-Platzierungen in Lizenzverträgen garantiert werden, doch Untersuchungen, darunter die der britischen Wettbewerbsbehörde CMA, deuten darauf hin, dass einige Vereinbarungen genau das sicherstellen.

KI als nächste Herausforderung

Der Blick in die Zukunft zeigt eine mögliche weitere Verschärfung: Die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) könnte die Produktion von Playlist-Inhalten noch kostengünstiger und anonymer machen. Das wäre ein weiterer Schlag für die ohnehin prekäre Position unabhängiger Musiker, die bereits mit dem aktuellen Modell zu kämpfen haben.

Einblick in die Funktionsweise des PFC-Modells

Laut Liz Pelly ist das PFC-Programm ein “komplexes internes System”, das von Spotify orchestriert wird, um massenhaft günstige Inhalte bereitzustellen. Diese werden dann gezielt auf Playlists wie Deep Focus, Ambient Relaxation oder Cocktail Jazz platziert, um die Betriebskosten zu senken.

“Für Jahre dominierten Firefly Entertainment und Epidemic Sound die Spekulationen um Spotifys Playlist-Praktiken. Aber interne Nachrichten enthüllten, dass sie nur zwei von mindestens einem Dutzend PFC-Anbietern waren,” so Pelly.

Die Zukunft der Musik auf Spotify

Die Enthüllungen rund um Ghost Artists werfen grundlegende Fragen über die ethischen und wirtschaftlichen Praktiken von Spotify auf. Während das Unternehmen seine Gewinne maximiert, könnte dies langfristig das Vertrauen in die Plattform und die Vielfalt der Musiklandschaft schädigen. Mit der Veröffentlichung von Mood Machine wird die Debatte um die Rolle von Streaming-Diensten in der Musikindustrie sicherlich weiter an Fahrt aufnehmen.

Spotify Wrapped 2024: Enttäuschung statt Euphorie

Diskussionen gibt es dieses Jahr auch um die alljährlichen Spotify Wrapped Jahresrückblicke, die für alle Nutzer individuell erstellt werden. Doch dieses Jahr ist die Stimmung getrübt:

Ein Hauptkritikpunkt ist die fehlende Detailtiefe. Früher überzeugte Wrapped mit präzisen Einblicken in das Hörverhalten. Es zeigte klar auf, welche Genres man besonders häufig gehört hat, wie viele verschiedene Genres man entdeckt hat und welche Alben das Jahr geprägt haben. 2024 dagegen fehlt von all dem jede Spur.

Garantiert ohne KI: unsere Songs des Jahres 2024

Stattdessen präsentiert Spotify seinen Nutzern kryptische und teils absurde Genre-Bezeichnungen wie „Tropical Diner Wanderlust Muchacho Jazz Fusion“. Wer erwartet hatte, in der Musikvielfalt seines Jahres einen roten Faden zu erkennen, wird hier enttäuscht. Diese Begriffe wirken beliebig – als hätte eine künstliche Intelligenz wahllos Wörter aneinandergereiht.

Die Präsentation wirkt insgesamt leblos und uninspiriert. Das, was Wrapped früher so besonders machte – seine persönliche Note und der Hauch von Humor – fehlt in diesem Jahr völlig. Statt durchdachter Geschichten und liebevoll gestalteter Visualisierungen bekommen die Nutzer eine wenig originelle, fast mechanisch wirkende Aufbereitung ihrer Daten zu sehen. Einige vermuten, dass Spotify den Rückblick zunehmend von Algorithmen und künstlicher Intelligenz erstellen lässt, doch dieser Schritt scheint dem Ergebnis eher geschadet zu haben.

Besonders schmerzlich ist auch der Verlust beliebter Features. Die in den letzten Jahren eingeführte „Musik-Aura“ und die „Musik-Persönlichkeit“, basierend auf psychologischen Modellen wie dem Meyers-Briggs-Test, fehlen komplett. Diese Elemente waren für viele ein Highlight, da sie über die reine Analyse hinausgingen und einen spielerischen Blick auf die eigene Musikauswahl ermöglichten.

Genauso vermissen Nutzer die „Sound-Town“, die das eigene Hörverhalten mit Städten weltweit verglich und damit eine kreative Verbindung zur Musikgeschichte herstellte. All diese Features machten Wrapped zu etwas Besonderem – und all das wurde in diesem Jahr gestrichen.

Viele Nutzer berichten von Ungenauigkeiten in den Ergebnissen. Songs oder Künstler, die angeblich zu den meistgehörten des Jahres zählen sollen, tauchen überraschend auf, während andere, die tatsächlich häufig gespielt wurden, fehlen. Bei uns war angeblich Taylor Swift in den Top 5 Artists, obwohl sie im Vergleich zu unseren Top Alben 2024 eigentlich gar keine Rolle spielte. Diese Diskrepanz sorgt nicht nur für Verwirrung, sondern auch für Zweifel an der Zuverlässigkeit der gesamten Analyse.

Diese Entwicklungen wecken bei vielen den Eindruck, dass Spotify zunehmend auf Masse statt Klasse setzt. Doch gerade bei Features wie Wrapped, die emotional und persönlich sein sollen, fällt diese Strategie negativ auf und zeigt, wohin die KI-Reise im nächsten Jahr geht: immer mehr Automatisierung, immer weniger musikalische Kompetenz.

Die Enttäuschung über Wrapped 2024 könnte langfristige Folgen haben. Nutzer, die sich nicht mehr wertgeschätzt fühlen, könnten sich verstärkt nach Alternativen umsehen. Apple Music beispielsweise bietet ebenfalls Jahresrückblicke an, die detailreicher und persönlicher gestaltet sind. Einige Stimmen in den sozialen Medien drohen bereits mit einem Wechsel. Ob Spotify auf diese Kritik eingehen wird, bleibt abzuwarten.

Es gibt jedenfalls viele andere Streaminganbieter, die die gleiche Musik bieten und mehr für Musikfans tun. Vielleicht ist es wirklich Zeit, sein Geld woanders auszugeben.

Schlagwörter: