Sido „ackat“ wieder: Zwei Jahre nach dem Erfolgsalbum „30-11-80“ ist der Berliner Deutschrap-Superstar zurück mit seiner sechsten Solo-Platte. Die trägt den schlichten wie sinnigen Titel „VI“ und soll beweisen, dass Siggi auch mit fast 35 noch längst nicht zum alten Eisen zählt.
Zu diesem Zweck geht es auf „VI“ weg von der teils doch etwas gefühlsduseligen Introspektive des Vorgängers, auf dem Sido ausgiebig sein neu gefundenes Familienglück mit Frau, Kind und Eigenheim zelebrierte, hin zu einer musikalischen Ausrichtung, die im Rap eigentlich immer geht und die für Traditionsbewusstsein und ‚Realness‘ steht: Boombap.
Review: Sido – „30-11-80“
Klar muss es auch auf Sidos Sechster wieder mitreißende Radio-Schmonzetten geben, wie etwa das pathetische „Astronaut“ mit Schlagerschnulzensänger Andreas Bourani oder „Zuhause ist die Welt noch in Ordnung“, das mit Gesang von Adel Tawil ein bisschen wie die ‚urbane‘ Version von ersterem wirkt.
Sido macht schon längst keinen Hehl mehr daraus, dass er es auf Stadiongröße anlegt, das unbedarfte Mainstream-Radio-Publikum will ja schließlich auch mit Hit-Futter versorgt werden – und der Neueinstieg von „Astronaut“ auf Platz 1 der deutschen Singlecharts gab Sido kürzlich mal wieder eindrucksvoll Recht.
Zum glattpolierten Popstar mutiert Sido deshalb aber glücklicherweise noch nicht. Auf dem Rest des Albums erzählt der Berliner mit seiner unverkennbaren Stimme und seinem typisch tiefenentspannten Flow ironisch-augenzwinkernde Geschichten aus den zwei Welten, in denen er sich mittlerweile bewegt.
ACT DES MONATS
Vom „Frust der Reichen“ etwa, die es gar nicht mal so leicht haben, wenn im Maybach mal wieder die Klimaanlage kaputt ist; von nervigen Fans, die ihrem Star ungefragt in unangenehmsten Situationen auf die Pelle rücken und ein „Selfie“ verlangen; oder von der eigenen Zerrissenheit zwischen altem und neuem Leben – zwischen Ghetto, für das Sido „zu nett“ ist, und Villenviertel, für das er sich „zu Straße“ fühlt.
Video: Sido feat. Dillon Cooper – „Ackan“
Mit der neuesten Auskopplung „Gürtel am Arm“ schildert Sido dann sozialkritisch-empathisch die Story des Heroinjunkies Kevin, einem der „Kinder von Christiane F.“, und wagt mit „Löwenzahn“ feat. Olexesh und „So war das“ im weisen Alter von 34 einen Blick zurück auf sein bewegtes Leben (auf einem der Songs sogar weitgehend unkitschig).
Begleitet wird der Deutschrap-Altmeister dabei neben den Genannten auf dem neuen Album auch noch von Ex-Aggro-Berlin-Wegbegleiter Tony D. sowie den Newcomern Adesse und Estikay – den ersten beiden Signings auf Sidos gerade erst gegründeten, noch namenlosen Label, wie Siggi jüngst bekanntgab.
Video: Sido – „Gürtel am Arm“
Die 17 Songs sind größtenteils dicht und üppig produziert, die teuren Produktionen soll man halt schon hören. Tut man auch, und der Bombast und die dynamisch bouncenden Beats machen Spaß – ebenso wie Sidos Texte.
„VI“ mag kein Meilenstein für den Deutschrap sein, wohl aber für Paul Würdig alias Sido, der damit unmissverständlich klar macht, dass er auch nach satten 18 Jahren im Game noch nicht müde ist. „Komm zünde deine Fackeln an und mach‘ die Hände hoch für den Maskenmann“, rappt er schon im Opener „Für ewig“; „Ich hab‘ vielleicht nicht alle Tassen im Schrank, aber ich bin der, auf den du dich verlassen kannst.“ Wissen wir, Sido. Wissen wir.
Video: Sido feat. Olexesh – „Löwenzahn“
Tracklist Sido – VI
01. Intro
02. Für Ewig
03. Löwenzahn (feat. Olexesh)
04. Vom Frust der Reichen
05. Astronaut (feat. Andreas Bourani)
06. Ackan (feat. Dillon Cooper)
07. Zu Wahr
08. Knochen und Fleisch
09. Gürtel am Arm
10. Zuhause ist die Welt noch in Ordnung (feat. Adel Tawil)
11. Selfie
12. So war das
13. Entspannt (feat. Tony D)
14. Zu Strasse
15. Eier
16. Kreuzreim Skit
17. BumBidiByeBye (feat. Adesse)
Biografie Sido
Sido, bürgerlich Paul Hartmut „Siggi“ Würdig, wurde am 30. November 1980 in Ost-Berlin geboren. Er ist ein deutscher Rapper, Musikproduzent, Songwriter und Schauspieler aus dem Berliner Stadtteil Märkisches Viertel.
Sido’s Musik umfasst verschiedene Stilrichtungen des Rap, darunter Gangsta-Rap, Pop-Rap, Rap-Rock, Trap, Comedy-Rap, Battle-Rap und „Rap-Balladen“. Er steht derzeit bei Urban/Universal Music unter Vertrag. Sein Künstlername stand ursprünglich für „Scheiße in dein Ohr“ (eine Zeile aus dem Royal-TS-Track „Terroarr!“), später für „super-intelligentes Drogenopfer“, hat aber heute keine Bedeutung mehr.
Sido ist Mitglied der Rap-Formationen Alles ist die Sekte, Die Sekte und Deine Lieblingsrapper. Durch seine Single „Mein Block“ erlangte er im Jahr 2004 erstmals größere Aufmerksamkeit und gilt seitdem zusammen mit Bushido als maßgeblich für die kommerzielle Etablierung des deutschsprachigen Ghetto-Rap sowie seines damaligen Labels Aggro Berlin. Im Laufe seiner Karriere hat Sido über 5,8 Millionen Tonträger verkauft und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter einem MTV Europe Music Award und zwei Echos.
Paul Würdig ist der Sohn einer Sintiza und eines Deutschen. Bis zu seinem neunten Lebensjahr lebte er mit seiner jüngeren Schwester und seiner alleinerziehenden Mutter im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. 1988 erhielt seine Mutter die Genehmigung zur Ausreise und sie zog mit den Kindern nach West-Berlin. Nach einigen Umzügen ließen sie sich im Märkischen Viertel nieder, wo Sido die Bettina-von-Arnim-Oberschule besuchte.
Bereits vor seinem Durchbruch in der Musikindustrie wurde Sido Vater. Sein ältester Sohn wurde 1999/2000 geboren, und sein zweiter Sohn stammt aus einer kurzzeitigen Beziehung Mitte der 2000er-Jahre. Sido widmete seinem ältesten Sohn bereits 2004 ein Lied und betonte, dass er ihn von seinem musikalischen Inhalt fernhält. In Bezug auf Kritik an seinem musikalischen „Erziehungsstil“ erklärte Sido, dass sein Sohn die Musik seines Vaters nicht höre.
Sido war in Beziehungen mit verschiedenen Frauen. Er verlobte sich 2010 mit der ehemaligen Nu-Pagadi-Sängerin Doreen Steinert, trennte sich jedoch im Jahr 2012. Im Sommer 2012 heiratete er die Moderatorin Charlotte Würdig (geb. Engelhardt), mit der er zwei Söhne hat. Das Paar gab im März 2020 seine Trennung bekannt.
Im Jahr 2022 begab sich Sido nach einem Drogenabsturz in eine stationäre, psychiatrische Behandlung. Er erklärte, dass ihm dieser Klinikaufenthalt klar gemacht habe, dass er wieder öfter „Paul“ sein möchte und er ohne diese Hilfe nicht überlebt hätte.
Sido begann seine musikalische Karriere in den späten 1990er Jahren und trat häufig bei Open-Mic-Sessions in Berlin auf. Gemeinsam mit seinem Freund B-Tight gründete er das Rap-Duo Royal TS und die Rap-Crew Die Sekte. Im Jahr 2003 begann er seine Solokarriere und wurde durch die Veröffentlichung seines Albums „Maske“ im Jahr 2004 einem breiteren Publikum bekannt. Seitdem veröffentlichte er mehrere Soloalben und arbeitete auch mit anderen Künstlern zusammen.
Sido hat kontinuierlich Erfolg mit seinen Singles, darunter „Astronaut“ (2015) und „Das goldene Album“ (2016). Sein Album „Ich und keine Maske“ erreichte 2019 Platz 1 in den deutschen Charts, genauso wie das neunte Album „Paul“ (2022).