Ein Mann, der seine Frau und seine Karriere verliert, kocht vor Wut und während er tatsächlich ein mehrgängiges Menu kocht, wütet er über alles, was angeblich Schuld an seiner Misere hat: Feministinnen, Homosexuelle, Migranten, Bio-Gemüse. Mit „Viel gut essen“ hat Sibylle Berg ein Stück geschrieben, das einen gallig-bitteren, weil leider so echten, Nachgeschmack hinterlässt.
„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“: Dieses Mantra von Stammtisch-Mitgliedern hört man immer öfter und es hat sich längst aus Internet-Foren und Leserbriefen hinaus bewegt auf die Straße. Dieses Szenario der Schriftstellerin Sibylle Berg ist eigentlich längst dumpfe Realität, doch in ihrem Theaterstück „Viel gut essen“ entwickelt sie daraus eine gleißend-grelle Horrovision, in der nicht Zombies die Menschen infizieren, sondern weiße Männerhorden, die alles angreifen, was sie nicht sind: Feministinnen, Juden, Homosexuelle, Muslime, Kreative, Asylbewerber und sein Viertel gentrifizierende Hipster-Mütter mit „Kinderwagenbataillonen“.
Ausgebreitet wird die Hasstirade von einem Mann, der seine Familie, die ihn inzwischen verachtet, mit einem mehrgängigen Menü zurückgewinnen möchte. Während des Kochens kocht auch er immer mehr vor Wut – im dazugehörigen Hörspiel monologisiert hier brillant-böse der Schauspieler Fabian Hinrichs („Sophie Scholl – Die letzten Tage“, „Dutschke“) gegen Minderheiten gegen die man ja nichts habe, so lange man „uns“ in Ruhe lässt und in der Minderheit bleibt. So wie damals als in seinem Viertel nur ein einziger Homosexueller lebte: „Er wurde von uns allen mit besonderer Höflichkeit behandelt. So wie man auch mit Behinderten umgeht“.
Es sind Sätze wie diese, die pointiert die Banalität des Bösen mit dem Tranchiermesser bloßlegen. „Viel gut essen“ zeigt, dass alleine die Furcht, etwas zu verlieren und nicht mehr viel gut essen zu können, die Maskerade der Menschlichkeit schnell fallen lässt. Sibylle Berg stellt in dem Stück jedoch nicht nur die Rechtspopulisten bloß, sie zeigt auf manchmal melancholische, manchmal lustige Weise wie wenig es braucht, dass jeder zu solch vermeintlich leichten Schuld-Erklärungen greift und fordert damit etwas ein, dass in Zeiten von AfD, Trolls und Fake-News ein rares Gut geworden ist: Empathie.
Biografie Sibylle Berg:
Die Schriftstellerin Sibylle Berg schreibt Romane, Essays, Kolumnen und Theaterstücke: Sie ist bekannt für einen nüchternen Stil, mit dem sie in ihren Werken messerscharfe Zeitdiagnosen stellt.
1997 erschien Bergs erster Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“, seit 2011 schreibt sie für Spiegel Online eine wöchentliche Kolumne mit dem schönen Namen „Fragen Sie Frau Sibylle“. 2016 war sie Mitglied der ZDFneo Talkshow „Böhmermann&Schulz“ und arbeitete im Lauf ihrer Karriere mit vielen unterschiedlichen Künstlern wie Sophie Hunger, Katja Riemann, Christian Ulmen, Jan Böhmermann oder der Band Kreidler zusammen.
ACT DES MONATS
Prosawerke:
- Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Roman. Reclam, Leipzig 1997; Reclam, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-15-020410-8.
- Sex II. Roman. Reclam, Leipzig 1998; Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-021665-1.
- Amerika. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 1999; Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-44848-4
- Gold. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000; erw. Taschenbuchausgabe: Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, ISBN 3-462-03098-1.
- Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, ISBN 3-462-03037-X.
- Ende gut. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004; Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, ISBN 3-499-23858-6.
- Habe ich dir eigentlich schon erzählt … Ein Märchen für alle. Illustriert von Rita Ackermann und Andro Wekua. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, ISBN 3-462-03735-8.
- Die Fahrt. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007; Rowohlt, Reinbek 2009, ISBN 978-3-499-24775-0.
- Der Mann schläft. Roman. Hanser, München 2009; dtv, München 2011, ISBN 978-3-423-14002-7.
- Vielen Dank für das Leben. Roman. Hanser, München 2012; dtv, München 2014, ISBN 978-3-423-14341-7.
- Wie halte ich das nur alles aus? Fragen Sie Frau Sibylle. Hanser, München 2013; dtv, München 2015, ISBN 978-3-423-14406-3.
- Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. Hanser, München 2015; dtv, München 2016, ISBN 978-3-423-14534-3
- Wunderbare Jahre. Als wir noch die Welt bereisten. Hanser, München 2016, ISBN 978-3-446-25408-4.
- GRM. Brainfuck. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, ISBN 978-3-462-05143-8.
- Nerds retten die Welt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, ISBN 3-462-05460-0.
- RCE. #RemoteCodeExecution. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, ISBN 978-3-462-00164-8.