Vor über 30 Jahren erschien das wegweisende Album „Nevermind“ von Nirvana. Wir schauen zurück auf eine der aufregendsten Zeiten der jüngeren Musikgeschichte.
Vermutlich erinnert sich jeder Musikfan über 40 noch ganz genau, wann er zum ersten Mal „Smells Like Teen Spirit“ hörte. In meinem Fall war es im Freiburger Punkclub „Crash“, der eines Abends zwischen hartem HipHop von Public Enemy und „Enter Sandman“ von Metallica einen Song auf Anschlag spielte, der zunächst mit einer außergewöhnlich ruhigen Strophe die Aufmerksamkeit auf sich zog und einen im Refrain unvermittelt wegpustete. So einen krassen Wechsel zwischen leise und laut hatte man bis dahin noch nicht gehört und es war auf Anhieb klar, dass dieser Song etwas ganz besonderes war.
Ein halbes Jahr später war der Song überall im Radio und machte harte Rockmusik chartstauglich. Aber wie kam es überhaupt dazu? Es haben wohl viele Zufälle mitgespielt, denn Nirvana waren vorher eine leidlich erfolgreiche Punkrockband aus Seattle, deren Songs ziemlich lärmig und so ziemlich genau das Gegenteil von Mainstream waren.
Kim Gordon von Sonic Youth empfahl die Band ihrem Label Geffen Records und dank des prominenten Fans – Sonic Youth waren damals die erfolgreichste Alternative Rock Band überhaupt – erhielten Nirvana einen Plattenvertrag und das Label kümmerte sich um einen erfahrenen Produzenten, der ihre Live-Demos im Studio professionell aufnehmen sollte.
Zu der Zeit hörte Cobain hauptsächlich Musik von R.E.M. und den Pixies und wollte seine eigene Musik melodiöser und weniger lärmig gestalten. Die Wahl fiel auf Butch Vig, der bereits zuvor einige Platten produziert hatte, die Cobain gefielen.
Vig hörte sich das Demo von „Smells Like Teen Spirit“ und arrangierte den Song zusammen mit der Band komplett neu. Er sorgte dafür, dass die Band in der Strophe ganz ruhig spielte und aus dem gespenstisch gesungenen „Hello, hello…“ die Bridge zum Refrain wurde. Er nahm das Album gemeinsam mit der Band auf, aber am Ende gerieten sie unter Zeitdruck und waren unglücklich mit den ersten Mixen und so wurde schließlich der Mixer von Slayer, Andy Wallace, damit beauftragt, das Album final abzumischen.
Später zeigte sich Cobain eher unglücklich über den zu glatten Sound des Albums, ja er fand es sogar „peinlich“, weil das Album viel mehr nach Mötley Crüe als nach Punkrock klänge. Tatsächlich wurde bei „Nevermind“ sehr viel im Studio nachgeholfen, sämtliche Gitarren und Stimmen wurden gedoppelt, um die Songs fetter klingen zu lassen. Cobain hatte nach Aussage von Vig wenig Lust, seine Songs mehrfach einzuspielen und einzusingen und musste immer lange dazu ermuntert werden. Wäre es nach ihm gegangen, hätten sie wesentlich rotziger und dreckiger und mehr wie Live-Aufnahmen geklungen. Die Produzenten legten letztlich einfach mehrere Takes übereinander und kreierten damit diesen unerhört fetten Sound, der die Rockmusik nach „Nevermind“ prägen sollte.
So ist es letztlich der Kombination aus dem Songwriting von Cobain, dem Pop-Gespür von Vig und dem letzten Schliff von Wallace zu verdanken, dass „Nevermind“ den Nerv der Zeit genau traf und so viele Menschen erreichte, die mit Punkrock eigentlich gar nicht viel zu tun hatten. Viele der Songs von „Nevermind“ sind Ikonen der Rockgeschichte, aber „Smells Like Teen Spirit“ ist vielleicht der letzte große Rocksong der Geschichte und bis heute unerreicht.
Auch das Coverartwork des Albums gilt mittlerweile als ikonisch: Es zeigt den damals vier Monate alten Spencer Elden (* 7. Februar 1991), der nackt auf einen Angelhaken zuzuschwimmen scheint, an dem ein Dollarschein befestigt ist. Alternativ wurde sicherheitshalber noch ein anderes Cover gestaltet, denn die Plattenfirma hatte Angst, dass der zu sehende Penis des Babys zu Ärger führen könnte.
Jahrzehnte später ist es dann die Social-Media-Plattform Facebook, die Anstoß daran nimmt und das Cover immer wieder von Userseiten löscht. 25 Jahre später lichtete der Unterwasserfotograf Kirk Weddle den nun erwachsenen Coverstar, der heute als Künstler tätig ist, erneut im Wasser ab, der damals offenbar keine Probleme mit seinem damaligen Cover hatte:
Und 2021 machte Elden wieder Schlagzeilen und zog als angebliches Opfer von Kinderpornografie vor Gericht. Ein Schlag ins Gesicht von zahlreichen Opfern von echter Kinderpornografie. Natürlich geht es auch in diesem Fall nur ums Geld, denn Eldens Eltern hatten damals 200 Dollar für das Shooting bekommen, nun fordert er 150.000 Dollar Schadensersatz. Die Klage wurde abgewiesen.
„Nevermind“ erschien am 24. September 1991, zwei Wochen nach der ersten Single „Smells Like Teen Spirit“. Das Album erreichte zunächst nur Platz 144 der Billboard Charts, verbreitete sich aber dann wie ein Lauffeuer, nicht zuletzt dank des kongenialen Videos, das MTV auf Heavy Rotation spielte. Erst am 11. Januar 1992 belegte es erstmals Platz 1 der Charts und stieß Michael Jacksons „Dangerous“ vom Thron, verkaufte sich bis heute über 31 Millionen Mal.
In der Folge wurden Nirvana zu Superstars, ein Status an dem Kurt Cobain zerbrach und sich 1994 das Leben nahm. Seine Musik bleibt unsterblich. Schlagzeuger Dave Grohl gründete später die Foo Fighters und führt das Erbe von Nirvana bis heute fort, während sich Bassist Krist Novoselic aus dem Musikbusiness zurückgezogen hat. Produzent Butch Vig feierte nach „Nevermind“ auch mit seiner eigenen Band Garbage Erfolge.
Nirvana – „Nervermind“ auf Spotify hören: