Das erste komplett hochdeutsche Album der Schweizer Band ist nicht weniger als ein popkulturelles Zeitgeist-Manifest.
„Deutscher Pop klingt eigentlich immer nach Festzelt.“
– Michael Egger / Jeans for Jesus
Es gibt diese Urban Legend: Robbie Williams, auf dem Höhepunkt seines Erfolgs nach L.A. gezogen, um den dortigen Status als gänzlich unbekannter Mensch zu genießen, geht mit einer flüchtigen Bekanntschaft nach Hause, zeigt ihr die Aufnahmen des legendären Knebworth-Konzerts vor 100 000 Fans, worauf sie, die Amerikanerin, gar nicht fassen kann, was für eine merkwürdige Person aus England sie da gerade vor sich hat.
Was ist Jeans for Jesus? Und wieso sind sie nicht nach Berlin gezogen?
Sie seien die „unangefochtene Popavantgarde im Land […] und erfinden den Schweizer Pop neu“ (Tages-Anzeiger), machten „grandios inszenierten Hightech-Pop, der sich problemlos an der internationalen Avantgarde von Kanye West bis Frank Ocean messen kann“ (SonntagsZeitung) und setzten der „‘OK Boomer‘-Attitüde ein Denkmal aus Schnappschüssen der Gegenwart“ (Die Wochenzeitung – WOZ). Die Schweizer Presse überschlug sich 2020 anlässlich der Veröffentlichung des dritten Albums „19xx_2xxx“ (gesprochen: neunzehnhundert zweitausend) von Jeans for Jesus. In Deutschland kennt sie: keine Sau.
Am 8. April dieses Jahres nun eine Premiere: „2000etc.“ – ein Album auf Hochdeutsch!
ACT DES MONATS
Bisher veröffentlichten Jeans for Jesus in Mundart – sprich Dialekt. So auch „19xx_2xxx_“, entstanden als Destillat aus ihrem über 350 Gigabyte fassenden Projektordner voller Aufnahmen, Grafiken, Skizzen, Samples. „2000etc.“ ist dessen hochdeutsche Reinkarnation, entstanden während der letzten zwei Jahre in Auseinandersetzung mit der eingangs erwähnten hiesigen Poplandschaft. Ein Gegenentwurf? „Wenn ja, dann ist er uns nur bedingt gelungen,“ resümiert Produzent Philippe Gertsch – und einer der beiden Sänger Michael Egger erzählt: „Wir haben schon länger andere Sprachen einfließen lassen, Französisch, z.T. auch Englisch und Spanisch. Uns haftet ja der Ruf an, den für Pop nicht ganz einfachen Schweizer Dialekt aufzudatieren. Aber Deutsch – das wäre uns nicht in den Sinn gekommen. Klar gibt es viele großartige Musik auf Deutsch, Indie, Rap, R&B, Punk, was auch immer. Aber im Pop gibt es schon diese eine Parallele zur Schweiz: Fast alles, was ich kenne, hat so einen Filter drauf, klingt eigentlich immer nach Festzelt. Der Anspruch eines Gegenwurfs wäre für uns dennoch zehn Nummern zu groß – es fühlt sich immer noch etwas an wie eine halbe Fremdsprache.“
Demi Jakob (Gesang) holt auf: „Wir wären nicht auf die Idee gekommen auf Deutsch zu singen, hätte uns nicht 2020 das Melt! gebucht. Wir wollten uns auf dessen Publikum einlassen und nicht – wie es die Schweizer sonst immer tun – sich abgrenzen. Wir begannen Songs zu übersetzen, auch einfach damit sich nicht alles so komisch anhört (ein deutscher Booker nannte es: Hobbit-Sprache).“
‚2000 etc.‘ ist als Titelsong bereits in Dialekt und auf Französisch erschienen, letzteres mit dem Frankreich-Superstar Stephan Eicher (ex-Grauzone). „Wir wollten den Song musikalisch leichter machen und haben ihn mit den befreundeten Steiner & Madlaina aufgenommen – sie stehen für eine Generation, für die das Codeswitching zwischen Hochdeutsch und Dialekt ganz selbstverständlich ist.“
‚weit weg‘ ist einer derjenigen Songs, die die Jeans komplett neu geschrieben haben – der Lockdown ist dem Text anzuhören. In diesem Stillstand, in dem Leute plötzlich abdriften, sich zusammen mit der Zeit und den Orten entfernen, um wieder viel zu nah zu sein und doch immer bewegungslos scheinen. Zu ‚babyboomsuperstar‘ erklärt Michael: „Es ist völlig zurecht ein Unding, zu behaupten, Dinge schon ganz viel früher antizipiert zu haben – vor allem im Nachhinein. Aber es war tatsächlich so, dass die Auseinandersetzung mit den Boomern und damit auch dieser Text um 2018 herum entstanden und der Song im September 2019 herausgekommen ist, fast gleichzeitig, als die Erwiderung auf herablassende und pauschale Phrasen aus den Foren wucherte: Ok Boomer! Danke dafür.“
Offensichtlich gibt es da ein Bedürfnis sich mitzuteilen. Nicht nur auditiv. Für „2000etc.“ haben Jeans for Jesus ein Magazin, nein, ein Manifest zeitgenössischer Popkultur produziert, quasi als Übersetzungshilfe des Albums. Garniert mit Texten von Autor*innen wie Nina Kunz, Meral Kureyshi, Michelle Steinbeck oder Jarett Kobek und visuellen Werken von Martina Tiefenthaler, Walter Pfeiffer oder Max Küng.
Geht da noch mehr? Man wird sehen. Am 8. April erstmal das Album. Am 19. April ein Konzert in Berlin. Dann zurück in die Schweiz. Merci vielmals und bis glii.