Hoher Besuch im Podcast „Hotel Matze“: Farin Urlaub von Die Ärzte kam bei Matze Hielscher vorbei und sprach eineinhalb Stunden aus dem Nähkästchen über sein Leben und die Band. Zur Sprache kam auch die vorübergehende Trennung der Ärzte nach der Tour 2013.
Man muss ihn einfach gern haben. Wie immer gut gelaunt und entwaffnend offen präsentiert sich Farin Urlaub im Podcast Hotel Matze und antwortet auch auf unangenehme Fragen, wie die letzte große Tour 2013.
Damals war die Band mit ihrem Album „auch“ unterwegs und lange aufgestauter Frust führte dazu, dass sich die Drei Backstage komplett aus dem Weg gingen und auch auf der Bühne nicht die üblichen Scherze brachten, sondern nur noch ihre Songs runterspielten.
„Das war das erste Mal, das war extrem unschön. Das hat mich so verletzt und letztlich uns alle, dass ich damals gesagt habe, ‚ich bin raus‘, ohne es jemals auszusprechen. Wir lassen das jetzt einfach totlaufen. Ich hatte damals mit der Band abgeschlossen. Das war für mich vorbei!“
Zusammengerauft hat sich die Band dann erst nach drei Jahren Schweigen anlässlich einer Einladung zum Festival gegen Nazis in Jamel, wo sie 2016 den Spaß am Livespielen und aneinander wieder fanden.
So wichtig wie früher ist ihm die Band allerdings heute nicht mehr und der Grund ist auch nachvollziehbar: seit 1982 steht er gemeinsam mit Bela B auf der Bühne, ihr Verhältnis beschreibt er als Mischung aus Freundschaft, Geschäftspartner und altes Ehepaar.
Früher habe man wirklich alles gemeinsam gemacht, sei sogar nach einer langen Tour noch zusammen in den Urlaub gefahren. Heute halten die beiden privat eine ausreichende Distanz. Bela B wohnt in Hamburg, Farin Urlaub in Berlin und Rod macht sowieso sein eigenes Ding.
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Machen müssen sie das schon sehr lange nicht mehr. Farin Urlaub beschreibt im Gespräch den Moment, als ihm Mitte der 90er Jahre mit Anfang 30 klar wurde, dass er nie mehr wird arbeiten müssen.
„Irgendwann war so viel Geld auf meinem Konto, dass ich verstanden habe, wenn ich nicht ganz unverfünftig bin, dass ich nichts mehr machen muss. Und es war so: What the fuck!? Das kann doch gar nicht wahr sein! Musik mache ich heute nur noch zum Spaß, um die Balance zu halten. Das verstehen die Leute auch immer falsch: „ihr seid so kommerziell geworden“ – im Gegenteil, seit ich diesen Druck nicht mehr habe, sind wir so unkommerziell wie wir nur sein können, wir machen’s wirklich nur, weil wir Bock drauf haben.“
Und Bock hat er! Farin Urlaub erklärt, wie leicht es ihm fällt neue Songs zu schreiben, sie fließen einfach aus seinen Fingern und immer wieder mal entsteht etwas, das er dann als Demo aufnimmt und erst wenn dann die anderen beiden Ärzte ihren Segen geben, wird es im Studio eingespielt. Material für neue Alben sammelt er lange im Vorfeld, zunächst auf dem Mobiltelefon, dann als Demo und wenn die richtig gut werden und die anderen beiden Ärzten ihren Segen geben, werden sie im Studio eingespielt.
Manche Songs sind in 20 Minuten fertig geschrieben, viele Songs hat er nur in Teilen fertig und Bela vervollständigt sie dann, so wie zum Beispiel die neue Single „Noise“ oder auch den Klassiker „Schrei nach Liebe“. Kommt ein Song bei einem der anderen beiden nicht an, wird er verworfen.
Große Ausnahme: „Our bass player hates this song“ vom neuen Ärzte Album „Dunkel“. Hier ruft Farin Urlaub in Liedermacherart und mit erhobenem Zeigefinger zum Wählen auf, was zwar nicht sehr Punk ist, aber die Demokratie liege ihm einfach immer mehr am Herzen. Wer so viel wie er auch in nicht-demokratisch regierte Länder reist, weiß die Freiheit in Deutschland besonders zu schätzen. Und die ist durch die rechtsextremen Kräfte in der Republik in Gefahr.
Das Wichtigste in seinem Leben sei sowieso nicht die Musik, sondern das Reisen. Er sei einfach so neugierig, dass es ihn immer wieder in neue Länder verschlägt. Dort stellt er sich dann meistens als Messebauer aus Deutschland vor, um keine lästigen Fragen zu seiner unglaublichen Karriere beantworten zu müssen, was ihm sowieso keiner glauben würde, der nicht aus dem deutschsprachigen Raum ist.
Angesprochen auf seine notorisch gute Laune räumt Urlaub ein, dass er damit die Leute in seinem Umfeld auch komplett in den Wahnsinn treiben kann. Er sei einfach von Natur aus das exakte Gegenteil von depressiv. Er selbst sei wirklich immer gut drauf und „ultra-euphorisch“. Songs wie „Tristesse“ basierten also nicht etwa auf eigenen Erfahrungen, sondern auf Beobachtungen, er müsse sich dafür versuchen in andere Menschen hineinzuversetzen, um so etwas wie Traurigkeit oder Melancholie nachvollziehen zu können.
„Wenn ich nur über mich singen würde, wäre das ungefähr so: ‚Alles ist super, die Sonne scheint, ich gehe raus und habe Spaß.‘ Das will man nicht hören, aber so empfinde ich mein Leben tatsächlich. Alles was ich als kleiner Junge wollte, war Musik machen und auf einer Bühne meine Songs singen und dass die Leute sie dann gut finden. Und alles ist so unfassbar in Erfüllung gegangen und zwar über alle Maßen. Woher soll ich denn schlechte Laune nehmen?“
Und diese Charaktereigenschaft ist sicher auch ein großer Teil seines Erfolgs, denn seine gute Laune ist ansteckend, wie man bei den Ärzte-Shows beobachten kann.
Trotzdem zeigt Farin Urlaub, der sich privat nur Jan nennt, auch, was ihn so grundsympathisch macht. Für ihn sei es das Allerschlimmste, die Bodenhaftung zu verlieren und sich selbst zu wichtig zu nehmen.
„Ich interessiere mich gar nicht so für mich, was manchmal schwierig ist bei Interviews. Ich find mich gar nicht so interessant, ich find die Welt immer viel spannender. Ich möchte nicht, dass Leute Respekt vor mir haben. Freundlich behandeln, ja bitte, aber bitte nicht Ehrfurcht oder Respekt, das ist zu viel. Das habe ich nicht verdient. Da gibt’s dann so ne Diskongruenz zwischen meiner Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung des anderen. Ich bin so vielen Leuten begegnet, die der viele Zuspruch total verändert hat und da habe ich totale Angst vor!“
Am Ende gibt er noch ein paar wirklich interessante Buchtipps und outet sich dabei als Fan von „Tastenficker“ Flake von Rammstein. Die Band kenne er zwar gar nicht so wirklich persönlich, doch die Erfahrungen des überaus erfolgreichen Kollegen aus Ostberlin, der inzwischen drei Bücher geschrieben hat, könne er sehr gut nachvollziehen.
Zur Veröffentlichung ihrer gesammelten Werke als Boxset unter dem Titel „Seitenhirsch“ im Jahr 2018, gaben die Ärzte ein ausführliches Interview über ihre Karriere.
☞ Die Ärzte im Interview Teil 1: Von der Gründung bis zur Trennung 1988
☞ Die Ärzte im Interview Teil 2: Von „Schrei nach Liebe“ bis heute