Beim gestrigen Finale des ESC in Malmö gewann die Schweiz mit Nemo vor Baby Lasagna aus Kroatien und Aylona Alyona & Jerry Heil aus der Ukraine. Der umstrittene israelische Beitrag sorgte für eine faustdicke Überraschung. Hier alle Höhe- und Tiefpunkte des Eurovision Song Contest 2024.
Treten ABBA beim ESC-Finale in Malmö 2024 auf? Das war die wichtigste Frage beim Eurovision Finale 2024. Spekulationen gab es, seit klar war, dass der ESC exakt 50 Jahre nach dem Sieg von „Waterloo“ in Schweden stattfinden würde. Leider nein lautet die Antwort, stattdessen ließen sie ihre Avatare der Londoner Hologramm-Show „Voyage“ ein paar dürre Worte sagen und drei ehemalige ESC-Siegerinnen gaben eine grottenschlechte Version von „Waterloo“ zum Besten. Eine verpasste Gelegenheit, die erfolgreichsten Gewinner in der Geschichte des Eurovision Song Contest noch einmal ganz groß zu feiern.
Stattdessen wurde der ESC 2024 zum Politikum: in Schweden gab es bereits im Vorfeld des TV-Spektakels laute Proteste gegen eine Teilnahme Israels, hunderte Künstler hatten einen offenen Brief geschrieben und einen Ausschluss gefordert.
Im Saal und vor der Halle gab es lautstarke Proteste gegen die 20-jährige israelische Sängerin, die den ganzen Shitstorm äußerlich erstaunlich stoisch hinnahm und trotz aller Anfeindungen mit einem hervorragenden Auftritt glänzte.
Wie die beiden ESC-Kommentatoren Jan Böhmermann und Olli Schulz die Situation vor Ort erlebt haben, schildern sie in ihrem Podcast.
Am Ende bekam sie die zweitmeisten Stimmen des europäischen Publikums, ein starkes Zeichen dafür, dass Hass und Hetze gegenüber Künstlern in Europa keine Mehrheit findet, selbst wenn sie aus einem Land mit einer extrem problematischen Regierung kommen.
Boykotte und Cancel Culture lösen keine Konflikte, sondern verschärfen sie nur. Und das braucht bei der aktuellen Weltlage niemand. Nur durch Austausch und Kommunikation wird ein friedliches Zusammenleben und gegenseitiges Verständnis möglich.
Selbst wenn viele der wütenden bis hasserfüllten Proteste gegen die Teilnahme Israels weit übers Ziel hinausschossen, wurde auch das israelische Vorgehen in Gaza durch den ESC viel stärker ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit gerückt und das ist auch gut so.
Auch in Deutschland muss endlich offen über das Thema diskutiert werden. Es kann nicht sein, dass jede Kritik an der israelischen Regierung reflexhaft als Antisemitismus abgewertet wird. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel hat das israelische Militär zehntausende unschuldige Menschen getötet. Das ist durch nichts zu entschuldigen.
Aber auch wenn Proteste gegen das brutale israelische Vorgehen in Gaza völlig legitim und auch notwendig sind, ist es nicht in Ordnung, eine junge Frau für ihr Land derart an den Pranger zu stellen, so wie es in Malmö passiert ist. Am Ende landete Israel aufgrund einer schwachen Jury-Wertung trotzdem nur auf Platz 5. Wieder einmal lagen Jury und Publikum sehr weit auseinander in ihrem Abstimmungsverhalten.
Die meisten Stimmen des europäischen Publikums bekam der kroatische Beitrag von Baby Lasagna, der verdächtig an den Vorjahrespublikumsliebling „Cha Cha Cha“ erinnerte und auch so ähnlich hieß: „Rim Tim Tagi Dim“. Doch wieder entschied sich die internationale „Fachjury“ für einen anderen Künstler, sie sorgte mit überwältigend eindeutigem Votum für den Sieg des Schweizer Beitrags des nonbinären Nemo.
Das erstaunliche dabei: Nemo bekam für seine artistische Performance auf einem sich drehenden Kreisel im rosa Röckchen die Höchstwertung aus vielen Ländern, in denen queere Menschen nach wie vor nicht gleichberechtigt sind, so wie Serbien, Albanien, Ukraine oder sogar Aserbaidschan. Und das macht wirklich Hoffnung.
Der ESC ist keinesfalls ein unpolitisches Event, der Eurovision Song Contest ist das einzige kulturelle Großereignis, an dem ganz Europa und weit darüber hinaus am Bildschirm sitzen und sich über Musik miteinander austauschen. Auch über Fragen von Geschlechtsidentität oder Krieg und Frieden.
Auch die Ukraine wurde mit vielen Punkten aus allen europäischen Ländern bedacht, was vermutlich nicht alleine am musikalischen Auftritt lag. Dass die Ukraine auch nach über zwei Jahren Beschuss durch Russland jedes Jahr beim Eurovision antritt, hat eine besondere Würdigung verdient und ist ein wichtiges Signal: die Ukraine gehört selbstverständlich zu Europa!
Eine der größten Überraschungen bot Irland mit einem Exorzismus auf der Bühne des Eurovision Song Contest und punktete mit der filmreifen Performance bei Jury und Publikum gleichermaßen.
Isaak landete für Deutschland auf Platz 12 und damit genau im Mittelfeld, wie von uns prognostiziert. Von der schwedischen Jury bekam er sogar die Höchstpunktzahl, während sein Song „Always On The Run“ beim europäischen Publikum komplett durchfiel und kaum Punkte erhielt. Vielleicht zeigen die guten Ergebnisse der Schweiz, Kroatiens oder Irlands, dass es endlich mal wieder an der Zeit wäre, etwas ausgefalleneres zum Grand Prix zu schicken und nicht immer nur biederes Radiofutter.
Noch schlechter erging es Years & Years Frontmann Olly Alexander aus England, dessen auf die schwule Zielgruppe kalkulierter, aber nicht besonders gut gesungener Song „Dizzy“ keinen einzigen Punkt vom europäischen Publikum bekam. Schade, der Künstler hätte einen besseren Song verdient gehabt.
Joost Klein aus den Niederlanden wurde mit seinem Favoritensong „Europapa“ fürs Finale gesperrt, weil er sich hinter den Kulissen offenbar schwer daneben benommen hatte. Bereits in der gemeinsamen Pressekonferenz mit der jungen israelischen Teilnehmerin zeigte er sich als Kotzbrocken und forderte von ihr lautstark eine Rechtfertigung für ihre Teilnahme. Was hinter den Kulissen letztlich genau passiert ist, wurde nicht bekannt gemacht, es sollen sogar polizeiliche Ermittlungen eingeleitet worden sein. Die niederländischen Veranstalter blieben der Abstimmung fern und protestierten gegen den Ausschluss.
Der ESC war musikalisch auch 2024 wie immer extrem fragwürdig, schließlich geht es darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner von 37 Ländern zu finden. Ein unmögliches Unterfangen. Das hat der ESC mit der europäischen Politik gemeinsam. Die größte TV-Show der Welt mit 200 Millionen Zuschauern hatte auch dieses Jahr wieder eine politische Dimension und die macht sie kurz vor der Europawahl eigentlich erst so richtig interessant und wichtig. Europa braucht mehr Austausch und mehr kontroverse Debatten, mehr gemeinsame Großereignisse. Nur so können wir uns einander annähern. Nächstes Jahr wird die neutrale Schweiz das Gastgeberland – zum ersten Mal seit dem Sieg von Celine Dion im Jahr 1988.
Endergebnis ESC 2024
- Schweiz – 591 Punkte
- Kroatien – 547 Punkte
- Ukraine – 453 Punkte
- Frankreich – 445 Punkte
- Israel – 375 Punkte
- Irland – 278 Punkte
- Italien – 268 Punkte
- Armenien – 183 Punkte
- Schweden – 174 Punkte
- Portugal – 152 Punkte
- Griechenland – 126 Punkte
- Deutschland – 117 Punkte
- Luxemburg – 103 Punkte
- Litauen – 90 Punkte
- Zypern – 78 Punkte
- Lettland – 64 Punkte
- Serbien – 54 Punkte
- Vereinigtes Königreich – 46 Punkte
- Finnland – 38 Punkte
- Estland – 37 Punkte
- Georgien – 34 Punkte
- Spanien – 30 Punkte
- Slowenien – 27 Punkte
- Österreich – 24 Punkte
- Norwegen – 16 Punkte
Jury Punkte ESC 2024
- Schweiz – 365 Punkte
- Frankreich – 218 Punkte
- Kroatien – 210 Punkte
- Italien – 164 Punkte
- Ukraine – 146 Punkte
- Irland – 142 Punkte
- Portugal – 139 Punkte
- Schweden – 125 Punkte
- Armenien – 101 Punkte
- Deutschland – 99 Punkte
- Luxemburg – 83 Punkte
- Israel – 52 Punkte
- Vereinigtes Königreich – 46 Punkte
- Griechenland – 41 Punkte
- Lettland – 36 Punkte
- Zypern – 34 Punkte
- Litauen – 32 Punkte
- Serbien – 22 Punkte
- Spanien – 19 Punkte
- Österreich – 19 Punkte
- Georgien – 15 Punkte
- Slowenien – 15 Punkte
- Norwegen – 12 Punkte
- Finnland – 7 Punkte
- Estland – 4 Punkte
Publikumsvote ESC 2024
- Kroatien – 337 Punkte
- Israel – 323 Punkte
- Ukraine – 307 Punkte
- Frankreich – 227 Punkte
- Schweiz – 226 Punkte
- Irland – 136 Punkte
- Italien – 104 Punkte
- Griechenland – 85 Punkte
- Armenien – 82 Punkte
- Litauen – 58 Punkte
- Schweden – 49 Punkte
- Zypern – 44 Punkte
- Estland – 33 Punkte
- Serbien – 32 Punkte
- Finnland – 31 Punkte
- Lettland – 28 Punkte
- Luxemburg – 20 Punkte
- Georgien – 19 Punkte
- Deutschland – 18 Punkte
- Portugal – 13 Punkte
- Slowenien – 12 Punkte
- Spanien – 11 Punkte
- Österreich – 5 Punkte
- Norwegen – 4 Punkte
- Vereinigtes Königreich – 0 Punkte
Die Moderation der Sendungen wurde von Hollywood-Star Malin Åkerman und der ikonischen Eurovision-Veteranin Petra Mede übernommen. Der Eurovision Song Contest 2024 wurde als eine Feier der Musik unter dem Motto „United By Music“ abgehalten. Insgesamt haben 37 Länder am Wettbewerb teilgenommen, 25 qualifizierten sich fürs Finale.