Die Neuauflage von „Do They Know It’s Christmas?“, die zum 40. Jubiläum des Band-Aid-Projekts veröffentlicht wurde, entzündet erneut eine alte Debatte: Ist der Song ein Meilenstein des Wohltätigkeitsengagements – oder einfach nur die Fortschreibung kolonialer Stereotype?
„Do They Know It’s Christmas?“ wurde 1984 von den britischen Musikern Bob Geldof und Midge Ure geschrieben und ist mehr als nur ein Weihnachtslied: Es war Teil einer der bekanntesten Charity-Aktionen der Musikgeschichte. Und ein ziemlich beschissener Song, der uns alle paar Jahre wieder in einer Neuauflage um die Ohren gehauen wird.
Damals riefen sie unter dem Namen Band Aid eine Supergroup aus britischen Popstars wie Sting, Bono, George Michael, Paul McCartney, Boy George und vielen anderen zusammen, um Geld für die von Hungersnot betroffene Bevölkerung in Äthiopien zu sammeln.
Der Song wurde nur wegen dieser Superstars und der medialen Dauerberieselung ein weltweiter Erfolg, brachte Millionen ein und inspirierte weitere Aktionen wie das legendäre Live-Aid-Konzert oder den (viel besseren) US-Charity-Song „We Are The World“ zu dem kürzlich eine Netflix Dokumentation erschienen ist.
Doch so erfolgreich das Projekt war, so umstritten sind seine Botschaften. Kritiker bemängeln, dass der Song ein einseitiges Bild von Afrika zeichnet – als Ort des Elends, der nur durch westliche Hilfe gerettet werden kann. Trotz zahlreicher Neuauflagen, zuletzt im Jahr 2014, bleibt der Song ein Beispiel dafür, wie Charity und kulturelle Sensibilität in der westlichen Welt nicht immer Hand in Hand gehen.
Trotz der immensen Spendensummen, die der Klassiker seit 1984 eingebracht hat und auf die sich Initiator Bob Geldof beruft, wächst die Kritik. Prominente Stimmen wie Ed Sheeran, der 2014 noch seinen Beitrag zur Neuauflage geleistet hat, stellen nicht nur die Texte infrage, sondern auch das zugrunde liegende Bild, das der Song von Afrika vermittelt.
Die problematischen Zeilen
„Do they know it’s Christmas time at all?“
Diese Frage wirkt ignorierend, da Äthiopien eine der ältesten christlichen Kulturen der Welt beherbergt.
„Well tonight, thank God it’s them instead of you,“
Bonos Zeile sorgte damals wie heute für Gänsehaut, aber aus den falschen Gründen.
„There won’t be snow in Africa this Christmas time“
Diese Zeile ist faktisch falsch, da es in einigen Teilen Afrikas durchaus schneit.
„The only hope they’ll have is being alive“
Diese Zeile wurde nach Protesten geändert, da sie eine sehr einseitige und negative Darstellung Afrikas vermittelt.
In der 2014er-Version wurden zwar einige Zeilen verändert, doch die Grundhaltung des Songs – Afrika als passives, armes Opfer, das durch den überlegenen Westen „gerettet“ werden muss – bleibt als Grundmotiv bestehen.
Ein veraltetes Narrativ
Kritiker wie der ghanaische Musiker Fuse ODG betonen, perpetuiert der Song ein Bild von Afrika, das längst überholt ist: ein Kontinent voller Hilfsbedürftiger, der ohne westliche Unterstützung nicht überlebensfähig wäre. Er plädiert dafür, afrikanische Stimmen zu Wort kommen zu lassen und Afrika nicht in so ein schlechtes Licht zu rücken. Dieser Ansatz verdeckt nicht nur die Vielfalt und Stärke afrikanischer Kulturen, sondern ignoriert auch, dass viele Probleme, die der Song anspricht, direkt mit der kolonialen Vergangenheit Englands zusammenhängen.
Die Ausbeutung von Ressourcen, die Aufteilung des Kontinents in koloniale Einflusssphären und die anhaltenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten haben Afrika jahrhundertelang geschadet – ein Erbe, das bis heute nachwirkt. Statt Almosen mit Singles zu sammeln, die heute sowieso kein Geld mehr einspielen, könnten die Künstler – allesamt Millionäre – auch auf andere Art und Weise helfen.
Der westliche Retterkomplex
Ed Sheeran, dessen Stimme ohne seine Zustimmung auch in der Neuauflage verwendet wurde, kritisierte auf Instagram, dass solche Projekte „den westlichen Retterkomplex verstärken und Afrikas wirtschaftliches Wachstum, Tourismus und Selbstbild schädigen“.
Afrikanische Stimmen werden in der globalen Entwicklung oft überhört, während westliche Charity-Kampagnen sich auf Bilder von Leid und Elend stützen, nur um sich selbst besser zu fühlen. Diese Narrative erschweren es, ein differenziertes Bild Afrikas zu vermitteln – von technologischen Innovationen, kulturellem Reichtum und eigenständigen Lösungsansätzen vor Ort.
Bob Geldof, der seine ganze Karriere auf diesem einen Song aufgebaut hat, lässt diese Kritik aus Afrika nicht gelten, was die ganze Geschichte noch viel schlimmer macht, als sie sowieso schon ist: nicht betroffene Menschen haben nicht darüber zu entscheiden, was rassistisch ist oder als kolonialistisch empfunden wird. Sie sollten besser zuhören, was die Menschen sagen, über die sie reden oder singen.
Ein Song, der nicht mit der Zeit ging
Auch Lena Bheeroo, Leiterin für Antirassismus und Gleichberechtigung bei der britischen Entwicklungsorganisation Bond, sieht das Problem in der überholten Darstellung: „Wir sind nicht mehr in den 80er-Jahren. Die Art, wie wir über Entwicklungshilfe sprechen, hat sich geändert.“
Ein weiterer Kritikpunkt ist die ungleiche Repräsentation: Während Band Aid als Organisation langfristige Hilfsprojekte unterstützt, bleiben die Geschichten der afrikanischen Akteur*innen oft im Hintergrund. Wie der Wissenschaftler Haseeb Shabbir betont, geschehen die meisten Fortschritte auf dem Kontinent durch lokale Initiativen und nicht durch Charity-Aktionen – diese erhalten jedoch kaum mediale Aufmerksamkeit.
Was bleibt von „Do They Know It’s Christmas?“
Vielleicht ist das Jubiläum von „Do They Know It’s Christmas?“ der richtige Moment, sich endgültig von alten Narrativen zu verabschieden – und Platz für neue, gleichberechtigte Kooperationen zu schaffen, die die Vielfalt Afrikas feiern, anstatt sie zu reduzieren. Und diesen alten, schrecklichen Song endlich zu entsorgen.
Wer Afrika ins Rampenlicht holen möchte, sollte die reiche Kultur, den unzähligen Künstlern und der vielfältigen Musik des Kontinents eine Bühne bieten und nicht nur immer wieder die eigene moralische Überlegenheit feiern.