Regisseur und Drehbuchautor Quentin Tarantino ist der größte Kindskopf des Kinos. Hier sind alle seine Filme im Ranking.
Regisseure werden im Alter schlechter. Das hat Quentin Tarantino, geboren am 27. März 1963 in Knoxville (Tennessee), immer wieder betont. Er selbst, nun auch schon über 60, werde nur zehn Filme drehen. Zählt man die beiden Kill Bill-Teile zusammen, bleibt dem Mann nur noch ein Streifen. 2024 soll The Movie Critic, so der Arbeitstitel, erscheinen. Und dann, war’s das wirklich? Es wäre jammerschade.
Natürlich ist einer wie Tarantino umstritten. Lebensechte Charaktere sucht man in seinem Werk vergebens. Es sind Comicfiguren. Hinzu kommt der filmische Gemischtwarenladen. B-Movies, Trash, asiatisches Prügelkino, Thriller, Western, Horror: Dieser Nerd, der einst in einer Videothek arbeitete und selbst deren bester Kunde war, verwurstet pennälerhaft alles, was ihm gerade so einfällt. An der Beschränkung aufs Wesentliche hat er kein Interesse. Einige Filme sind deshalb eher zu lang als zu kurz. Minutenlange Dialoge, mögen sie auch noch so vergnüglich sein, führen oft ins Nichts.
Und dann ist da noch die überbordend groteske Gewalt, für die sich Tarantino schon seit seinem 1992 erschienen Debüt Reservoir Dogs regelmäßig rechtfertigen soll. Was ihm mächtig auf den Keks geht. Verständlich: Die Gewalt ist derart überzeichnet, dass jederzeit klar ist, wie wenig sie mit der Realität zu tun hat. Für Tarantino ist Kino Spaß – und so sollte man seine Filme auch betrachten.
Dass dieser Mann heutzutage überhaupt zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Regisseuren der Welt gehört, ist ein kleines Wunder. Doch er war zur rechten Zeit am rechten Ort. Erstmals seit dem Autorenkino der 60er und 70er Jahre herrschte im Hollywood der 90er Aufbruchstimmung. Eine neue Generation von Filmschaffenden drängte ins Rampenlicht und sorgte für eine Frischzellenkur. Weil die Filme auch noch kommerziell erfolgreich waren, ließ man die Nassforschen gewähren. Zu den wichtigsten gehörten außer Tarantino unter anderem die Brüder Joel und Ethan Coen (Fargo, 1996) sowie Paul Thomas Anderson (Magnolia, 1999).
Ein Glück war Quentin Tarantino für das kleine, 1979 gegründete Studio Miramax. Es stieg dank des überwältigenden Erfolgs von Pulp Fiction (1994) in die erste Hollywood-Liga auf. Was Tarantino-Filme so attraktiv macht, ist der einzigartige Stil des Regisseurs und Drehbuchautors: die ironiegetränkte Flut an Zitaten, die nichtlineare Erzählweise, die obskuren Charaktere, die zerzauste Handlung. Nachahmer gibt es viele, doch an das Vorbild kommt niemand ran. Zumal Tarantino ein glänzendes Händchen für die Besetzung hat. Die Karrieren von Bruce Willis und John Travolta nahmen dank ihm wieder Fahrt auf, Uma Thurman und Christoph Waltz wurden zu Stars. Samuel L. Jackson bekam dank Tarantino einige seiner besten Rollen. In einem seiner Film mitzuspielen, ist cool. Klar, dass längst auch Etablierte wie Brad Pitt und Leonardo DiCaprio Schlange stehen.
ACT DES MONATS
Zeit also, mal wieder das Werk von Quentin Tarantino unter die Lupe zu nehmen. Hier ist unser Ranking.
9. Death Proof (2007)
Dieser Ausflug ins Trash-Horrorgenre der 70er ist der einzige komplett misslungene Tarantino-Film. Kurt Russell spielt Stuntman Mike, einen Frauenmörder mit Muscle-Car, zwar angemessen knurrig. Doch die Geschichte ist viel zu dünn für 114 Minuten. Am Ende ist man froh, dass die Langeweile vorbei ist.
8. Kill Bill (2003/2004)
Für Tarantino selbst ist es ein einziger Film, nur eben in zwei Teilen. Somit ist er der längste, den der Mann geschrieben und gedreht hat. Die Killerin „Die Braut“ nimmt nach fehlgeschlagenem Versuch, sie zu beseitigen, fürchterliche Rache an ihren ehemaligen Kolleg:innen vom Attentatskommando Tödliche Viper. Dass Kill Bill nur den achten Platz in der Liste belegt, liegt am ersten Teil, der nicht recht vom Fleck kommt. Teil zwei ist deutlich kurzweiliger. Besonders sehenswert ist David Carradine, bekannt als Hauptdarsteller der 70er-Jahre-Fernsehserie Kung Fu und deshalb von Tarantino besetzt, als Bandenchef Bill. Martial Arts-Legende Gordon Liu ist, ein Service für Nerds, in gleich zwei selbstironischen Rollen zu sehen. Blickfang ist der gelbe Kampfanzug von Hauptdarstellerin Uma Thurman.
7. Once Upon A Time In Hollywood (2019)
Im Kino ist alles möglich. Wie in Inglourious Basterds (siehe unten) verändert Tarantino Geschichte. Hintergrund: 1969 wurde Sharon Tate, die damalige Frau des Autorenfilmers Roman Polanski, von der Manson Family ermordet. Wie es hätte anders kommen können, davon handelt dieser Film. Brillant sind die Hauptdarsteller. Leonardo DiCaprio spielt den ehemaligen Westernserien-Star Rick Dalton, dessen Karriere nur noch vor sich hindümpelt. Und Brad Pitt war nie cooler als in der Rolle von Daltons Stuntman und Kumpel Cliff Booth. Das Problem ist das Ende des Films, das zu sehr an Inglorious Basterds erinnert. Es fehlt die Überraschung.
6. The Hateful Eight (2015)
Klassiker wie Leichen Pflastern Seinen Weg von Sergio Corbucci (1968) und Tag Der Gesetzlosen von André De Toth (1959) standen Pate für diesen in Kapiteln erzählten grimmigen Schneewestern. Hauptsächlich ist er, ungewöhnlich für Tarantino, ein Kammerspiel. In einer bewirtschafteten Gebirgshütte treffen während eines Schneesturms Kopfgeldjäger, eine durchtriebene Gefangene und andere zwielichtige Gestalten aufeinander. Wieder einmal ist Tarantinos Lieblingsschauspieler Samuel L. Jackson eine Wucht. Die Twists der Geschichte helfen über manche Drehbuchschwäche hinweg.
5. Jackie Brown (1997)
Der Druck muss nach dem Sensationserfolg von Pulp Fiction riesig gewesen sein. Vielleicht ist Tarantino auch deshalb darauf verfallen, zum ersten und einzigen Mal einen Roman zu verfilmen. Vorlage für Jackie Brown ist Rum Punch, ein Thriller des US-amerikanischen Lakonikers Elmore Leonard. Tarantino nutzt das Buch für eine Hommage an die Blaxploitation-Filme der 70er. Deshalb darf Genre-Ikone Pam Grier auch die Hauptrolle der starken Frau spielen, die alle Seiten austrickst. Während Grier ebenso beeindruckt wie, da ist er wieder, Samuel L. Jackson als ebenso stylischer wie skrupelloser Waffenschieber, macht es sich Robert De Niro als grimassierender Kleingangster etwas zu einfach. Dennoch ist Jackie Brown äußerst unterhaltsam, wenngleich ein wenig zu lang.
4. Django Unchained (2012)
Viel Kritik hat Tarantino für diesen Husarenstreich einstecken müssen. Darf man das Thema Rassismus comichaft verarbeiten, noch dazu in einem kreischbunten Italo-Western? Klar darf man. Denn Tarantino, der angeblich Oberflächliche, nimmt das Thema sehr ernst. Jamie Foxx spielt den farbigen Rächer Django, der vom gebildeten deutschen Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) vom Sklaventum befreit und zum Killer ausgebildet wird. Zusammen versuchen sie, Djangos Frau Broomhilda (Kerry Washington) aus den Fängen des brutalen Südstaaten-Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) zu befreien. Ein paar Albernheiten gestattet sich Tarantino zwar. Doch die zweite Hälfte des Films ist meisterhaft. Es gelingen gespenstische Szenen, etwa als Candie den Schädel eines verstorbenen Sklavens zersägt und behauptet, Kerben im Inneren seien bei Schwarzen die Ursache für Unterwürfigkeit und Gehorsam. Nie war DiCaprio als Schauspieler mehr gefordert, nie war er besser. Ein großes Risiko ging auch Samuel L. Jackson ein. Andere afroamerikanische Mimen hätten die Rolle des verräterischen Haussklaven Stephen abgelehnt. Doch Jackson vertraute Tarantino. Und das völlig zu Recht.
3. Inglourious Basterds (2009)
Achtung, Spoiler! In diesem Film werden Hitler und Goebbels in einem Kino erschossen. Wie später in Once Upon A Time In Hollywood schreibt Tarantino Geschichte neu. Das kann nur anmaßend finden, wer verkennt, dass das Kino für Tarantino der einzige Ort ist, der jeden Traum erfüllt. Wie bei Django Unchained macht sich der Regisseur keineswegs über die Opfer lustig. Statt den Holocaust zu verharmlosen, findet er für die Menschenverachtung der Nazis grausame Bilder und Dialoge. Berühmt geworden ist der Beginn des Films: Wie SS-Oberst Hans Landa einen Bauern im besetzten Frankreich vorgetäuscht kameradschaftlich so lange bedroht, bis er die im Haus versteckten jüdischen Menschen verrät und damit ihr Todesurteil unterschreibt, beklemmt trotz Landas grotesker Meerschaumpfeife. Verdient wurde der gebürtige Wiener Christoph Waltz für seine Leistung als perverser Juden-Spürhund mit dem Oscar ausgezeichnet. Den Nazis hetzt Tarantino eine jüdische Kampftruppe auf den Hals. Hätte es sie nur gegeben.
2. Reservoir Dogs (1992)
Man kann Harvey Keitel, schauspielerisch zu Unrecht immer im Schatten von Robert De Niro, gar nicht genug danken, dass er das Talent von Tarantino erkannte, eigenes Geld in die Produktion des Erstlings butterte und auch gleich mitspielte. Reservoir Dogs wirkt immer noch so frisch wie damals. Das Zitatenkino ist schon da. Augenzwinkernd klaut das Regietalent von „Stoppt Die Todesfahrt Der U-Bahn 123“ (Joseph Sargent, 1974). Wie im Klassiker gibt es eine zusammengewürfelte Gangsterbande, deren Mitglieder nach Farben benannt werden. Wegen Polizei und so. Geplant ist ein fetter Raubüberfall, der freilich gewaltig schiefgeht. Es ist immer noch unglaublich, was für ein phänomenales Nachwuchs-Schauspielerensemble Tarantino, der selbst eine kleine Rolle übernahm, auch dank Keitel zusammenstellte: Steve Buscemi, Chris Penn, Michael Madsen, Tim Roth. Lange Dialoge, nichtlineare Erzählstruktur, Humor, Action, Gewaltorgien – Tarantino zeigte seine Talente. Und musste gleich lernen, mit Kritik umzugehen. Die Folterszene mit Michael Madsen war für einige Zuschauer deutlich zu viel des Guten. Filmpädagogen und Tarantino passten damals schon nicht zusammen.
1. Pulp Fiction (1994)
Tarantino redet gerne von perfekten Filmen, und Pulp Fiction ist einer. Es sind die 154 kurzweiligsten Minuten der Kinogeschichte. Jeder kann die Figuren runterbeten: Die sympathischen Killer Vincent und Jules. Die partysüchtige Gangsterbraut Mia. Der ausgebrannte Boxer Butch. Der Problemlöser Wolf. Eingebettet sind die Figuren in die spielerischen, so nie gesehenen verschachtelten Handlungsstränge und Rückblenden. Dazu gibt es eine Szene, die fast so oft zitiert worden ist wie die Bibel: der Tanz von Uma Thurman und John Travolta zu Chuck Berrys „You Never Can Tell“. Produziert für aus Hollywood-Sicht läppische 8,5 Millionen Dollar, spielte der Independent-Streifen 214 Millionen ein. Tarantino war urplötzlich der King, doch gewann er zusammen mit Roger Avary nur den Oscar für das beste Original-Drehbuch. Egal, Fehlentscheidungen hat es in der Geschichte der Academy – Alfred Hitchcock gewann nie eine Trophäe – sehr oft gegeben. Pulp Fiction ist Popkultur für die Ewigkeit.