Es war einmal mehr ein seltsames Jahr, aber Musik hat uns auch 2021 wieder getröstet, gefreut und gelassener gemacht: Sie ließ uns Tanzen und Nachdenken und sie war immer da. Hier kommen unsere Top Ten Alben 2021:
1. The Notwist – Vertigo Days
Nach fast 12 Jahren Pause erscheint mit „Vertigo Days“ 2021 endlich das sehnsüchtig erwartete neue Album der bayrischen Band The Notwist, das fragil und feingliedrig unsere angespannten Nervenbahnen zum Erklingen bringt. Die Songs darauf fließen auf zwei Ebenen ausgetüftelt und auch angenehm dahin: Man kann es als Kommentar zum Hier und Jetzt lesen, man kann es aber auch in die Ewigkeit mit einem Raumschiff schießen – es umkreist uns so oder so.
2. The Avalanches – We Will Always Love You
Psychedelischer Space-Sample-Pop – Das dritte Album der australischen Electropop-Band The Avalanches bezaubert mit Gaststars wie Tricky, Blood Orange, Johnny Marr, Jamie XX oder Karen O.: Kosmischer Sound, in Klänge für die Ewigkeit gegossen. (Anm. der Redaktion: Das Album wurde bereits im Dezember 2020 veröffentlicht – nach unseren Jahrescharts 2020).
3. Mogwai – As The Love Continues
Mit ihrem 10. Album schaffen es die schottischen Post-Rocker 2021 erstmals auf Platz 1 in den britischen Charts: Mogwai klingt dabei wie Mogwai – längst hat das Quartett seinen unique-Sound perfektioniert und lässt seine Klanglandschaften auf „As The Love Continues“ sich noch breiter als sonst entfalten.
4. Camera – Prosthuman
Hat diese Band eigentlich schon jemals ein schlechtes Album aufgenommen? Regelmäßig und zuverlässig liefern die Neo-Krautrocker von Camera aus Berlin aufregende Alben ab und erweitern auf ihrem fünften – und genial betitelten Werk „Prosthuman“ nochmal ihr treibendes schillerndes Klanguniversum um neue Aspekte. Lasst Euch in diese treibenden Synthwirbel und hypnotischen Sounds fallen! (Die Band wurde gerade nach 10 Jahren aus ihrem Proberaum/Studio gekickt und sucht dringend einen neuen Raum in Berlin. Wer etwas weiß, kann sich auf ihrem Facebook-Profil melden.)
5. Nick Cave & Warren Ellis – Carnage
Das Album, das 2021 einfach so vom Himmel fiel… Elegisch elektronisch und psychedelisch pulsierendes Gemeinschaftswerk von Nick Cave & Warren Ellis: „Carnage“ lädt einmal mehr in die Church of Cave voller hymnisch düsterer Songs.
6. A.A. Williams – Songs From Isolation
Die Britin A.A. Williams hat neun fantastisch traurige Coverversionen eingespielt und huldigt damit Künstlern wie Cave, Cure und Pixies. Die gefühlvollen Versionen von der Meisterin des „Death Gospel“ sind der beste, wenn auch emotional forderndste Trost, den man sich in dieser Zeit nur vorstellen kann. Multiinstrumentalistin Williams spielt mal die Gitarre, mal sitzt sie am Klavier, und immer verleiht sie den durchweg berühmten Songs ihre ganz eigene, vor allem durch Reduktion entstehende Note.
7. Little Simz – Sometimes I Might Be Introvert
Little Simz ist mehr als nur eine outspoken MC und UK Rap Ikone. Auf ihrem neuen Album gibt sie sich als wortgewaltige „Introvert“ zu erkennen. Ihre Fans verzaubert die wortgewaltige Künstlerin mit einem Genre-übergreifenden Style, der sich irgendwo zwischen Hip-Hop und Electro bewegt, aber sich nicht auf ein Genre beschränken will. Wie Little Simz selbst von sich behauptet, ist ihr Genre der experimentelle Rap, was ihr viele Freiheiten zum Ausprobieren lässt.
8. Newmen – Futur II
Selten passen Vergleiche für deutsche Acts mit internationalen Bands, aber „die deutschen Hot Chip“ wäre für die fünf eher unauffälligen Herren der Frankfurter Formation Newmen durchaus angemessen. Musikalisch mit allen Wassern gewaschen, sozialisiert durch den Krautrock der 70er Jahre, aber mit einem Fuß auf dem Dancefloor, spielen sie sich auf „Futur II“ in eine vergangene Zukunft, in der wir gerne gelebt hätten. Als Gast mit dabei: Wolfang Flür von Kraftwerk.
9. Tyler, The Creator – Call Me If You Get Lost
Rapper, Produzent und Kurator: Tyler, The Creator liefert auch auf seinem neuen Werk ein Vielfältigkeitsfeuerwerk ab, das vor Energie und Kreativität nur so strotzt. Kaleidoskopischer Synthpop trifft auf soulige Balladen und eine Prize Jazz gibt es obendrein – ekletisch, exzentrisch, episch!
10. Billie Eilish – Happier Than Ever
4 across the board! In seltener Eintracht gaben alle Mitglieder*innen der Tonspion-Jury eine solide 4 für Billie Eilishs zweites, erwachsenes Album. Zwar fehlt es hier und da an Dynamik und Überraschungsmomenten, um sich in Richtung der perfekten 5 vorzuarbeiten, aber Billie Eilish bestätigt mit „Happier Than Ever“, dass mit ihr auch in Zukunft zu rechnen sein wird, sofern sie sich nicht vom frühen Ruhm vereinnahmen lässt und so bei sich bleibt wie auf ihrem Album.
11. Viagra Boys – Welfare Jazz
Auch das zweite Album der Schweden ist energetisch und exzessiv: Post-Punk, der wütend klingt und einen doch zum Tanzen bringt. Im Oktober 2021 musste sich die Band von ihrem Gründungsmitglied Benjamin Vallé verabschieden, der im Alter von 47 Jahren gestorben ist.
12. Solomun – Nobody Is Not Loved
Clubbiges cooles Album des Hamburger Produzenten Mladen Solomun, das mit hochkarätigen Gästen wie Anne Clark, Isolation Berlin oder Tom Smith (Editors) aufwartet.
13. Arlo Parks – Collapsed In Sunbeams
Billie Eilish ist schon Fan der story-seligen Songs der erst 20-Jährigen, die die Gefühlslage der Generation Z zwischen Soul und Folk besingt.
14. International Music – Ententraum
Ein Traum von einem Genremix: Sixties-Seligkeit mit Spoken-Word-Coolness garniert mit Krautrock-Zitaten, Eighties-Anleihen, Tropicalismo-Hommagen, Shanty-Schlagerhaftem…
15. Django Django – Glowing In The Dark
Perfekter Psychpop: Kaleidoskopisch und kaskadenartig sowie spielfreudig und strahlend. Vintage Sounds treffen hier auf krautige Dancebeats.
16. Japanese Breakfast – Jubilee
Auf ihrem dritten Album umarmt Michelle Zauner alias Japanese Breakfast überschwänglich den Pop: Bittersüße Melodien treffen hier auf autobiografische Texte.
17. Curtis Harding – If Words Where Flowers
Für Iggy Pop einfach der beste Soulsänger unserer Zeit: Vintageverliebter Motown-Sound, kraftvoller Gospel und leidenschaftlicher Jazz.
18. Deafheaven – Infinite Granite
Deafheaven tauchen in die frühen 90er Jahre ein und zelebrieren auf „Infinite Granite“ verhallte Gitarren und verhuschte Songs.
19. Masha Qrella – Woanders
Musikalisches elektronisch-poppiges Denkmal für Autor Thomas Brasch, auch der „David Bowie der deutschen Lyrik“ genannt.
20. Whispering Sons – Several Others
Melancholisch düsterer Dark Wave, getragen von der einzigartig intensiv dunklen androgynen Stimme von Frontfrau Fenne Kuppens.
21. Lost Horizons – In Quiet Moments
Hier mischt Simon Raymonde, ehemalige Bassist der Cocteau Twins, mit und diese Shoegaze-Einflüsse sorgen für ein schönes Aufeinandertreffen von Euphorie und Melancholie.
22. Man On Man – Man On Man
Faith-No-More-Keyboarder Roddy Bottum und sein Partner Joey Holman feiern ihre Beziehung mit infektiösem wie intimem Math-Indie-Rock.
23. Sharon Van Etten – Epic
Einerseits ein Re-Isuue des 2010er Albums „Epic“, andererseits ein Coveralbum desselben mit unterschiedlichen Acts wie IDLES, Courtney Barnett oder Fiona Apple.
24. Jungle – Loving In Stereo
Eines der musikalischen Highlights des Sommers 2021: Disco-Funk und elegante Retro-Sounds, angereichert mit rockigen Elementen. Jungle liefern auch auf ihrem neuen Werk perfekten Retro-Pop und einen der Songs des Jahres.
25. Slowthai – Tyron
Zweites Album des wortgewaltigen britischen Rappers, das zwei Gesichter hat: Der erste Part besteht aus harten Tracks, der zweite ist sanft gehalten.
26. The Weather Station – Ignorance
Singer-Sonwriterin Tamara Lindeman aka The Weather Station spinnt verwobene, versponnene und verträumte Songs zwischen Avantgarde- und Folkpop.
27. Black Midi – Cavalcade
Noise- und Mathrock, der wie ein verrückt gewordener Hase Haken schlägt: Black Midi aus Brixton sprengen alle Genres.
28. Kings Of Convenience – Peace Or Love
Vor 20 Jahren lautete die Losung: „Quiet Is The New Loud“. Auf ihrem ersten Album nach zwölf Jahren Pause heißt es jetzt „Easy Is The New Loud“.
29. Sleaford Mods – Spare Ribs
Reduzierter Electrop-Pop mit rotzigem Rap aus Nottingham: Das Duo Sleaford Mods ist in seinem 14. Bandjahr politischer und punktrotziger denn je
30. Lucy Dacus – Home Video
Wieder einmal hat man bei Lucy Dacus das Gefühl den Soundtrack ihres Tagebuchs voller wunderschöner Pop-Melodien zu hören.
Die „Alben des Jahres“ werden jedes Jahr von der erweiterten Tonspion Redaktion bestehend aus aktiven und ehemaligen Autoren demokratisch gewählt. Jedes Jurymitglied vergibt Punkte zwischen 1 und 5 und am Ende wird nach der durchschnittlichen Punktezahl das Ranking erstellt.
Tonspion Jury: Nicole Ankelmann, Christoph Braun, Astrid Clave, Sebastian Cleemann, Kerstin Kratochwill, Christoph Prenner, Florian Schneider, Satoru Teshima, Martin Hommel, Udo Raaf