Begriffe wie NFT oder Web3 werden seit einiger Zeit auf allen Kanälen massiv als heißer Scheiß gepusht, häufig mit eindeutigem (finanziellen) Interesse. Warum man die gesamte Krypto-Szene kritisch betrachten sollte, erläutert Informatiker Jürgen Geuter.
Von tante
Deutsche Übersetzung mit Hilfe von Fabian Koglin
Version 1.2
Datum: 04.02.2022
Lizenz: CC-BY-SA 4.0
Ich hatte gehofft, dass ich das hier nicht schreiben müsste, dass Blockchains und NFTs und all dieser Krempel einfach wieder verschwinden und zu einem Kapitel in einem Buch über skurrile Betrugsmaschen werden. Aber wenn uns 2021 irgendetwas gezeigt hat, dann wohl, dass wir keine schönen Dinge haben dürfen und nun stehen wir also hier.
Einleitung
Du bist hier, weil du irgendwie daran interessiert bist, was Begriffe wie „Web3“ oder „NFT“ eigentlich bedeuten und was das alles soll. Vielleicht hat dir jemand den Link zu diesem Text zugeschickt, vielleicht folgst du mir auf irgendeiner Plattform. In diesem Dokument werde ich versuchen, zu erklären, was diese Begriffe bedeuten, auf welchen Vorstellungen und politischen Grundlagen sie fußen und was ich über sie denke. Ich werde mein Möglichstes tun, die Web3- und NFT-Ideen so fair wie möglich darzustellen, aber zur vollen Transparenz sollte ich wohl anmerken, dass ich kein Fan davon bin.
Warum solltest du mir bei dem Thema zuhören? Was sind meine „Qualifikationen“? Ich bin Informatiker und arbeite seit Jahren in der IT. Dabei habe ich sowohl Programmierung von Lösungen für Kunden gemacht als auch Konzepte und Architekturen für den Betrieb großer Automatisierungs- und IT-Transformationsprojekte für eine Reihe unterschiedlicher Kunden entwickelt und umgesetzt. Ich habe dadurch eine Menge Erfahrung nicht nur mit Software, sondern auch mit Hardware-Software-Kombinationen und der Gestaltung der sozialen und organisatorischen Prozesse, in denen diese Softwaresysteme eingebettet werden. Ich wurde auch schon als Experte für Blockchains, ihren Wert und ihre Regulierung in den Bundestag eingeladen. Außerdem habe ich bereits für diverse Publikationen ausführlich über das Thema geschrieben und die ganze Blockchain-/Web3-Bewegung öffentlich mit Kommentaren begleitet, seit sie an Fahrt gewonnen hat. Ich besitze keine Formen von Kryptowährungen.
Für wen ist dieser Text?
Dieser Text ist für ein allgemeines Publikum gedacht – für alle, die wissen wollen, was die ganze Aufregung soll und warum es sie interessieren sollte. Alle Künstler*innen, die gehört haben, dass NFTs die Zukunft der Kunst seien, und alle Gamer*innen, die das gleiche zum Thema Videospiele gehört haben. Für alle, die sich schon mal einen Vortrag darüber anhören mussten, wie die Zukunft des Internets auf der Grundlage dieser schwer zu fassenden Technologie aufgebaut werden soll. Für alle, die mit NFT-Investment-Chancen bombardiert werden, die zu gut klingen, um wahr zu sein.
ACT DES MONATS
Deshalb werde ich einige Sachen durchgehen, die du vielleicht schon weißt oder von denen du schon einmal gehört hast. Ich werde gewisse technische Aspekte erklären, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind, aber die Abschnittsüberschriften sollten es einfach machen, die Teile zu überspringen, bei denen du dich schon auskennst. Dieses Dokument soll den Großteil von dem abdecken, was bei diesem Thema wichtig ist – plus ein paar zusätzliche Gedanken und Anmerkungen von meiner Seite, wobei ich aber deutlich aufzeigen werde, was meine Meinung und was einfach nur ein Versuch der neutralen Beschreibung ist.
Ich habe versucht, den Abschnitten sehr sprechende Titel zu geben, damit du direkt zu den Teilen springen kannst, die dich am meisten interessieren. Dieses Dokument ist ein lebendiges Dokument. Es kann also aktualisiert werden, falls sich dies als nötig oder sinnvoll erweist. Dazu findest du eine Versionsnummer am Anfang des Dokuments.
Sollen wir dann mal loslegen?
(Falls du lieber Videos schaust, hier der Vortrag des Autoren bei der re:publica 22.)
Eine kurze Geschichte des Webs
Tim Berners-Lee prägte den Begriff WorldWideWeb 1990 und legte das Fundament für das, was heute als „Web1.0“ angesehen wird (und immer noch in den meisten Technologien, die wir heute im Internet nutzen, spürbar ist). Das Web1.0 war eine Nischentechnologie mit sehr begrenzten visuellen Ausdrucksmöglichkeiten und Design-Optionen. Es war vor allem darauf ausgerichtet, Menschen (vor allem Wissenschaftler*innen) zu erlauben, Dinge über ihre Arbeit zu veröffentlichen. Aber Menschen mit Zugriff darauf (also vor allem Menschen an Hochschulen) waren sehr schnell begeistert und fingen an, andere Arten von Webseiten anzulegen – zu beliebigen eigenen Interessen oder als Experiment mit dem Format zu künstlerischen Zwecken oder oder oder.
Aber etwas im Web zu veröffentlichen war immer noch recht schwierig. Man musste ziemlich viel von der Technik und der Markup-Sprache “HTML” kennen (oder zumindest in Grundzügen verstehen), um etwas zu produzieren, das andere Menschen sehen und nutzen konnten. „Webspace“, der die eigenen Daten hosten konnte, stand üblicherweise nur Mitarbeitenden und Studierenden an Hochschulen zur Verfügung. Es dauerte eine Weile, bis andere Provider auf den Markt stießen. Mitte der 1990er kamen dann die ersten Online-Shops auf und die Kommerzialisierung des Internets setzte ein.
1999 wurde der Begriff „Web2.0“ geprägt. Dabei handelte es sich nicht um ein klar abgegrenztes Update wie bei einer Software, sondern die Essenz von vielen verschiedenen sozialen und technischen Entwicklungen, die unter diesem Überbegriff zusammengefasst wurden. Das Web2.0 zeichnete sich dadurch aus, dass das Veröffentlichen mithilfe von visuellen Tools vereinfacht wurde und man so eine Website erstellen konnte, ohne viel Ahnung von der Technik zu haben. Daher wurde es manchmal auch das „soziale Web“ oder das „partizipative Web“ genannt. Der technologische Fortschritt machte es möglich, für wenig Geld (oder mit Werbung kostenlos) einen eigenen Webspace zu haben, mithilfe dessen man eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten aufbauen konnte. Online-Foren spielten eine große Rolle und Blogs hatten ihre Blütezeit mit Blog-Netzwerken, die miteinander schrieben und sich gegenseitig kommentierten und so Beziehungen schufen, die teilweise bis heute halten. Das Web2.0 brachte uns auch viele der großen Plattformen, die wir heute kennen: Facebook/Meta existiert nur dank dieser Wende hin zu benutzergenerierten Inhalten. Google (die Suchmaschine) hätte zwar auch in bloßen Web1.0-Welten existieren können, aber der Großteil von Googles aktuellen Diensten ist maßgeblich verbunden mit Daten, die die Benutzer*innen entweder explizit oder durch ihre Nutzung zur Verfügung stellen.
Mehr oder weniger direkt als Reaktion auf den Begriff „Web2.0“ entwickelte sich (vorwiegend in akademischen Kreisen) die Idee eines „Web3.0“, eines sogenannten „semantischen Webs“, das die Daten im Web für Maschinen und Software les- und daher nutzbar machen sollte. Aber diese Variante des Web3.0 fand nie so richtig Anklang. Einige Ideen überlebten und gingen in aktuelle Technologien ein, aber das semantische Web scheiterte als Gesamtidee, zum Großteil weil der Nutzen in keinem Verhältnis stand zu den massiven Anstrengungen, die nötig gewesen wären, um es an den Start zu bringen – und weil die meisten Großkonzerne wenig Interesse an interoperablen Technologien hatten, die vielleicht der Konkurrenz helfen könnten.
Deshalb sind wir aktuell immer noch beim Web2.0, obwohl der Begriff mittlerweile etwas außer Mode gekommen ist. Das Web2.0 ist genau das, was du wahrscheinlich jeden Tag nutzt, sei es auch nur über Apps auf deinem Handy. Aber obwohl es ein riesiger Erfolg war, ist längst nicht alles daran großartig.
Motivationen für ein Web3
In letzter Zeit hat der Begriff „Web3“ einigen Aufwind bekommen. Und zwar nicht, weil die Menschen plötzlich die Ideen und Technologien des semantischen Webs wiederentdeckt hätten, sondern als völlig neuer Nachfolger des Web2.0.
Obwohl der Begriff vor allem aus einer Community stammt, die sich um eine spezielle Datenbank-Technologie namens „Blockchain“ gebildet hat (was das genau ist, klären wir später), gibt es nicht nur eine Motivation, die die Web3-Bewegung antreibt, sondern eine Reihe von unterschiedlichen und teilweise auch widersprüchlichen Motivationen. Alle davon aufzuzählen, ist praktisch unmöglich, aber ich werde mir Mühe geben, einige der einflussreichsten zu skizzieren.
- Eine Motivation ist, dass das derzeitige Web als von einer Handvoll mächtiger Konzerne gekapert angesehen wird (dabei geht es vor allem um Facebook/Meta, Google, Amazon usw.). Für viele ist diese unternehmenszentrierte, kapitalistische Macht, die sich zunehmend von Gesetzen und Vorschriften losgelöst anfühlt, ein Verrat an den Werten und Versprechen, die sie ursprünglich im Internet sahen. Als Facebook seinen Namen in „Meta“ änderte, um das „Metaverse“ zu bauen, übernahmen sie kurzerhand den Instagram-Accountnamen „Metaverse“, der zuvor von anderen genutzt wurde (Instagram gehört zum Meta/Facebook-Konzern). Diese absolute Macht, die Menschen jeden Tag erleben, führt dazu, dass viele das Web „in Ordnung bringen“ wollen.
- Die sehr technologiefixierte Blockchain-Bubble sucht schon seit einer Weile nach neuen Anwendungsfeldern für ihre Technologie – ein neues Web auf der Grundlage von Blockchain-Ideologie und -Technologie aufzubauen, würde den Wert und die universelle Nützlichkeit ihrer Technologie endlich unzweifelhaft nachweisen.
- Kunstschaffende und Kreative sehen Web3 als Chance, ein soziotechnisches System zu erschaffen, dass es einfacher machen würde, mit kreativer Arbeit über die Runden zu kommen. Die Art und Weise, wie digitale Technologien funktionieren, hat dazu geführt, dass Geld an kreativen Werken zu verdienen nicht immer so klar und einfach ist wie in der analogen Welt: CDs zu verkaufen ist konzeptuell halt deutlich simpler als Menschen irgendwie dazu zu bewegen, für eine MP3-Datei zu bezahlen, die sie auch überall umsonst streamen können. Für Kreative kann es eine große Herausforderung sein, ein stabiles Einkommen aufzubauen, wenn ihre Erzeugnisse praktisch zum Nulltarif kopiert, geteilt und gespeichert werden können.
- Risikokapitalgeber*innen und Investor*innen suchen schon seit einer Weile nach dem nächsten großen Ding. Die „Uber, aber für X”-Welle an Investments ebbt ab und bringt nicht mehr so viel Rendite wie früher und so gibt es aktuell eine noch nie zuvor dagewesene Menge an Kapital auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten. Und genau hier kommt Web3 ins Spiel. Eine neue Welt, wo man als Erstes in das nächste Google investieren kann, eine neue Welt, die man so einrichten kann, dass die Renditen, die man gerne hätte, dort einfacher generiert werden können als in der aktuellen Welt.
- Zu guter Letzt ist da auch noch der Wunsch vieler Leute, ein Teil „der Zukunft“ zu sein, zur Avantgarde zu gehören. Die Behauptung, das nächste Web aufzubauen, die Version nach der, die der langweilige Mainstream benutzt, erzeugt das Gefühl, nicht nur schlauer als alle anderen zu sein, sondern die Zukunft der Menschheit mitzugestalten. Das Internet ist nicht einfach nur irgendeine Technologie und Teil der Bewegung zu sein, die die nächste Version erschafft, ist an und für sich motivierend.
Nochmal zur Klarstellung: Es gibt noch mehr Motivationen und es kommt selten vor, dass eine Person nur von einer einzigen Motivation angetrieben wird. Ein Risikokapitalgeber sieht vielleicht eine Chance, Geld zu verdienen, glaubt aber auch wirklich daran, dass er die Zukunft mitgestaltet. Eine Künstlerin hat vielleicht einerseits die Schnauze voll von Facebook/Meta und Amazon und Google, will aber gleichzeitig auch von ihrer kreativen Arbeit leben können. Trotzdem glaube ich, dass die fünf Motivationen, die ich oben skizziert habe, sehr viel davon abdecken, was Leute in dieser Bubble antreibt.
Gleichzeitig sehen wir schon direkt, dass diese Motivationen sehr verschiedener Art sind: Einige drehen sich sehr konkret ums Geld verdienen, während andere sehr abstrakt und vage sind. Einige sind äußerst anschlussfähig an Analysen der aktuellen Situation, denen viele Menschen (egal ob Web3-Unterstützer*innen oder nicht) zustimmen würden, während andere sich sehr stark um Überzeugungen und Identität drehen. Das Zusammentreffen und die Vermischung und Verzwirbelung dieser Motivationen führt zu der sehr lautstarken, sehr aktiven und sehr selbstbewussten Bewegung, die hinter dem Web3 steht.
Nichtsdestotrotz ist recht offensichtlich, dass einige dieser Motivationen nicht gut miteinander in Einklang zu bringen sind: Ein Web zu bauen, das nicht mehr im Würgegriff einiger großer Konzerne steckt, steht gefühlt in starkem Widerspruch zu den Zielen der Web3-Risikokapitalgeber*innen, die oft zufällig genau dieselben Leute sind, die auch schon die Giganten des alten Webs finanziert haben. Wenn es dir vor allem darum geht, die Blockchain-Technologie zu nutzen, ist es dir vielleicht nicht so wirklich wichtig, ob irgendwelche Künstler*innen mit ihren Werken Geld verdienen können. Du willst vor allem, dass das Ding auf einer Blockchain aufbaut, egal was es real erreicht.
Das Web3 ist immer noch ein sehr lose definiertes Ideenpotpourri, deshalb ist es schwierig, genau zu sagen, was es ist und was nicht, aber wir werden versuchen, uns dem so weit wie möglich zu nähern. Dafür müssen wir aber zuerst einmal die Technologien dahinter verstehen.
Die Technologie
Man könnte ganze Enzyklopädien mit den verschiedenen Technologien füllen, die unter dem Dach des Web3 aufeinander aufgebaut wurden (einige aus der Web3-Bubble haben es wahrscheinlich auch schon gemacht). Aber für diesen Text konzentrieren wir uns auf drei Technologien: Als erstes Blockchain-Datenstrukturen, als zweites eine sehr spezielle Objektart auf Blockchains namens „non-fungible token“ (NFT) und als drittes eine Organisationsstruktur, die DAO genannt wird. Wir beschränken uns darauf, damit der Text zumindest halbwegs knapp und verständlich für alle bleibt. Wenn du schon weißt, was diese drei Dinge sind und tun sollen, kannst du diesen Teil einfach überspringen – wenn du dir nicht 100%ig sicher bist: er ist nicht so lang, da kommen wir schon gemeinsam durch.
Blockchains
Blockchains sind eine Art, Daten zu speichern, also letztendlich eine sehr spezielle Art von Datenbank. Traditionelle Datenbanken laufen üblicherweise auf einem Server (oder mehreren, aber wir halten es jetzt mal einfach) und Clients verbinden sich dann mit diesem Server, um Daten zu speichern oder abzurufen. Blockchains speichern Daten dezentral so, dass jeder Knotenpunkt im Netzwerk alle Daten lokal zur Verfügung hat. Wenn bei einer traditionellen Datenbank der Server ausfällt, kann niemand auf die gespeicherten Daten zugreifen. Dezentrale Ansätze (unter denen Blockchains nur einer von vielen ist) haben dieses Problem nicht.
Was Blockchains besonders macht ist die Art, wie sie Daten organisieren: Daten werden in Blöcke aufgeteilt, wobei jeder Block mit dem vorangehenden verbunden ist und damit die „Chain“ (engl. für „Kette“) ergibt. Blockchains haben dabei eine besondere Eigenschaft von einer älteren Idee, den Merkle-Trees, übernommen, und zwar durch die Verzahnung der Blöcke dafür zu sorgen, dass die Blöcke selbst unveränderlich werden. Das Ganze funktioniert folgendermaßen:
Nehmen wir an, du hast einen Block mit 10 Namen, die du in einer Blockchain speichern möchtest. Nachdem du die kompletten Daten für den Block zusammengestellt hast (also auch inklusive Metadaten wie Erstellungsdatum des Blocks und Kennung des vorhergehenden Blocks), „hashst“ du den Block. Hashing in der Informatik bedeutet, dass man einen Text nimmt und ihn durch ein Programm jagt, welches daraus eine neue, üblicherweise kürzere, Zeichenfolge generiert, anhand derer man dann feststellen kann, ob der Text geändert wurde. Denn eine Hash-Funktion generiert für den gleichen Text auch immer die gleiche Ausgabe, aber wenn der Text auch nur geringfügig geändert wird, z. B. durch ein Leerzeichen irgendwo, wird die Ausgabe der Hash-Funktion vollkommen anders aussehen.
Ein Beispiel: Die Zeichenfolge „tante“ ergibt nach dem Hashen mit sha256 (eine bekannte Hash-Funktion) eb4e5ad707b9c63725fdcb1fa645ec5cfdb284884ee3841eef274ed37fcc3c75. Die Zeichenfolge „tante!“ mit einem zusätzlichen Ausrufezeichen ergibt gehasht aber ead36ca04a4d325c493e3871274efef1c02aa1cfc2f00667e61d560734485a15. Kleine Änderungen im Text führen zu massiven Änderungen im Hash. Wenn also jemand den Inhalt der Blocks manipulieren würde, wäre dies sofort sichtbar. Und da die Ergebnisse des Hashens so unvorhersehbar sind, ist es fast unmöglich, dies zu umgehen – zumindest so lange eine gute Hash-Funktion genutzt wird. Zudem können Hashes sehr schnell generiert werden, was das schnelle Überprüfen eines Hashs sehr einfach macht.
Blockchains nutzen diese Hashes der einzelnen Blöcke als Bindeglieder der Chain: Der neueste Block verweist auf den Vorgängerblock mittels dessen Hash, dieser verweist dann wieder auf seinen Vorgängerblock mittels dessen Hash usw. Und weil Hashen mit so wenig Rechenaufwand verbunden ist, kann sehr einfach sichergestellt werden, dass Blöcke in der Blockchain nicht verändert werden können: Weil die Verknüpfung zum Vorgängerblock der Hash selbst ist, kann die Chain nicht manipuliert werden. Selbst wenn man versuchen würde, die Verknüpfung auf einen anderen, manipulierten Block abzuändern, würde es den Hash des aktuellen Blocks ändern. Dieser kleine Trick macht es schwer, wenn nicht sogar im Grunde genommen unmöglich, den Inhalt einer Blockchain zu manipulieren: Wenn etwas erst einmal drin ist, bleibt es drin – und kann auch nicht mehr geändert werden. Du kannst dir jetzt wahrscheinlich auch schon denken, warum Daten in einer Blockchain nicht gelöscht werden können: Daten zu löschen würde einen Block verändern, was dann Änderungen an den Hashes aller nachfolgenden Blöcke zur Folge hätte. Deshalb können Transaktionen in so einem System auch niemals rückgängig gemacht werden (da dies eine Änderung eines Blocks erfordern würde). Transaktionen können nur rückgängig gemacht werden, wenn Empfänger*innen das jeweils übertragene Objekt zurückschicken.
Das an sich ist ja alles schön und gut. Viele Programme, die nichts mit Blockchains zu tun haben, nutzen das gleiche Konzept (vielleicht hast du schon einmal von git gehört, einem Tool, in dem Programmierer*innen ihren Code abspeichern). Blockchains zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie trotz Dezentralisierung Datenkonsistenz sicherstellen wollen, also dass jeder Knoten im Netzwerk (letzten Endes) die gleichen Daten und die gleichen Blöcke hat. Das ist kein einfaches Problem, insbesondere da es in einem wirklich dezentralen System ohne Entscheidungs- oder Administrationsinstanz keine Stelle gibt, die Konflikte auflösen kann. Deshalb mussten die Leute sich Strategien überlegen, wie innerhalb des Netzwerks ein Konsens gebildet werden kann.
Strategien zur Konsensbildung
Das Konsensproblem ist für einen großen Teil des problematischen Rufs von Blockchains verantwortlich. Wegen diesem Problem verbrauchen einige Blockchains so viel Strom wie ein mittelgroßer Staat.
Das Problem, dem Blockchains gegenüberstehen, ist tatsächlich ziemlich schwierig zu lösen: Wie kann man sicherstellen, dass die Daten innerhalb des Netzwerkes konsistent bleiben, wenn es keine Schiedsstelle gibt und die Knoten einander nicht vertrauen oder sich überhaupt auch nur kennen? Wie kann man so ein System gegen Manipulationen schützen? Und ganz grundlegend: Wie wird eigentlich entschieden, wer den nächsten Block erstellen darf?
Die meisten aktuell beliebten Blockchains (wie Bitcoin und Ethereum) verfolgen dabei einen Ansatz namens „Proof of Work“ (engl. für „Arbeitsnachweis“): Um den nächsten Block zur Chain hinzuzufügen, muss man ein recht schwieriges Problem lösen, dessen Lösung aber einfach zu überprüfen ist.
Im Falle von Bitcoin, zum Beispiel, kann man beim Erstellen eines Blocks zusätzlichen Text hinzufügen, im Prinzip wie ein Kommentar. Dieser ändert nichts an den Transaktionen im Block, wird aber miteinbezogen, wenn der Hash für den Block berechnet wird. Dieser Text bzw. Kommentar ändert den Hash (siehe oben) massiv. Das gibt der Chain genug Luft, um Rätsel zu erstellen, die komplex genug sind.
Zum Beispiel könnten wir Leuten folgende Aufgabe stellen: „Finde einen Hash, der mit 123 anfängt“. Es kann sein, dass es selbst durch die Auswahl verschiedener Transaktionssätze oder das Ändern der Reihenfolge nicht möglich ist, die Aufgabe zu erfüllen, also einen Block zu finden, der einen solchen Hash erzeugt. Der Extra-„Kommentar“ liefert dabei genug Spielraum, weitere Optionen auszuprobieren. Die Leute (bzw. deren Computer) müssen zwar trotzdem eine Menge rumprobieren, damit sie den richtigen Text für einen Block mit der gewünschten Eigenschaft finden, aber es wird immer möglich sein.
Und wenn du einen Text/Kommentar gefunden hast, der die richtige Art von Hash liefert, können alle ganz einfach sehen, dass die Lösung stimmt und das Rennen um den nächsten Block kann losgehen. Falls du jemals schon mal von „minen“ gehört hast, war genau das gemeint: Einen neuen Block an die Chain anhängen und die dazugehörige Belohnung erhalten. (Im Fall von Bitcoin kriegst du einige Coins „aus dem Nichts“, wenn ein Block gemined wurde. Leute, die gerne möchten, dass ihre Transaktionen schnell in Blöcken unterkommen, können auch eine Bitcoin-Belohnung [aber bloß nicht Bestechung nennen!] dafür ausloben.)
„Proof of Work“ ist also eigentlich einfach nur sehr schnelles Wörter- und Zahlenraten. Da das Erstellen des nächsten Blocks bei den meisten Chains belohnt wird, motiviert dies Leute dazu, viel Energie in die Suche zu investieren. Und je mehr z. B. 1 Bitcoin wert ist, desto mehr Energie lohnt es sich, dafür zu verbrennen, nur um den nächsten Block zu erstellen und durch Coins belohnt zu werden.
Es gibt auch noch andere Strategien. Die andere sehr beliebte Strategie nennt sich „Proof of Stake“ (engl. für „Anteilsnachweis“). Hier hinterlegen Personen „Tokens“ (was das ist, klären wir später) als Sicherheit, und aus den Personen, die sich so quasi “eingekauft” haben, wird eine ausgewählt, um einen Block zu minen. Falls sie diese Macht missbraucht (zum Beispiel indem sie ungültige Transaktionen in Blöcke schreibt), sind die Tokens weg. Hierfür braucht man weniger Energie, aber dafür gibt es andere Probleme – zum Beispiel das automatisch ungleiche Machtverhältnis zwischen denen mit vielen und denen mit wenigen Tokens: Wer viele Token hat kann sich einfacher und mehr Zugang zu der Entscheidungsmacht (und den damit verbundenen Belohnungen) kaufen. .
Traditionelle Datenbanken haben dieses Problem nicht, weil die Clients sich einloggen und der Datenbankserver dann einfach – wie eine Schiedsrichterin – entscheidet, wessen Daten zuerst eingespeichert werden. Die dezentrale Architektur von Blockchains erfordert jedoch Konsensbildung, da die „Chain“ sonst in unendlich viele verschiedene Block-Schnipsel zerbricht und niemand mehr weiß, was eigentlich wahr ist. Wenn meine Chain sagt, dass ich 1000 Bitcoins habe, und deine sagt, dass ich 0 habe, haben wir ein Problem.
Man kann im Prinzip beliebige Daten in Blockchains speichern. Aber die meisten aktuell genutzten Blockchains erfassen Transaktionen, also den Transfer von Tokens oder Werten von einem Konto zu einem anderen. Schauen wir uns als nächstes mal an, was Tokens sind.
Tokens und NFTs
Okay, wir wissen jetzt, wie Blockchains funktionieren, aber es ist immer noch nicht wirklich klar, was genau zum Beispiel eine Bitcoin eigentlich ist. Ich meine dabei nicht auf der theoretischen Ebene (will jetzt gar nicht erst anfangen mit Geld- und Werttheorien), sondern auf der technischen Ebene.
Blöcke in der Bitcoin-Blockchain enthalten Transaktionen zwischen verschiedenen Konten. Ein Konto wird erstellt, indem man die geheimen kryptographischen Schlüssel dafür generiert und hat einen Anfangssaldo von 0 Bitcoin. Durch das Erstellen von neuen Blöcken oder Empfangen von Bitcoin-Transaktionen ändert sich dieser Saldo. Bitcoins sind dabei keine „Dinge“, noch nicht einmal „digitale Dinge“, sondern vielmehr eine Abstraktion für das, was das Blockchain-Kassenbuch nachhält. Du „besitzt“ eine Bitcoin, wenn dein Konto sagt, dass es >1 BC enthält. Aber du könntest sie nicht als Gegenstand abheben wie Bargeld bei der Bank. Bitcoins sind einfach eine Art anschauliche Kurzform, mit der man die Zahlen, die zwischen den Konten hin- und herwandern, beschreiben kann.
Aber nicht alle Blockchains verfügen über so einfache Datenmodelle wie Bitcoin. Ethereum zum Beispiel – die andere große Blockchain, die Leute nutzen – verfügt über ein Konzept namens „Smart Contracts“ (engl. für „intelligente Verträge“). Der Name ist dabei ein bisschen irreführend, weil es nicht wirklich Verträge sind, sondern einfach Codeschnipsel, die unter bestimmten Bedingungen ausgeführt werden. Diese Codeschnipsel können alles Mögliche tun und sogar neue Arten von digitalen Objekten erstellen.
In gewisser Weise unterstützt die Bitcoin-Blockchain einfach nur eine einzige Art von Smart Contract – nämlich Bitcoin und Bitcoin-Transfers. Mithilfe von Ethereum können neue Contracts und Funktionalität in die Chain selbst eingebaut werden. So könntest du zum Beispiel eine neue Art Token namens „Testcoin“ auf der Ethereum-Blockchain erstellen, welche dann über deinen Smart Contract verfügbar ist.
Die meisten Tokens sind sog. „fungible“ Tokens (engl. für „austauschbar“). Das bedeutet, dass es egal ist, welchen Token du genau hast – sie sind alle gleich. Es bedeutet auch, dass du sie zerteilen kannst, Stücke dieser Tokens woanders hin verschicken kannst und sie dort dann wieder mit anderen Stücken von anderen Tokens „zusammensetzen“ kannst. Letztendlich sind sie wie klassisches Geld: Es ist egal, welchen 10-EUR-Schein du hast (sofern du darauf nicht irgendetwas notiert hast, aber das geht hier etwas zu weit) und du kannst auch einfach nur 0,50 EUR von diesen 10 EUR nehmen und sie einer anderen Person geben.
Irgendwann sind Leute aber auf die Idee gekommen, Tokens zu erstellen, die anders sind – „non-fungible“ (engl. für „nicht austauschbar“). Diese Tokens können nicht einfach zerteilt werden und es macht einen Unterschied, ob du den Token mit der Nummer 1 oder mit der Nummer 13 hast. Meistens wird dies benutzt, um entweder einen physischen Gegenstand oder etwas Anderes, was einzigartig sein soll, zu repräsentieren. Genau das sind dann NFTs. NFTs sind besonders, weil sie in gewisser Weise einer fundamentalen Wahrheit der digitalen Welt widersprechen, nämlich der kostenfreien Reproduzierbarkeit. Ein bestimmter NFT kann nur von einer einzigen Person besessen und nicht dupliziert werden. Man könnte einen anderen Token mit dem gleichen Inhalt erstellen, aber dies wäre dann ein anderes Objekt auf der Blockchain und das Duplikat wäre sofort als solches erkennbar.
Abgesehen davon sind NFTs wie andere Tokens auf einer Blockchain: Sie können zwischen Konten hin- und hergeschickt werden und der Smart Contract, dem sie unterliegen, kann zum Beispiel bestimmen, dass sie nur übertragen werden können, wenn die erforderlichen Bedingungen in der Blockchain erfüllt werden. Der Transfer könnte zum Beispiel daran gebunden sein, dass die Bezahlung angekommen ist.
DAOs
DAOs, ausgeschrieben „decentralized autonomous organizations“ (engl. für „dezentrale autonome Organisationen“) sind im Prinzip Smart Contracts mit einer Mission. Üblicherweise denken wir bei einer Organisation an eine Gruppe von Menschen mit irgendeiner Art von gemeinsamem Ziel und einer Reihe von Regeln, die bestimmen, wie die Organisation funktioniert. Das umfasst üblicherweise irgendeine Art von Hierarchie oder andere Formen der Entscheidungsfindung. DAOs versuchen nun, die Menschen aus diesem System auszuklammern, indem eine „Code is law“-Ideologie (engl. für „Der Code ist das Gesetz“) umgesetzt wird.
Eine DAO ist ein Smart Contract, der auf der Grundlage von Informationen und Ereignissen Entscheidungen über etwas trifft. Eine verbreitete Idee ist es zum Beispiel, Code zu schreiben, der darüber entscheidet, wann und wo Geld investiert werden soll. Leute können ihre Tokens in die DAO investieren, welche dann auf der Grundlage des Codes im Smart Contract Entscheidungen über die investierten Tokens trifft. Aber im Prinzip können DAOs eigentlich für alles, was man sich vorstellen kann, implementiert werden.
DAOs sind relevant, weil sie zwar technisch nur Smart Contracts sind, aber auf der anderen Seite eine Art von Organisation (welche man auch als soziale Technologie ansehen könnte) sind, die vor Blockchains nicht wirklich in dieser Weise genutzt wurde.
Das war der Grundlagen-Teil zur Technologie. Es gibt natürlich noch viel mehr Details, zum Beispiel Blockchains mit anderen Merkmalen und Versprechen, aber die Idee im Allgemeinen haben wir glaube ich ganz gut abgedeckt. Schauen wir uns also einmal genauer an, was Web3 eigentlich ist.
Was ist Web3 eigentlich?
Weiter geht’s mit dem Thema Web3. Falls du den Technologie-Teil übersprungen hast, willkommen zurück. Versuchen wir einmal zusammen zu fassen, was das Web3 eigentlich ist: Das Web3 ist keine klar definierte Menge an Technologien oder Protokollen oder Workflows, aber das war beim Web2.0 auch nicht wirklich der Fall. Genau wie das Web2.0 hat das Web3 gewisse technologische Grundlagen und Grundannahmen, ist aber gleichzeitig auch ein ideeller Begriff für eine Reihe von überlappenden Visionen, Ideologien und Zielen. An vielen Stellen macht das Web3 einfach irgendetwas und nennt es dann das Web3. Aber trotz all der Widersprüche und Unklarheiten gibt es einige Aspekte, die für das Web3 grundlegend sind.
Hier mal ein erster Entwurf einer Definition:
Web3 ist eine Blockchain-basierte Backend- und Infrastrukturschicht, die auf bestehenden Netzwerktechnologien aufbaut und darauf abzielt, das Internet auf eine radikal dezentrale und individualistische Art umzustrukturieren. Alle Dienste, die erforderlich sind, damit Einzelne innerhalb dieser neuen Infrastruktur etwas tun können (z. B. Identitätsmanagement, Speicherung von Inhalten usw.), werden durch dezentrale Smart Contracts oder darauf aufbauende Dienste bereitgestellt. Frontends, die das Web3-Internet nutzen, sehen zwar noch so wie aktuell aus (browserbasierte Apps), aber sie beziehen ihre Inhalte nicht mehr von zentralen Servern, sondern von Blockchain-basierten Inhaltsprovidern, was Einzelnen durchsetzbare Eigentumsrechte an den Daten und Inhalten, die sie erschaffen oder kaufen, verschafft.
Web3 soll nicht heißen, dass du deinen Browser wegschmeißen musst. Tatsächlich gibt es viele Dinge, die sich nicht ändern sollen: Zum Beispiel würdest du immer noch einen Kommentar unter einem Blogartikel schreiben können. Aber der Kommentar würde dann nicht mehr auf dem Blog-Server liegen, sondern in einer Blockchain gespeichert und mit einer deiner Identitäten verknüpft, sodass er niemals mehr vollkommen gelöscht werden könnte. Der Kommentar wird vielleicht irgendwann nicht mehr unter dem Blogartikel angezeigt, aber er ist immer noch in einer Blockchain gespeichert und mit dem ursprünglichen Inhalt verknüpft.
Sehr wichtig für dieses Konzept sind Identitäten. Nicht im Sinne einer echten, rechtsgültigen Identität, sondern im Sinne von „ich habe eine Reihe von Identitäten, die ich nutze und die mit Inhalten/Tokens verknüpft werden können“, denn Tokens sind nur wirklich nützlich, wenn sie Besitzer*innen haben. Aber im Web3 ist es möglich, praktisch unbegrenzt viele Identitäten zu haben, Tokens mit ihnen zu verknüpfen und mit ihnen online zu agieren – es ist kein „eine Person, eine Identität“-System.
Das Web3 legt sehr viel Wert auf Tokens: Alles sollte möglichst ein Token sein. Eine Domain? Sollte ein Token sein. Ein Blogpost? Sollte ein Token sein. Dein Konto bei irgendeinem Twitter-ähnlichen Dienst? Sollte ein Token sein. Das Web3 möchte alles, was irgendwie geht, in Tokens verwandeln, denn das funktioniert zum einen gut auf Blockchains und soll zum anderen „echtes“ digitales Eigentum ermöglichen. Wenn eine Domain ein NFT ist, der jemandem gehört, kann es nie Streit darüber geben, wem die Domain gehört – natürlich der Person, die aktuell den Token besitzt. Wer kann einen bestimmten Inhalt löschen oder modifizieren (also eine neue Version hochladen)? Natürlich die Person, die den jeweiligen Token besitzt. (Es gibt auch Konstellationen, in denen mehrere Leute über einen Smart Contract einen Token zusammen besitzen und dieser Smart Contract dann die Regeln definiert, wie diese Leute einen Konsens zur Übertragung des Tokens erreichen können.)
Das alles klingt jetzt vielleicht etwas seltsam, aber einige Teile davon klingen doch ganz gut, oder nicht? Schauen wir uns aber jetzt erst noch ein bisschen die Überzeugungen und politischen Grundlagen an, bevor wir zu meiner eigenen Meinung kommen.
Die Überzeugungen und politischen Grundlagen des Web3
Jede Technologie, jedes von Menschen hergestellte Ding ist politisch. Bei einigen Dingen sind politische Ansichten strukturell und essenziell tief verankert (eine Schusswaffe zum Beispiel drückt grundsätzlich immer ein gewisses Bekenntnis zu physischer Gewalt als legitimer Handlungsoption aus). Andere Dinge erben ihre politischen Grundlagen von den Menschen und Gemeinschaften, die sie entwerfen und nutzen. Beides ist beim Web3 sehr deutlich sichtbar. Das Web3 ist nicht einfach nur ein technologisches Update des aktuellen Webs, nicht einfach nur ein Patch, der ein paar neue Funktionen bringt und vielleicht ein paar Fehler ausbügelt, sondern ein vollständiger technischer, aber noch vielmehr sozialer und politischer, Neuentwurf.
Teilweise ist es etwas schwierig, das zu erkennen, weil Web3-Dienste oberflächlich immer noch so aussehen wie gehabt. Aber im Kern hat eine komplett neue oder mindestens viel, viel radikalere Form einer bereits bestehenden Ideologie die Struktur geprägt.
Wie immer ist die Liste der wichtigen Überzeugungen nicht vollständig, ich habe mir hier nur die wichtigsten rausgesucht.
Dezentralität
Für die Web3-Community ist Dezentralität ein sehr hoher Wert. Blockchains wurden im Nachgang der jüngsten globalen Finanzkrise entwickelt, als Banken, die als „too big to fail“ (engl. für „zu groß, um sie pleitegehen zu lassen“) angesehen wurden, die Weltwirtschaft fast mit sich in den Abgrund gezogen hätten. Blockchains wurden erschaffen, um genau das von Grund auf zu vermeiden, und diese Ideologie wurde von der Web3-Bewegung vollständig angenommen. Wenn man sich auf den Webseiten von Web3-Projekten umschaut, wird man fast immer „dezentral“ bzw. „dezentralisiert“ als ein Schlüsselmerkmal finden.
Dezentralität steht dabei oft stellvertretend (bzw. etwas präziser vielleicht als Voraussetzung) für Fairness und Gleichberechtigung. Zentral organisierte Systeme werden nicht nur als nicht vertrauenswürdig und korrupt angesehen, sondern auch als Gefahr für die Freiheit, weil sie es ermöglichen, Inhalte aus beliebigen Gründen zu entfernen oder zu blocken.
Transparenz
Neben Dezentralität liebt das Web3 Transparenz: Alle können jederzeit in die Blockchain schauen und sehen, was wahr ist. Es gibt keine Debatten darüber, was jetzt wahr ist, und auch keine versteckten Informationen. Alle haben den gleichen Wissensstand und können danach handeln. Transparenz ist der andere Bestandteil des Web3, der zusammen mit Dezentralität die Menschen und die Integrität des Netzwerks schützen soll.
Negative Freiheit und Zensur
Das Web3 basiert auf einer negativen Definition von Freiheit. Das soll kein Werturteil sein, sondern ist einfach eine Aussage darüber, wie das Konzept der Freiheit strukturiert ist: Beim Web3 bedeutet Freiheit überwiegend „Freiheit von Einschränkungen“. Die Vorstellung von (möglicher) Zensur ist zentral für viele Web3-Denkweisen und Inhaltslöschung oder -beschränkung ist einer der Hauptfälle, den Web3-Befürworter*innen vorbringen, um zu argumentieren, dass das aktuelle Web ersetzt werden muss.
Dieses sehr libertäre Verständnis von Freiheit schwappt auch in viele Teile der sozialen und politischen Gestaltung von Web3-Diensten über: „Der Staat“ oder „die Regierung“ werden im Wesentlichen mitsamt ihrer „Politik“ als inkompetent und bösartig angesehen. Als konzeptuelle Fortsetzung der Denkrichtung, die J. P. Barlow’s „A Declaration of the Independence of Cyberspace“ (auf Deutsch: „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“) umschrieben hat, sieht das Web3 Regierungen nicht als Schlüsselakteure in ihren Räumen an. Regierungen werden als Bedrohungen für die Freiheit angesehen und auch wenn das Web3 offensichtlich nicht in der Lage ist, Staaten und Regierungen direkt zu ersetzen, wird die Idee von DAOs oft als bessere Methode, Menschen zu organisieren, vorgebracht – im Vergleich zu den gigantischen und langsamen Strukturen des politischen Apparates. Das Web3 sieht Regeln als etwas an, in das man erst „einwilligen“ muss, in etwa durch Zustimmung zu einem Smart Contract.
Der Code ist das Gesetz
Im Web3 gibt es keinen Platz für „Politik“ im Sinne von Räumen, in denen Menschen etwas diskutieren und versuchen, zu einer Entscheidung zu kommen. Stattdessen werden Strukturen so entworfen, dass der Faktor Mensch so weit wie möglich reduziert wird, indem die Aufgaben und Tätigkeiten einer Struktur in ihrem Smart Contract festgelegt werden.
Unser aktuelles Web ist um viele soziale und politische Systeme herum gebaut. Wenn zum Beispiel jemand eine Domain blockiert, für die eine andere Person eine Marke registriert hat, gibt es Prozesse, um diese Domain „frei“ zu machen. Aber diese Prozesse sind komplex, nicht immer fair oder gerecht, und oft etwas durcheinander. Im Web3 zählt einzig und allein der Besitz des korrekten Tokens. Das ist das Gesetz. Und es gibt keine Diskussion darüber, wie das Gesetz angewendet werden sollte oder könnte. Wenn dir der Token gehört, gehört dir auch das Ding, auf dass er sich bezieht.
Diese Überzeugung macht eine Menge unterstützende Faktoren, die traditionelle Systeme haben, überflüssig: Wenn das stimmt, was der Smart Contract besagt und deine Tokens wirklich irgendwo anders gelandet sind, dann gehören sie nicht mehr dir, egal ob der Transfer aus freien Stücken erfolgte oder nicht.
Transaktionalismus und Eigentum
Zum Schluss etwas, auf das ich schon angespielt habe: Das Web3 ist ein Web des Eigentums. Jedes Objekt gehört irgendwem, jedes Objekt kann getauscht und gehandelt werden.
Natürlich gibt es auch jetzt schon gesetzliche Regeln, wem nicht-physische Dinge gehören, aber das Web3 macht diese Eigentumsstrukturen fest, transparent und unaufhebbar. Eigentum kann verkauft oder verschenkt werden und andere Formen des Zugriffs sind auch möglich (ich muss dir den Token für meinen Blogpost nicht verkaufen, damit du ihn lesen kannst), aber die Eigentumsstruktur legt den Grundstein für viele neue Formen wirtschaftlicher Aktivität, die bis jetzt nicht realistisch möglich waren: Man könnte zum Beispiel Smart Contracts implementieren, die dir Geld auszahlen, wenn ein Unternehmen deine persönlichen Daten nutzen möchte – etwas, was einige Datenschutz-Aktivist*innen schon länger fordern.
Das sind also die wichtigsten politischen Ideen und Überzeugungen, die das Web3 genau so sehr prägen wie die Blockchain, auf der es aufbaut. Tatsächlich teilt das Konzept der Blockchain sogar viele dieser Tendenzen. Damit kommen wir zum Ende des beschreibenden Teils, auf in den letzten Akt:
Das Problem mit Web3
Okay, du hast es schon einmal bis hierhin geschafft. Kommen wir nun dazu, weswegen ich so viel Zeit damit verbracht habe, diesen langen Artikel zu schreiben. Warum kann ich nicht einfach die Leute bauen lassen, was sie wollen, wenn sie es denn wollen? Warum warne ich vor dem Web3 und kritisiere es laut und öffentlich?
Hier also meine Haupt-Kritikpunkte, in keiner bestimmten Reihenfolge. Je nach genauem Einzelfall und der jeweiligen Perspektive trifft vielleicht eine andere Reihe von Argumenten am besten zu, aber letzten Endes treffen sie alle auf praktisch alles Web3-artige zu.
Sei außerdem gewarnt: Das ist jetzt der Punkt, an dem ich meine „ich versuche alles halbwegs neutral darzustellen“-Haltung aufgebe.
Technische Eigenschaften
Wie ich am Anfang des Dokuments kurz zusammengefasst habe: Ich bin studierter Informatiker mit einer nichttrivialen Menge an Erfahrung. Ein Hauptproblem, das ich mit dem Web3 von dieser Warte aus habe, ist, dass es einfach technisch schlecht konstruiert ist.
Blockchains bringen weder Leistung noch skalieren sie
Ethereum – die Blockchain, auf der viele dieser Dinge laufen – hat die Rechenleistung einer alten Apple-II-Kiste. Sie nutzt zwar so viel Strom wie die Niederlande dafür, aber rein von der Rechenleistung her ist das Teil laaaaaaangsam. Im Ernst: Ein alter Raspberry Pi bringt mehr Leistung. Und es geht dabei nicht nur um reine Rechenleistung: Da das Netzwerk für jeden Block Konsens herstellen muss, dauert das Hinzufügen neuer Transaktionen absurd lange. Bitcoin kann aktuell 4,5 Transaktionen pro Sekunde bewältigen. FÜR DAS GANZE BITCOIN-NETZWERK. Ethereum steht ein wenig besser da und kriegt etwa 30 Transaktionen pro Sekunde hin. Das ist absurd wenig. Das VISA-Kreditkarten-Netzwerk kriegt bis zu 24.000 Transaktionen pro Sekunde hin (und nutzt aktuell etwa 1.740 pro Sekunde). Nur mal so als Maßstab.
Aktuell funktionieren die bestehenden Web3-Dienste, weil es vor allem nur ein paar Nerds sind, die sie nutzen. Sie sind von der grundlegenden Architektur nicht dazu geeignet, irgendwas in größerem Maßstab zu betreiben.
Es gibt natürlich Mittel und Wege, das zu beschleunigen. Wenn man die Konsensbildung umgeht, zum Beispiel indem man eine einzelne Entscheidungsinstanz definiert, geht das alles deutlich schneller – aber dann hat man halt eine zentrale Datenbank, die einfach nur nervig in der Benutzung ist.
Das Web3 ist eine Sicherheitskatastrophe
Kreditkartendaten werden immer wieder gestohlen und falls dir das passiert, ist es äußerst nervig. Du musst dir eine neue Karte besorgen und die Bank anrufen und melden, dass eine Reihe von Transaktionen nicht von dir getätigt wurden. Ziemlicher Aufwand. Aber es existieren Systeme, die dich schützen. Sie sind nicht perfekt, aber sie funktionieren halbwegs vernünftig.
Bei einem Blockchain-basierten System verschwinden all diese Schutzmechanismen, denn hier gibt es kein „Rückgängig“. Wenn du deine gesamten Ersparnisse in Bitcoin angelegt hast und jemand Zugriff auf deinen Schlüssel bekommt, sind die Coins weg und es gibt nicht das Geringste, was du tun kannst. Wenn man bedenkt, wie einfach es ist, aus Versehen auf einen falschen Button zu klicken, auf eine Phishing-Mail reinzufallen oder sich einen Virus einzufangen, ist dieses Risiko vollkommen untragbar. Eine Welt, in der ein einziger Virus alle deine Ersparnisse auf einmal unwiederbringlich leerräumen kann, ist keine, die wir jemals anstreben sollten. Wir brauchen mehr Schutz für die Menschen, nicht weniger.
Web3 ist nur der Versuch, einen Anwendungsfall für Blockchains zu finden
Wenn Programmierer*innen sich ein Problem vorknöpfen, werden sie als Erstes einmal die Anforderungen zusammentragen: Was muss das zu entwickelnde System tun können und auf welche Weise und für wen usw. Erst danach schauen sie sich die existierenden Technologien an und gleichen ab, welche Technologie und welche Plattform den Anforderungen am besten entspricht. Beim Web3 ist es umgekehrt: Die Leute hatten Blockchains, welche eigentlich nur wirklich nützlich dafür sind, unregulierten und unversteuerten Handel mit Finanzinstrumenten zu betreiben („Bitcoin“), aber wollten die unbedingt irgendwo anders einsetzen. Aber in den über 10 Jahren seit es Blockchains gibt, hat sich kein echter Anwendungsfall herauskristallisiert. Es wurde einfach nur ein Problem umformuliert (das Web ist zentral organisiert und wird von ein paar Unternehmen kontrolliert), Blockchains mit der Brechstange reingezwungen und dann behauptet, man hätte eine Lösung. Es ist keine Lösung und wir begehen mittlerweile ein weiteres Jahr, in dem Blockchains bisher keinen Anwendungsfall außerhalb von Steuerhinterziehung gefunden haben.
NFTs leisten nicht das, was sie behaupten
Das Web3 möchte selbst Gegenstände in der realen Welt (oder zumindest Dinge außerhalb der Blockchain) über Tokens abbilden, insbesondere über NFTs. Aber nur weil ich einen NFT erstellt habe, der behauptet, dass mir die Mona Lisa gehört (was natürlich schon jemand gemacht hat), gehört mir nicht plötzlich die Mona Lisa. Egal was der Token meint.
NFTs verleihen zudem auch keine tatsächlichen Rechte an irgendwas. Okay, dir gehört vielleicht ein NFT mit einem Link zu irgendeinem hässlichen Bild von einem Affen, aber das heißt nicht, dass du automatisch eine Lizenz zur Nutzung dieses Bildes hast oder dir das Bild gehört. Dir gehört ein Ding, das behauptet, dass dir das andere Ding gehört, aber nicht die geringste Macht darüber hat. Es gibt eine ganze Reihe von konkurrierenden Blockchains und NFT-Contracts, die alle behaupten, dass ihnen das gleiche Objekt gehört. Ich kann einfach einen NFT erstellen, der auf „deinen“ Affen zeigt und behaupten, er gehört mir. Warum sollte dein NFT mehr zählen als meiner?
NFTs sind sexy, weil sie so einfach klingen: Du stellst ein Ding her und kannst dieses Ding dann verkaufen – so wie früher. Aber die Leute können immer noch auf das Bild rechtsklicken und es runterladen und selbst benutzen. Was soll also „Eigentum“ in diesem Zusammenhang überhaupt heißen? Was ist Eigentum wert, dass dir de facto null durchsetzbare Rechte verschafft? Eine großartige Chance, sich auf Twitter zum Affen (sorry, der musste sein) zu machen, indem du Leute anbrüllst, weil sie „deinen“ Affen als Profilbild haben?
NFTs sind eine wirklich seltsame Masche und sie sind halt einfach für nichts wirklich notwendig. Wenn es wirklich darum ginge, digitale Kunst zu verkaufen – das machen Leute schon seit Jahren. Fortnite und alle möglichen Free-to-Play-Spiele verkaufen kosmetische Gegenstände für echtes Geld. Auch digitale Auftragswerke („commissions“) sind schon seit langer Zeit vollkommen üblich. Das Spiel Diablo 3 hatte sogar ein Auktionshaus, in dem man die selbst erspielten digitalen Objekte für echtes Geld an andere Spieler*innen verkaufen konnte. NFTs sind keine Revolution, sondern eine umständliche Reimplementierung von Dingen, die wir früher schon mal probiert haben oder aktuell bereits besser und effizienter machen.
Das Orakel-Problem
Das betrifft einen großen Teil der Web3- (und Blockchain-)Bestandteile, die etwas über Dinge oder Beziehungen in der realen Welt oder über abstrakte und rechtliche Dinge aussagen sollen. Dieses Problem nennen wir in der Informatik das „Orakel-Problem“.
Ganz einfach zusammengefasst besagt das Orakel-Problem, dass du nicht aus einem System heraus die Wahrheit von Aussagen beurteilen kannst, die Dinge außerhalb des Systems betreffen. Wenn dein System ein Computerprogramm ist, kann es keine Aussagen über das Wetter draußen treffen, weil das Wetter nicht in deinem Computer ist. Du kannst Sensoren oder Interfaces bauen, die das Wetter für den Computer übersetzen, aber jetzt hängt halt alles an dem Sensor: Ist der gut genug? Vertrauenswürdig? Funktioniert er ordentlich?
Das Web3 möchte alle möglichen Dinge an irgendeiner Blockchain festnageln, aber sehr viel davon (wie zum Beispiel Eigentumsrechte an einem physischen Gegenstand) könnte nur über Orakel integriert werden – denen man dann vertrauen müsste. Das war’s dann mit dem Ansatz „keine Autoritäten“ und „alles dezentral“. Und was passiert, wenn die Leute den Gegenstand einfach in der physischen Welt weitergeben, ohne die Blockchain zu aktualisieren? Dann fällt alles in sich zusammen.
Der Glaube, dass man die Welt kontrollieren könnte, wenn man einfach nur Verweise auf Dinge und Beziehungen in eine unveränderliche, „nur-hinzufügen-möglich“-Datenstruktur packt, ist nicht nur naiv, sondern geht gegen jede Informatik-Einführungsvorlesung.
Schon mal von diesem Klima gehört?
Das muss ich einfach erwähnen: Aktuell verbraucht Ethereum (die Blockchain, die die meisten Leute direkt oder indirekt für Web3-Kram benutzen) aufgrund seines Proof-of-Work-Algorithmus etwa so viel Strom wie die Niederlande. Das ist einfach unentschuldbar. Dieser „Weltcomputer“, der weniger leisten kann als ein billiges, 5 Jahre altes Smartphone, erzeugt so viel CO² wie ein mittelgroßes Land. Selbst wenn wir Gefahr liefen, die besten Texte dieses Planeten durch Zensur zu verlieren (laufen wir nicht) und selbst wenn eine Blockchain das Einzige wäre, was diese Texte vor der Löschung schützen könnte (ist sie nicht), wäre es eine ziemliche Herausforderung, dafür zu argumentieren, dass das ein solches Ausmaß an Umweltzerstörung wert wäre.
Teilweise wird behauptet, dass Bitcoin überwiegend erneuerbare Energien nutzen würde. Selbst wenn das der Fall wäre (ist es nicht): Sollten wir den Strom eines mittelgroßen Landes auf ein Nerd-Casino verschwenden oder ihn nutzen, um Krankenhäuser, Verkehrsmittel und Heizungen zu betreiben?
Ich weiß, ich weiß, Ethereum wird in ein paar Monaten auf einen nachhaltigeren Konsens-Algorithmus umstellen. Ethereum stellt schon seit Jahren „in ein paar Monaten“ um.
Und wir brauchen gar nicht erst anfangen mit dem Elektroschrott, den Krypto-Mining verursacht.
Die Blockchain- und Web3-Leute spucken sehr große Töne, was Menschenrechte angeht. Aber das Recht auf einen lebensfähigen Planeten mit atembarer Luft, ohne Überschwemmungen und Dürren, die die Armen ertränken und aushungern, ist auch ein Menschenrecht – und zwar eins, was in Fundamentalopposition zur Nutzung vieler aktueller Blockchains steht.
Es basiert auf einem Schneeballsystem
Kryptowährungen sind ein sogenanntes Nullsummenspiel: Alles Geld, was irgendjemand rausziehen möchte, muss irgendjemand anders einbringen. Die Gewinne der einen sind die Verluste der anderen. Das ist natürlich ein Problem, wenn du einige von diesen hochpreisigen Kryptocoins hast, aber kein Opfer, dem du die für echtes Geld andrehen kannst. Was wiederum einer der Hauptgründe ist, warum NFTs so viel Aufmerksamkeit bekommen haben: Sie haben mehr Menschen in das System gespült, die Ether (den Ethereum-Token) kaufen mussten, um ihre NFTs zu erstellen oder zu kaufen. Und das ist Geld, dass die Leute mit den Coins nutzen können, um sich auszahlen zu lassen. (Einige bezeichnen Blockchains sogar als „Negativsummenspiele“, weil zum einen finanziell niemand gewinnen kann, ohne dass andere verlieren, aber zum anderen das ganze Spiel zusätzlich noch die Umwelt zerstört, also die Welt hinterher, selbst vollkommen abgesehen von Vermögensverteilung, in einem schlechteren Zustand ist.)
Mit diesem Hintergrundwissen ist es moralisch falsch, mehr Menschen in diese Räume zu bringen. Selbst wenn es unglaublich nützliche, einzigartige Web3-Dienste gäbe (gibt es nicht), würde man die Leute damit extremen Risiken aussetzen. Es ist immer sehr bequem, mit der Entscheidungsfreiheit der Menschen zu argumentieren, aber als Ingenieur verspüre ich eine moralische Verpflichtung, Menschen vor Risiken, die bei der Nutzung von gefährlichen Technologien entstehen, zu schützen.
Der Zweck eines Systems ist das, was es tut, und wenn in einem System nur Betrügereien und Schneeball-Systeme betrieben werden, ist das sein Zweck. Und das ist dann ein System, was unbedingt sterben muss.
Es löst seine Versprechen nicht ein
Das Web3 verspricht eine Menge Sachen unter dem Oberbegriff „Dezentralität“. Aber es nutzt diesen Begriff nur als leeren Fetisch und Ersatz für notwendige Diskussionen über Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Teilhabe. Einfach nur laut „Es ist dezentral!“ brüllen ändert nicht notwendigerweise etwas an den Machtverhältnissen: E-Mail ist dezentral und mein eigener E-Mail-Server hat die gleichen Protokolle und sonstigen Kram wie die Server von Google, aber die beiden sind in keiner Weise gleichwertig. Wenn Google meinen Mail-Server blockt, kann ich den Großteil des Internets nicht mehr erreichen. Dezentralität ist eine hohle Idee, eine Nebelkerze, die verstecken soll, dass die Web3-Gemeinschaft keine Antworten auf Fragen nach Gerechtigkeit oder auch nur auf das Problem der Monopole im Internet hat.
Ich glaube schon, dass einige Leute aus guten Gründen zum Web3 gestoßen sind: Sie hassen, dass das Web von einigen wenigen Unternehmen kontrolliert wird, die im Prinzip Monopole sind. Und damit haben sie vollkommen recht. Aber ihre neue Struktur sieht keine Schutzmechanismen vor, die verhindern könnten, dass genau die gleiche Entwicklung wieder abläuft. Das Web ist nicht zentralisiert, weil die Technologie in sich zentralisiert ist – unser aktuelles Web ist technisch auch in der Lage, dezentral betrieben zu werden. Aber die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen wirken auf Zentralisierung hin. Und das werden sie auch in einem Web3.
Alle Komponenten der aktuellen Web3-Software-Lösung sind jetzt schon sehr zentralisiert. Es gibt nur wenige Börsen, an denen man Tokens kaufen und verkaufen kann, und nur sehr wenige NFT-Märkte. Das Web3 existiert bis jetzt erst in Bruchstücken, aber es ist schon zentralisiert.
Transparenz als Idee ist genauso hohl: Was bringt es dir, zu sehen, dass deine Tokens gestohlen wurden, wenn du nichts tun kannst, um sie wieder zu bekommen? Transparenz ohne die Möglichkeit, etwas zu verändern, ist einfach nur Grausamkeit.
Das Web3 ist nicht unpolitisch, sondern antipolitisch
Die Web3-Bubble liebt es, zu behaupten, sie sei unpolitisch – soll heißen: „alle sind willkommen, wir sind neutral“. Abgesehen von der Frage, ob denn überhaupt alle einer Gemeinschaft beitreten wollen, die überwiegend auf reaktionären und rechtslibertären Ideen beruht, ist das auch faktisch einfach nicht wahr.
Das Web3 möchte Politik, wie wir sie kennen, aus vielen Dingen rausnehmen – aber nicht, um „neutral“ zu sein, sondern um demokratische Rechte und Regeln zur Teilhabe abzuschaffen. Wenn nur der Code entscheidet und es keinen Raum für Diskussionen und politischen Streit gibt, wie können die Entrechteten sich jemals Gehör verschaffen? Wie können die Machtlosen sich organisieren und auflehnen?
Politik ist immer ein Ringen. Darum, dass Menschen verschiedene Ziele und Bedürfnisse haben und für diese und oft gegen ihre politischen Gegner*innen kämpfen. Das Web3 möchte sich da nicht „raushalten“, sondern möchte einfach nur, dass das gefälligst aufhört. Die Welt wird organisiert durch die Smart Contracts, die von denen mit den nötigen Ressourcen und Fertigkeiten eingerichtet werden und die du vielleicht großzügigerweise mitbenutzen darfst.
Das Web3 ist nur ein neuer Raum für Kapitalakkumulation
Es gibt einen Grund dafür, dass so viele Leute aus dem Risikokapitalbereich Fans des Web3 sind. Dafür, dass Investoren wie Andreesen Horowitz Web3 so stark pushen: Es ist ein neuer Raum für Kapitalakkumulation. Dinge, die aktuell nicht vollständig monetarisiert und finanzialisiert sind, können endlich in Instrumente zur Kapitalansammlung umgewandelt werden, können Investoren endlich noch reicher machen.
Es gibt Teile deines digitalen Lebens, die aktuell nicht wirklich verkäuflich sind, aber genau das soll sich ändern. Alles muss (ver)käuflich sein, alles dient nur als Spekulationsinstrument. Sie wollen, dass du deinen Zugangstoken für irgendeinen Dienst weiterverkaufen kannst (anstatt ihn wie heute zu kaufen oder zu mieten), um noch mehr Märkte für Spekulationen zu schaffen – und für Smart Contracts, die so aufgebaut werden können, dass sie an jeder Stelle davon profitieren.
Es ist auch ein politisches Projekt: Den Menschen beizubringen, dass wirklich alles Eigentum ist, was ge- und verkauft werden kann, ist eine rechte Idee, die sehr deutlich aus der Mode gekommen ist. Das Web3 tritt an, um das zu ändern, und wenn erst einmal all diese lästigen Menschenrechte digital in Frage gestellt wurden, wird es umso leichter, sie analog in Frage zu stellen: Warum solltest du nicht deine Niere verkaufen können, deine Daten kannst du ja schließlich auch verkaufen?
Gedanken zum Abschluss
Ich verstehe sehr viele der Motivationen, die Menschen dazu bringen, das Web neu denken zu wollen. Die Monopole und Machtgefälle, die Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Ich kann vollkommen verstehen, dass insbesondere Kreativschaffende verzweifelt nach Möglichkeiten suchen, wie sie einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen können, und NFTs zu verkaufen sieht nach einer einfachen Möglichkeit aus, eine Menge Geld zu verdienen. Ich sehe das. Wir müssen eine Lebensweise finden, die es den Menschen erlaubt, an ihrer Kunst zu arbeiten (oder zu tun, was auch immer sie wollen) und trotzdem Kleidung, Nahrung, Wohnraum und sonst alles zu haben, was sie zum Leben brauchen. Und nicht nur zum Überleben.
Aber so sehr diese Probleme auch Lösungen brauchen: Das Web3 ist keine Lösung.
Es ist keine Lösung, weil es schlicht nicht das erreicht, was es will, weil es keine neue zentralisierte Stelle verhindern könnte, weil es die Macht in keiner Weise verteilen würde und tatsächlich sogar wichtige Mechanismen, die wir aktuell haben, abbauen würde.
Aber das ist noch nicht alles: Das Web3 ist ein moralisch abgrundtief widerliches Projekt.
Das Versprechen des Internets, Menschen Zugriff auf Informationen und potenziell die Macht der Veröffentlichung zu bieten, soll ersetzt werden durch ein unreguliertes Casino, das buchstäblich unseren Planeten niederbrennt. Ich kann mir kaum etwas Verachtenswerteres vorstellen.
Kein Mensch ist eine Insel, aber die Web3-Bubble möchte uns noch weiter individualisieren, möchte alle Teile unserer digitalen (und idealerweise auch analogen) Persönlichkeiten in Spekulationsobjekte verwandeln und Politik durch halbautomatischen Anlagenhandel ersetzen. Letztendlich geht es um die vollständige Finanzialisierung und Entpolitisierung unseres Lebens, ohne Rücksicht auf die ökologischen Konsequenzen.
Das ist keine Utopie. Das ist eine Kriegserklärung an einen Großteil des politischen und sozialen Fortschritts der letzten Jahrzehnte. Und ich für meinen Teil bin nicht bereit, die weiße Fahne zu hissen.
An diesem Text habe ich einen ganzen Tag geschrieben. Wenn er dir irgendetwas gegeben hat, wäre ich dir für jegliche Unterstützung in meine Richtung über PayPal dankbar.
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