Das 39. Album von Singer-Songwriter und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan enthält erstmals seit acht Jahren neue eigene Songs vom Meister selbst: Sie sind poetisch, politisch und präzis in ihrer Vielschichtigkeit.
Im Opener „I Contain Multitudes“ erklärt Dylan, aus einer Vielzahl von Personen zu bestehen: Im ruhigen Flussbett eines Songs singt er – kaum vernuschelt wie sonst gewohnt, sondern vielmehr unprätentiös – in einer Zeile wie Anne Frank und Indiana Jones zu sein (diese Nebeneinanderstellung würde bei anderen Musikern sicherlich empörte Diskussionen hervorrufen), und auch wie diese „britischen Bad Boys“, diese Rolling Stones.
Er höre Beethoven Sonaten und Chopins Melodien, zugleich habe er ein verräterisches Herz wie Edgar Allan Poe. Es sind Koordinaten einer Kulturwelt, die jemand wie Dylan selbstverständlich und selbstbewusst absteckt, bevor die folgenden Tracks einer relativ entspannten und einfachen Logik folgen.
Die Single „False Prophet“ ist bluesig und old-school, der gospelselige Lovesong „I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You“ gerät sogar gemütlich, der Rock’nRoll-Track „Goodbye Jimmy Reed“ lädt zum Mitwippen ein und „My Own Version Of You“ ist ein fast schelmisches Troubador-Stück.
Video: Bob Dylan – False Prophet
Das Album hat dann quasi auch eine Rückseite mit einer Art Requiem und dem fast 17 Minuten langen Stück „Murder Most Foul“ über die Ermordung John F. Kennedys (sowie über unser aller Mordgedanken): Der Songtitel ist ein Zitat aus Shakespeares Hamlet und in dem dunklen Stück über einen Fluch und Trauma Amerikas wird nicht nur die Geschichte des Landes aufgerollt, sondern auch die der Musik.
Über 75 Songs werden in dem Lied genannt von Musikerinnen und Musikern wie zum Beispiel Joan Baez, The Eagles, Marilyn Monroe, Burt Bacharach, Joni Mitchell, Elvis Presley, Stevie Nicks, Little Richard oder Etta James. Die Ermordung des US-Präsidenten umkreist er dabei von allen Seiten, nimmt die Verschwörungstheorien mit und die Perspektive Kennedys ein. Kennedy selbst wird als „King“ bezeichnet, was schließlich den Kreis zum Titel-Zitat schließt und auf den ermordeten König in „Hamlet“ verweist, der als Geist seinen eigenen Tod als „murder most foul“ bezeichnet.
ACT DES MONATS
Video: Bob Dylan – Murder Must Foul
Mit Shakespeare befasst sich Dylan schon lange, 2012 erschien mit „Tempest“ das letzte Album mit eigenen Liedern und der Titel deutet auf „Der Sturm“ hin – ein Werk des britischen Barden aus dem Jahr 1611. Und auch in seiner Nobelpreisrede ließ Dylan verlauten: „Was ich in den Songs versucht habe, ist ungefähr das, was Shakespeare im Theater versucht hat.“ Eventuell die Fülle der Welt in einen Text zu packen?
Dieses Dylan-Album ist wahrlich eine Referenzhölle und eine Rückschau auf fast 80 Jahre Leben. Das dies versponnen, verschmitzt und verspielt geschieht, ist die große Stärke von „Rough And Rowdy Ways“. So singt er in dem kargen Folk-Stück „Black Rider“:
„I don’t wanna fade / At least not today“.
Wie in „Trance“ habe er die neuen Stücke geschrieben, sagt „His Bobness“ und man will es dem alten Trickster glauben, denn sie wirken zugleich zeitlos wie altersweise. „Rough And Rowdy Ways“ überrascht dann gleich auf mehrfache Weise: mit dem versöhnlichen Ton, mit dem variablen Gesang und mit den vielfach gebrochenen Erwartungshaltungen beim Hören.