Bandcamp galt lange Zeit als Vertriebsplattform der Wahl für unabhängige Musiker und Labels. Der Kauf von Bandcamp durch Epic Games im März 2022 war vor allem eine Überraschung. Nun wurde die Plattform an Songtradr verkauft und 50 Prozent der Mitarbeiter entlassen. Doch was bedeutet das für die Künstler auf Bandcamp und die Zukunft der Musik-Plattform?
Bandcamp ist eine Online-Plattform für Musik, die es unabhängigen Künstlern und Labels ermöglicht, ihre Musik hochzuladen, in allen Formaten und zu eigenen Konditionen zu verkaufen und zu teilen. Die Plattform wurde 2008 gegründet und hat sich seitdem zu einer beliebten Anlaufstelle für Musiker entwickelt, die ihre Musik ohne die Notwendigkeit eines großen Plattenlabels veröffentlichen möchten. Aber auch Größen wie Radiohead (Foto: Eric Pramies), Sufjan Stevens oder St. Vincent nutzen die Plattform, um Musik zu verkaufen und mit Fans zu interagieren.
Bis zum März 2022 war Bandcamp vor allem eine einzigartige Mischung aus global skalierender und doch irgendwie integrer Musikbusinessplattform. Künstler*innen weltweit präsentierten, teilten, vertrieben Musik über Bandcamp und nutzten die langsam, aber stetig erweiterten Tools der Plattform für Newsletter und andere Formen der Interaktion.
Die redaktionellen Features und Formate waren hervorragend, global orientiert und geschmackssicher. Durch den „Bandcamp Friday“, an dem einmal monatlich sämtliche Umsätze an die Künstler*innen gingen, hatte sich das Unternehmen während der Pandemie außerdem eine ganze Tonne Zuneigung erarbeitet.
Verkauf von Bandcamp an Epic Games im Jahr 2022
Auf der anderen Seite des Deals: Epic Games. Nicht nur erfolgreicher Entwickler und Publisher von Spielen wie dem Megahit Fortnite, sondern vor allem Anbieter der Unreal Engine, eines enorm erfolgreichen und vielseitigen Baukastens für die Entwicklung von Spielen und 3D-Welten. Einerseits also ebenfalls ein global erfolgreiches Unternehmen, andererseits ähnlich wie Bandcamp ein Anbieter von Tools, mit denen unabhängige und kleine Spieleentwickler*innen und Künstler*innen arbeiten können – die Nutzung der Engine ist bis zu einem Umsatz von einer Million Dollar kostenlos. Zudem hatte sich Epic dem Musikbusiness zuvor schon angenähert: So hatte etwa Travis Scott bereits in den virtuellen Welten von Fortnite gespielt, und gemeinsam mit Sony hatte das Unternehmen ein 3D-Video-Projekt entwickelt.
Irgendwie hatten sich also zwei gefunden, aber wie genau sie zusammenkommen würden: für Beobachter des Deals völlig unklar. Entsprechend frei ließ sich spekulieren. Würde Epic Bandcamp als Musik- und Lizenzplattform in seine Engine integrieren? Würde es Bandcamp zu einem eigenständigen Verlag weiterentwickeln? Oder – wir spinnen mal – vielleicht fand Epic Bandcamp einfach cool und war bereit, Geld und Know-how auf die durchaus existenten Probleme der Plattform zu werfen?
Die ungelösten Probleme von Bandcamp
Das Grunddesign von Bandcamp war schrecklich überholt. Die Social Features wirkten wie ein rudimentäres Myspace 2007, der eigene Player wie ein sehr frühes iTunes, die Streaming-Möglichkeiten erinnerten generell eher an festplattenbasierten MP3-Genuss ca. 2004. Das Format der Playlist, im Streaming-Zeitalter absoluter Standard, gab es gar nicht. Dabei hätten sich allein darauf spannende redaktionelle, nutzerzentrierte und verkaufsfördernde Funktionen aufbauen lassen. Was aber tatsächlich angegangen werden sollte, wusste niemand. Also schien alles möglich.
Was die Blase der Möglichkeiten in den rund 19 ereignislosen Monaten nach dem Deal nicht eh schon an Luft verloren hatte – außer der Integration des Bandcamp-basierten „Underground Radio“ in (immerhin!) Fortnite war wenig sichtbar geworden –, entweicht mit dem Verkauf an Songtradr endgültig. Was auch immer Epic Games für Pläne gehabt hatte – es hatte sie nicht umsetzen können oder wollen. Und dann war da noch die Gewerkschaft Bandcamp United, nach dem Verkauf an Epic gegründet. Ein teurer Zukauf also, mit dem man nicht viel anfing und der Ärger machte. Und das in einer Branche, in der die Zeichen auf Konsolidierung stehen: Der Verkauf von Bandcamp fällt unter anderem mit der Ankündigung zusammen, das Epic Games 16 % seiner Belegschaft weltweit entlässt.
Nun konsolidiert auch Bandcamp: 50 % der Angestellten wurden entlassen, darunter vor allem Mitglieder und Vertreter*innen von Bandcamp United. Die Redaktion wurde halbiert und das Team, das Bandcamps eigene Vinylherstellung betreut, auf 30 % zusammengestrichen. Wenn wir darin das Positive sehen wollen: Immerhin zeigt Songtradr im Gegensatz zu Epic damals, wo die Prioritäten liegen bzw. wo eben nicht.
Was ist Songtradr?
Songtradr ist eine Musikplattform und ein Musiklizenzierungsdienst, der es Künstlern, Komponisten und Musikrechteinhabern ermöglicht, ihre Musik zu veröffentlichen, zu verwalten und Lizenzen für die Verwendung ihrer Musik in verschiedenen Medienprojekten zu vergeben. Die Plattform verbindet Musiker mit Werbeagenturen, Filmemachern, Spieleentwicklern und anderen Kreativen, die Musik für ihre Projekte suchen.
Was bedeutet der Verkauf von Bandcamp für Musiker?
Was das bestehende Lizenzbusiness und die weiteren Zukäufe von Songtradr für die Künstler*innen bedeuten, die auf Bandcamp vertreten sind? Zunächst eher wenig. Wer groß genug ist, um für die Dienste einer Plattform wie Songtradr in Frage zu kommen, hat meist entweder schon andere Verträge oder sich bewusst dagegen entschieden. Die meisten kleinen Künstler*innen und ihr neuer Provider Songtradr dürften einander völlig egal sein. Die drängenden Fragen also: Was wird wegfallen und wohin wird sich Bandcamp entwickeln? Die Entlassungen sprechen eine Sprache, die stark nach „keine Experimente, keine Investitionen, erstmal den Grundbetrieb aufrechterhalten“ klingt. Auch die Songtradr-Presseerklärung zum Verkauf ist eher sparsam mit Ankündigungen. Stattdessen geizt man nicht mit Floskeln zu Werten und „music first“. In einem Nebensatz wird erwähnt, dass ein Investment von Epic in Songtradr Teil des Deals ist.#
Bandcamp wird zur Verhandlungsmasse für Investmentgeschäfte
Da schließlich – und bitte entschuldigt die lange Herleitung, die aber tatsächlich noch nicht einmal auf weitere Interessantheiten wie die Rolle von Epic-Games-Investoren wie Sony oder Tencent, die genauen Spezifika des Deals oder das, was Cory Doctorow „Enshittification“ nennt, eingegangen ist – da schließlich liegt also die eigentliche und im Grunde schon seit März 2022 klare Nachricht: Bandcamp 2023 ist eben nicht mehr die einzigartige Mischung aus global skalierender und doch irgendwie integrer Musikbusinessplattform. Bandcamp ist ein Asset, mit dem sich Geschäfte machen lassen.
Vielleicht wird es bald schon weiterverkauft, vielleicht auch nur in Teilen, vielleicht wird es mit anderen Songtradr-Akquisitionen wie dem Musikvertrieb 7Digital und dem Hamburger Audioanalyse-Startup Musicube zu einem umfassenden B2B/B2C-Musikangebot ausgebaut, eventuell sogar im Sinne der Künstler*innen. Vielleicht geht Bandcamp in all dem auf und verschwindet, vielleicht verschwindet es auch einfach nur so.
Was auch immer passiert, es wird weniger als je zuvor die Entscheidung derer sein, die Bandcamps Herz und Persönlichkeit geprägt haben. Die Romantik ist raus, und Romantik war neben dem praktischen Nutzen der Plattform durchaus ein wichtiger Faktor für viele Anbieter*innen wie Konsument*innen. Es gibt Menschen, die aktuell dazu raten, die eigenen Musikkäufe möglichst bald aus der Bandcamp-Cloud auf die eigenen Datenträger zu laden. Vielleicht ist das eine Über-, vielleicht genau die richtige Reaktion. Schaden wird es nicht.