Witzig und weise: Die freie Autorin und Journalistin Anja Rützel erzählt über ihre Liebe zur Boyband Take That, die sie auch mit Mitte Vierzig noch bedingungslos feiert.
„Could it be magic now?“: Natürlich – würde Anja Rützel sofort antworten, die in ihrem Buch über die 90er-Jahre Boyband Take That ohne „doppelten Distinktionsboden“ schreibt und erklärt, warum ihre bedingungslose Liebe zu deren albernen und schönen Lieder, langsam gewachsen ist und unerschütterlich in ihrem Leben bleibt.
▶︎ Hörprobe Anja Rützel: Take That
Man muss nicht mehr über die Liebe wissen als Take That in seinen Songs singen, aus der Trennung und Reunion der Boyband lernt man dann auch noch alles über Hass und Versöhnung im Wesen der Menschheit, so Rützels Fazit. Die typische Boyband-Zusammenstellung ist für Rützel zudem eine grandiose Idee, wie man „fünf völlig verschiedene Konzepte des Erwachsenseins“ präsentiert bekommt: Zum Beispiel Gary Barlow (dieser Abschnitt des Buches ist hier als Ausschnitt zu hören), heute superfit und früher angemopst, aber der einzige der zu Anfang die Hits selber schreiben konnte und wohl nur deshalb in der Band war. Sie schreibt zu ihm:
„Von ihm habe ich gelernt, dass es in unangenehmen Lebensphasen zumindest ein bisschen helfen kann, sich das Leben als Powerballade vorzustellen. Und daran zu glauben, dass man gerade einfach nur in einer doofen, aber dramaturgisch notwendigen Strophe feststeckt“.
Boybands sind laut Rützel wie das „Leben“ (Forrest Gump) selbst ebenfalls wie eine Pralinenschachtel: Die Zusammensetzung sei immer gleich, darin gibt es ein „kriminell überzuckertes Teil“ und zum Ausgleich eine „herbere Variante“, dann eine“komisch geformte Bohne mit lustigem Likör gefüllt“ daneben eine Praline „aus fadestem Milchgeschmack“, aber mit „glitzerndem Goldpapier“ umwickelt, plus eine Praline, die einem nicht schmeckt, aber die man halt trotzdem „mitverschlingt“. Diese Vergleiche sind es, die Rützels Analysen – auch zu so genannten Trash-TV-Formaten – einerseits liebenswert und anderseits auch erkenntnisreich machen.
Man erfährt im Buch zudem, dass die belächelte Liebe zu einer Boyband einen auch im eigenen Alterungsprozess weiterbringen wird, man erkennt, dass wahre Ekstase auch im Mitsingen einfacher Popsongs erreicht werden kann und man versteht letztendlich, dass nicht alles im Leben rational erklärt werden kann und muss. Gerade in einer Ausnahmesituation wie der Corona-Krise sind folgende Worte Rützels echter Balsam: „Wenn man wieder einmal nicht so recht weiß, was das alles soll, wenn alles kaum zu begreifen und auszuhalten ist: warum nicht einfach anfangen zu tanzen“.
ACT DES MONATS
Das Konzept eines „Guilty Pleasures“ – also einem „schuldigen Vergnügen“ wie etwa ein Film, eine Fernsehsendung oder ein Musikstück, das man genießt, obwohl man weiß, dass es nicht allgemein hoch geschätzt wird oder als ungewöhnlich oder seltsam angesehen wird – wird hier als hohles Konstrukt entlarvt, dass nur in ironischer Form zugegeben werden kann.
Rützel plädiert auch dafür, sich nicht dafür mit coolem Sarkasmus zu distanzieren und heimlich dennoch zu genießen. Man kann ja schließlich zugleich komplexe Musik gut finden und leichte Popliedchen lieben – schließlich sind wir alle auch zugleich schwierig und dann aber doch wieder nicht. „Let me feel the wonder of all of you“ eben wie es in diesem Hit hier heißt:
Anja Rützels Buch über Take That ist eines aus der wunderbaren Reihe der KiWi Musikbibliothek: „Bekannte Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker schreiben über ihre Lieblingsband oder ihre liebsten Sängerinnen und Sänger: radikal subjektive Liebeserklärungen auf knapp 100 Seiten.“
Unter anderem schriebt Tino Hanekamp über Nick Cave, Sophie Passmann über Frank Ocean oder Thees Uhlmann über Die Toten Hosen. Zu vielen gibt es bereits auch Hörbücher, Rützels Hörbuch ist im Argon-Hörbuch-Verlag erschienen, der uns freundlicherweise die vielen Hörausschnitte zur Verfügung stellte.
Alle Infos:
Anja Rützel über Take That : (KiWi Muskbibliothek Band 2) Ungekürzte Autorinnenlesung . Regie: Christian Päschk. Laufzeit: 2 Stunden, 37 Minuten, 2 CDs im Digipac 10,00 € (unverbindliche Preisempfehlung)
ISBN 978-3-8398-1765-0 Buchverlag: Kiepenheuer & Witsch