Im November 1999 hat Archive.org die erste Version von Tonspion als Snapshot für die Nachwelt archiviert. Seitdem ist unglaublich viel passiert und das Internet hat sich massiv verändert. Doch der Tonspion ist immer noch da.
Tonspion feiert sein 25-jähriges Bestehen – eine digitale Erfolgsgeschichte, die ihren Anfang im Jahr 1999 nahm und heute längst nicht abgeschlossen ist. Damals gab es noch kein Spotify, kein iTunes und kein Instagram, und Musik im Netz war vor allem eins: Neuland.
Udo Raaf startete den Blog als erstes deutsches Musikangebot im Netz, das kostenlose MP3-Downloads von Künstlern und Labels bereitstellte und damit das erste Musikmagazin zum Hören. Während man über Napster massenweise Musik illegal auf die Festplatten lud und die CD-Verkäufe einbrachen, brachte Tonspion neue, legale Wege des Musikdownloads ins Spiel.
Tonspion als „Blueprint“ für das digitale Musikmedium
Von Anfang an stand Tonspion nicht nur für spannende Neuentdeckungen, sondern auch für die Idee, Musik und Journalismus online zu vereinen. Wo klassische Musikmagazine das Internet weitgehend ignorierten, ging Tonspion früh eigene Wege. So nannte FM4 Tonspion den „Blueprint eines neuen Musikmediums“. Wer damals online nach Musik suchte, landete bei Tonspion – es gab schlichtweg kein anderes, legales Angebot im Netz, um Musik zu hören.
Vom MP3-Blog zum digitalen Popkultur-Magazin
Als Mitte der 2000er iTunes die Musik-Downloads kommerziell machte und Spotify 2008 das Streaming-Zeitalter einläutete, entwickelte sich auch Tonspion weiter. Aus dem reinen Download-Blog wurde ein Popkultur-Magazin, das zwischenzeitlich über 500.000 Leser erreichte. Ein Vielfaches der klassischen Printmagazine. Neben Musik gibt es inzwischen auch Neuheiten aus Film, TV, Games und der Podcast-Welt. Trotzdem bleibt Tonspion auch nach 25 Jahren in erster Linie ein Wegweiser für Musikliebhaber. Denn eins ist klar: Mit dem Überfluss an Musik ist der Wunsch nach Orientierung größer denn je.
Der Spiegel widmete Tonspion eine Würdigung zum 10. Geburstag.
Während wir anfangs noch eine Lücke füllten – es gab damals so gut wie keine Musik legal online und wir mussten jeden einzelnen Song umständlich von den Labels freigeben lassen – sortieren und filtern wir heute den Überfluss. Beides ist wichtig.
Niemand kann heute noch all die Musik hören, die Woche für Woche auf den Streamingplattformen veröffentlicht wird. Und wer seine Playlists einem Algorithmus überlässt, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Die besten Songs veröffentlichen wir jede Woche neu in unserer Playlist „Top Tracks“.
Auch uns gelingt das Hören und Sortieren von unzähligen Neuerscheinungen heute nur noch mithilfe von spezialisierten Promo-Plattformen, die uns ermöglichen neue Musik zu entdecken, die noch keiner kennt. Unsere Mailbox ist heillos überflutet und es ist schlicht gar nicht mehr machbar, alles zu hören, was an uns herangetragen wird.
Musikjournalismus lebt – nur eben nicht im Print-Format
In einer Zeit, in der die meisten Printmusikmagazine eingingen oder am Tropf großer Medienhäuser hingen, hielt Tonspion an seiner Unabhängigkeit fest. Musikjournalismus mag heute nur noch als Hobby von ein paar Nerds belächelt werden, doch die Nachfrage nach fundierten, redaktionellen Inhalten ist nach wie vor riesig, schließlich möchte man Musik auch im Streaming-Zeitalter nicht nur konsumieren, sondern sich auch damit beschäftigen, sich informieren und darüber diskutieren.
Viele der einstigen Musikjournalisten sind in den Feuilletons der Zeitungen gelandet, andere haben Blogs gegründet oder sich beruflich umorientiert. Schließlich wird man von der professionellen Musikliebhaberei nicht reich.
In der Tonspion Redaktion, bestehend aus Journalisten und Musikern, wird regelmäßig über die besten Alben des Monats diskutiert und abgestimmt und bringt regelmäßig ganz andere Favoriten zum Vorschein als die Algorithmen der Streaminganbieter oder der Charts. Deshalb ist es auch heute noch sinnvoll, sich mit Musik intensiv auseinanderzusetzen. Es gibt uns die Chance, unseren musikalischen Horizont jeden Tag ein bisschen zu erweitern.
Soziale Medien und der Wandel der Musikberichterstattung
Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit im Netz hat sich gewandelt. Heute fließen die Werbebudgets der Musikindustrie nicht mehr in Musikmedien, sondern in Social-Media-Giganten wie Instagram und YouTube. Musikmagazine und Blogs haben es schwer, gegen Plattformen anzukommen, die sich ihre Reichweite von denjenigen bezahlen lassen, die sie mit Inhalten und Fans erst zum Leben erwecken. Ein System, dessen perfider Logik sich längst alle unterworfen haben, auch diejenigen, die sich auf die Independent-Kultur berufen.
Tonspion konnte sich durch den Fokus auf die eigene Website, seinen Newsletter und exklusive Inhalte behaupten – eine Unabhängigkeit, die sich langfristig auszahlt, selbst wenn die Budgets in der Musikbranche immer notorisch knapp sind und heute überwiegend in die Kassen der US-Tech-Giganten fließen und nicht mehr in lokale Indie-Strukturen.
Tonspion Membership: Neue Wege der Refinanzierung
Zum 25. Jubiläum hat Tonspion auf Steady ein Membership Modell eingeführt und gibt damit Lesern des Magazins die Möglichkeit, die Arbeit der Redaktion unkompliziert zu unterstützen. Mit nur ein paar Euro pro Monat kann Tonspion in den nächsten Jahren zunehmend unabhängig von schrumpfenden Werbebudgets werden und seine Arbeit weiter ausbauen.
Wir danken allen, die uns über die Jahre unterstützt haben und uns durch eine Mitgliedschaft weiter unterstützen.
Das Jahr 1999: Was sonst so geschah
1999
Google war gerade 1 Jahr alt und ein Studentenprojekt
Napster ging als Tauschbörse an den Start
Schröder war gerade Kanzler geworden
Wir bezahlten noch mit D-Mark
Mark Zuckerberg war 15 Jahre alt und noch in der Highschool
Es gab noch kein iTunes (2001)
Es gab noch kein Spotify (2006)
Streamingabos waren für die Musikindustrie eine Zukunftsvision von ein paar Spinnern
Hatten wir Angst vor dem Millenium Bug, der alle Computer weltweit lahmlegen könnte
9/11, Trump und Klimakatastrophe war noch weit entfernt und die Zeichen der Zeit standen auf Weltfrieden
Tonspion von 1999 bis heute
Archive.org hat den ersten Screenshot von Tonspion am 28. November 1999 gemacht. Hier die verschiedenen Versionen von Tonspion im Lauf der Jahre.
1999 Vers. 0.9
Gestartet ist Tonspion zunächst als privates Projekt von Udo Raaf, um HTML zu lernen. Von dieser Ur-Version ist leider nichts mehr zu finden. 1999 erfuhr die Tauschbörse Napster einen riesigen Zulauf und „Musik saugen“ wurde angesichts fehlender legaler Alternativen zum Massenphänomen. Erstmals konnte man Musik direkt zuhause aus dem Netz holen und musste nicht mehr in einen Plattenladen. MP3 waren angesagt und jeder wollte sie haben. Tonspion wurde der Wegweiser zur Musik im Netz und gewann schnell Zulauf.
2000 Vers. 1.0
Da es im Jahr 2000 immer noch keine legalen MP3 Angebote gab, stellten immer mehr Künstler und Indielabels Musik kostenlos als Download ins Netz. Die Fans sollten lieber direkt beim Erzeuger Musik beziehen, als Tauschbörsen zu nutzen, so die Idee. Es gab immer mehr erstklassige Musik legal als Download und Tonspion stellte sie vor und berichtete über den digitalen Umbruch im Musikbusiness. Tonspion blieb ungebrochen populär und wurde 2004 und 2005 sogar für den Grimme Online Preis nominiert.
2006 Vers. 2.0
Im 28. April 2003 ging der Apple iTunes Music Store online mit 200.000 Musiktiteln zum kostenpflichtigen Download für durchschnittlich 1 Euro pro Song. Nun gab es endlich eine legale Quelle für MP3 Downloads, die allerdings nur Apple Usern vorbehalten war. Die Musikindustrie setzte weiterhin auf den überflüssig gewordenen Tonträger als Geschäftsmodell und erstickte alles andere mit ihren Anwälten bereits im Keim.
2009 Vers. 3.0
2006 wurde Spotify in Schweden gegründet, aber es sollte bis 2012 dauern, bis der Streaminganbieter auch in Deutschland an den Start ging und den Download von Musik plötzlich überflüssig machte. Tonspion hatte in der Folge plötzlich nicht mehr mit einem Mangel, sondern mit riesigen Überfluss zu tun und stellte neue Musik unabhängig vom Dateiformat vor. Der Aufwand, eine Musikredaktion zu betreiben, wurde immer größer, doch die Werbebudgets der Musikindustrie gingen weiterhin an die Printmagazine, obwohl deren Auflage massiv schrumpfte.
2016 Vers. 4.0
Spotify und andere Streamingdienste haben das Musikgeschäft radikal verändert, niemand lädt sich heute mehr Musik runter, jeder kann seine Musik direkt online veröffentlichen und braucht nicht einmal mehr ein Label dafür. Da es kaum noch möglich ist, in der komplett zersplitterten Musikszene, mit Musik neue Leser zu gewinnen, erweitert Tonspion sein Angebot und berichtet auch über andere Themen, die Musikfans noch interessieren: vor allem Serien, Filme und Podcasts wurden immer populärer und die Auswahl ist hier nicht ganz so unüberschaubar wie bei der Musik.
2021 Vers. 5.0
Die Musikmagazine sind mangels Werbeeinnahmen größtenteils verschwunden, Tonspion füllt nun wieder eine Marktnische mit seinem Angebot und versucht Orientierung zu geben. Thematisch haben wir uns geöffnet und decken heute alles ab, was Musikfans auch noch interessiert: neben Musik Neuerscheinungen, Musikvideos und Konzerten ist das auch Film & TV, inbesondere Netflix, Amazon Prime Video und Co. Aber auch Podcasts, Audio Equipment, Games und aktuelle Trends in der digitalen Welt sind Themen bei Tonspion, die wir künftig weiter ausbauen werden.
Zwar gibt es heute auch noch zahlreiche kostenlose MP3 Downloads bei Tonspion, schließlich fühlen wir uns auch unserer Historie verpflichtet, aber natürlich spielen Downloads heute eine völlig untergeordnete Rolle. Trotzdem veröffentlichen manche Künstler immer wieder Musik direkt für ihre Fans und jenseits von Spotify, so dass auch noch manches exklusive Schätzchen zu finden ist.