Zum Inhalt springen

Interview: Die Ärzte über ihre Anfänge bis zur Auflösung 1988

Zum 30. Jubiläum ihrer zwischenzeitlichen Auflösung im Jahr 1988 veröffentlichen Die Ärzte ihr Gesamtwerk in einem umfangreichen Boxset. Die Musikjournalisten Anja Rützel und Christoph Dallach haben mit Farin, Bela und Rod über ihre einzigartige Karriere von den Anfängen bis heute gesprochen. Teil 1: Die Anfänge bis zur Auflösung 1988.

Die Ärzte Rod, Bela, Farin (v.l.) - Foto: Nela König
Die Ärzte Rod, Bela, Farin (v.l.) – Foto: Nela König

DER ANFANG VON ALLEM

Lasst uns über die ganz frühen Ärztejahre zu Beginn der Achtziger sprechen. Das fühlt sich wahrscheinlich an, als steigt man in einen tiefen Keller und wühlt in sorgfältig weggepackten Kisten, von denen man erst mal den Staub pusten muss.

Bela: Komischerweise erinnere ich mich an sehr viel aus dieser Zeit. So weggepackt und abgeschlossen ist diese Phase gar nicht. Im Nachhinein ergeben sich sogar noch schräge Zusammenhänge. Ich wurde damals zum Beispiel mal in einer Bar von zwei Skinheads angemacht und mit Bier übergossen. Die wollten, dass ich mit ihnen raus gehe und mich mit ihnen prügele. Ich hätte keine Chance gehabt, hab mich schon deshalb nicht provozieren lassen. Am Ende habe ich mit einem der Beiden Bier getrunken und mir seine Probleme mit seiner Mutter angehört. Und dann stolpere ich im TV irgendwann, Jahrzehnte später, über eine Doku über die Böhsen Onkelz und merkte: Moment mal, der Sänger – das war einer von den beiden.

Farin: Ich habe noch erstaunlich viel, auch die ganzen alten Demos. Wundert mich eigentlich, weil ich sonst nicht so ein Eichhörnchen bin, aber ich habe eine große Kiste, wo ich immer alles reingeschmissen habe.

Bela: Ich habe leider viel verloren. Auch wenn ich nie was bewusst wegschmeiße. Leider auch das Kreuz, dass ich auf dem Debil-Cover trage. Da hatte ich mit durchgeknallten Freunden gerade eine Sekte gegründet und dieses Kreuz trugen wir alle. Leider weiß ich den Namen nicht mehr. Da haben wir dann auch – Aids gab´s noch nicht – gegenseitig unser Blut getrunken, mit Wein vermischt und so Sachen. Nicht dass das jetzt wichtig wäre.

Farin: Ich rede allerdings selten über diese Zeit. Wer dabei war, weiß sowieso, wie das damals war, und wer nicht dabei war, dem kann ich es schlecht erklären – wie soll jemand, der uns heute sieht, verstehen, dass damals wirklich Frauen ohnmächtig geworden sind, wenn wir auf die Bühne kamen? Ich lüge darum manchmal, wenn ich jemanden neu kennenlerne und der mich fragt, was ich denn so beruflich mache. 

ACT DES MONATS

Linkin Park (Bandfoto 2024, James Minchin)
ACT DES MONATS: Linkin Park (Foto: James Minchin)

 

Gibt es irgendwelche verdrängten Zerwürfnisse oder unausgegorene Dinge zwischen euch, die wir gleich versehentlich wieder ausbuddeln könnten?

Farin: Nee, was soll da schlecht gewesen sein? Wir hatten große Träume, die um ein so Vielfaches übertroffen wurden – und zwar so schnell, dass man sich gar nicht mit dem Hinterherfreuen nachkam.

Das Gesamtwerk der Ärzte in einer Box.
Seitenhirsch – Das Gesamtwerk von Die Ärzte mit 33 CDs in einer aufwenig gestalteten Box kommt am 14. Dezember 2018 in den Handel.

Amazon 

In dieser Box ist auch zum ersten Mal das erste Demo von „Der lustige Astronaut“ zu hören, das Farin schon 1978 aufgenommen hast, und es ist erstaunlich nah an der späteren Endfassung. Waren die Ärzte schon lange in eurem Kopf, bevor es sie überhaupt gab? 

Farin: Ich hatte schon immer den Kopf voll von genau solchen Flausen. Den „Astronauten“ habe ich mit 15 oder 16 Jahren für eine Kassette aufgenommen, 45 Minuten Musik und Hörspiele, die ich auf dem Schulhof verkauft habe. Sie hieß „Spaß und Angst“, mit kopierten, beigelegten Texten und handkoloriertem Cover. Ein Song darauf hieß „Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf“, später wurde das der Titel unseres ersten Buchs. So alt sind viele unserer Ideen.

Verkaufte sich dieses Frühwerk gut?

Farin: Ich habe zehn gemacht und acht verkauft. Und ich habe tatsächlich immer noch alles im Kopf, was ich damals gemacht habe. Überhaupt alles, was ich jemals musikalisch gemacht habe. Jeden Ton kenne ich noch von dieser Kassette. Nach 25 Jahren habe ich sie mal wiedergehört und musste echt schmunzeln. Klar, da war auch viel Schrott drauf. Aber eben auch einige interessante Ansätze. Aufgenommen habe ich sie bei einem Freund, der exzentrischerweise zwei Kassettenrekorder besaß, und bei dem habe ich dann die Stereospur zu einer Monospur gemacht und live dazu gesungen, so dass ich ein improvisiertes Zweispur-Gerät hatte.

Bela B: Wir haben später auch mal ein Demo bei mir zuhause aufgenommen, in meinem Jugendzimmer, und ich habe mit Löffeln Schlagzeug gespielt.

Acht von zehn, das sind prozentual gesehen ja Wahnsinnsverkäufe. Hattest du das Gefühl, das Publikum hat deinen Humor verstanden?

Farin: Nee, überhaupt nicht.

Wie war es, als ihr beide dann aufeinandertraft? Humormäßig stellt man sich das ja vor wie zwei Tetris-Steinchen, die sofort zusammenpassten.

Bela: Das war auf jeden Fall sehr besonders. Ich hatte damals schon Texte geschrieben, die ziemlich ironisch waren oder es zumindest sein sollten, dann kam Jan und es passte einfach – das wusste ich, als ich die ersten Lieder hörte, die er zu unserer ersten Band Soilent Grün mitbrachte, „Spitz wie Lumpi“, das war „Guns of Brixton“ von The Clash mit deutschem Text, und „Kleine Kinder schmecken gut“, zum Beispiel. Die Gag-Gespräche auf der Bühne, das schnelle hin und her, der ironische Schlagabtausch – das gab es bei uns alles gleich von Anfang an.

Farin: Das war schon ein match made in Heaven. Bela hat damals zum Beispiel ein Fanzine gemacht, darüber hab ich mich totgelacht. Unser Humor ist bis heute kompatibel. Wir hatten zuletzt eine lange Phase, in der wir sehr viel Abstand voneinander hatten, und selbst in dieser Zeit kam alle fünf, sechs Monate mal eine SMS von Bela, in der dann als Einleitung stand: Pass auf, es gibt gewisse Sachen, die kann ich einfach nur mit dir teilen, die versteht sonst keiner – und dann kam ein lustiges Foto oder eine Anekdote. Und umgekehrt funktioniert das genauso. Unsere Humorachse ist sehr stark.

Bela: Das hört man schon in frühen Radio-Interviews, wo wir immer gerne Bad Cop gegen Good Cop gespielt haben. Einer hat angefangen, ganz vernünftig zu antworten, und der andere dann völligen Quatsch erzählt und den anderen mitgerissen. Thomas Gottschalk hat deshalb sogar mal ein Radiointerview mit uns vorzeitig abgebrochen. Es ging irgendwie um Yoko Ono, und ich sagte: der Unterschied zwischen ihr und uns ist, dass unsere Ehemänner noch leben. Und Gottschalk dann direkt: So, danke, tschüß, Musik abfahren bitte! Und weißt du noch, diese Diskussionsrunde in der Villa Kreuzberg, mit Blixa Bargeld? Thema war „Neue deutsche Musik“ oder so ähnlich, Blixa saß dabei, George Kranz, die Schlagzeugerin von Straßenköter…

Farin: Wahnsinn, was du noch alles weißt!

Bela: Und wir kamen auf die Bühne und haben den „Trommeltanz“ von Kranz gespielt. Ein ganz schreckliches Lied, über das wir uns gerne lustig gemacht haben. Tja und George Kranz war im Publikum, weil er nach der Diskussionsrunde neugierig geworden war. Danach hatten wir einen Feind mehr.

Farin: Ich war letztes Jahr in Temeswar in Rumänien, und auf dem Marktplatz war irgendeine Bodybuilding-Veranstaltung, und was lief auf einer monströsen PA? Der Trommeltanz!

George Krantz – Din Daa Daa / Trommeltanz

Bela: Das Stück war auch fester Bestandteil unserer Klomusik. In den Achtzigern wohnten Jan und ich ja in einer WG, und wenn der eine auf der Toilette saß und nicht fliehen konnte, hat ihn der andere mit möglichst absurden Stücken beschallt.  Wir hatten da einen richtigen Giftschrank mit ganz schlimmem Zeug, alles zusammengeklaut oder auf Flohmärkten ausgegraben. Später, als wir längst ausgezogen waren, habe ich noch jahrelang weitergesammelt, weil ich dachte: Vielleicht ziehen wir ja nochmal zusammen, und dann bin ich top-gewappnet.

Farin: Die schlimmsten Lieder waren – nach all den Jahren kann ich es dir jetzt sagen –: „Sind so kleine Hände“ …

Bela: Die Platte hattest aber du, von deinen Eltern.

Farin: …und „Die weißen Tauben sind müde“. Viele Jahre später habe ich dich mal in Hamburg besucht, und als ich auf dem Klo war, hast du mich direkt wieder mit was Scheußlichem beschallt, das habe ich dir nicht vergessen.

Bela: Ich hatte extra einen Lautsprecher installiert, falls du mal zu Besuch kommst.

Farin: Die Toilette nur für diesen einen Klogang verkabelt! Das ist Liebe.

Ihr wusstet also von Anfang an, dass es mit euch beiden passt?

Farin: Naja, es war jetzt auch nicht so, dass ich viele Alternativen gehabt hätte. Ich wollte Musik machen, und da gab es eben diese eine Band, die gerade einen Gitarristen suchte.

Bela: Ich spielte damals ja bei Soilent Grün, wir wollten eine Punkband sein, einfach Teil dieser Szene. Aber der Gitarrist war tatschlich nur dabei, weil er eben eine Gitarre besaß, das war seine einzige Qualifikation. Ein komischer Typ war das, spuckte ständig auf den Boden. Und dann wurde ihm die Gitarre geklaut, bei einem Konzert im KZ36, und ich traf eine Woche später Jan, das war Supertiming.

Zufall oder Fügung?

Bela: Auf jeden Fall eins von beidem. Warum war Jan ausgerechnet an diesem Mittwoch im Ballhaus Spandau, als wir uns kennenlernten, darüber könnte man lang sinnieren. Da wurde immer eine Stunde lang Punkrock gespielt. Es kostete 50 Pfennig Eintritt, und dann liefen The Members, die Sex Pistols, und als Rausschmeißer endete die Punkrockstunde immer mit Phil Collins, „In the Air tonight“. Dann war es zehn Uhr und wir konnten nach Hause gehen. Eigentlich waren wir da immer nur eine Handvoll Punks, und eines Abends waren da noch zwei mehr, mit kurzen blonden Haaren und extrem braun gebrannt.  Jan war damals mit seinem besten Freund schon immer viel unterwegs und kam gerade aus Italien zurück. Aber ernsthaft, warum bist du damals eigentlich so weit gefahren, bis nach Spandau?

Farin: Ich habe meine Berliner Adoleszenz ja in Frohnau verbracht, und da gab es zwei Optionen: Entweder, man kannte jemanden, der dich im Auto mit nach Kreuzberg nahm, wo man angeblich Punkrock hören konnte – da kannte ich aber keinen. Oder man kannte einen, der dich auf dem Moped mit nach Spandau nahm – da kannte ich einen. Mehr Punkock-Optionen gab es damals nicht in Berlin.

Bela: Im Tiffany’s liefen noch manchmal alle zwei Stunden zwanzig Minuten Punkrock. Dort habe ich in einem Jahr den Twist-Wettbewerb gewonnen, und im nächsten Jahr dann Pogo getanzt.

Wie kam es dazu, dass ihr nach einem Jahr bei Soilent Grün beschlosst, Die Ärzte zu gründen?

Bela: Es wurde immer anstrengender, weil wir dem Bassisten und Sänger Hussein, nicht politisch genug waren. Dem waren wir zu albern. Jan hatte die Idee für eine neue Band, und wir haben zu zweit einen Abend lang rumgesponnen und uns Attribute dafür überlegt: Die Ärzte – die, die jeder braucht! Die Ärzte – die Formidablen! Wir haben die ganze Nacht durch die Gegend geclaimt, wie man heute sagen würde. Jan hat zu der Zeit aushilfsweise bei seinem Vater im Büro gearbeitet und dort auf dem Drucker Aufkleber gebastelt. Damit haben wir dann unsere Stammläden zugepflastert.

PR für eine Band, die es noch gar nicht gab.

Bela: Genau, und das war uns völlig klar. Fanden wir auch genau super so, wir sind von Anfang an total großkotzig aufgetreten.

Farin: Wir haben uns damals auch bei unserem allerersten Konzert im Besetzer-Eck auf die Bühne gestellt und gesagt: wir sind Popstars. Das war unser Selbstverständnis.

Als ihr sehr viel später, zu „Ist das alles?“ unter dem Namen „Die beste Band der Welt“ aufgetreten seid, gab es ja tatsächlich eine Plattenfirma, die euch das untersagen lassen wollte.

Farin: Die drohten tatsächlich mit einer einstweiligen Verfügung.

Bela: Das war Universal, unser jetziger Vertrieb. Die verlangten, dass wir das im Namen ihrer Künstler unterlassen. Der Chef unserer damaligen Plattenfirma hat dann dort angerufen und gesagt: Ihr müsst erst mal beweisen, dass die Ärtze nicht die beste Band der Welt sind. Wir hatten das ja nicht genau spezifiziert, worin wir die besten waren. Die Behauptung war also völlig legitim. Als dann aber jemand auf die Idee kam, unsere Tour mit „die beste Liveband der Welt“ zu bewerben, war das nicht so schlau. Ich hatte ja Dekorateur gelernt und wusste aus der Berufsschule: Das war vergleichende Werbung, und das hätte man uns verbieten können.

Farin: Im Preußenstudio hing mal ein Plakat von uns: „Die beste Band der Welt. Die Ärzte“. Dann kamen mal die Toten Hosen zu Besuch, und als die wieder gingen, stand da: „Die beste Band der Welt. Zu Gast: Die Ärzte.“

Bela: Dieser Witz wurde auch wahnsinnig oft adaptiert: Es gab dann plötzlich Die zweitbeste Band der Welt, Die bald beste Band der Wand. Holy Moses gingen nach unserer Trennung 1989 mit: „Jetzt die beste Band der Welt“ auf Tour. Und die Beatsteaks haben mir mal kommentarlos ihr Shirt geschickt: „Die beste Band des Universums“.

Bei aller Koketterie mit Größenwahn: Hattet ihr denn damals auch tatsächlich den Plan: Wir werden jetzt Stars?

Bela: Ich wollte ne Band haben, einfach Musik machen. Ich dachte nie, dass das mal mein Beruf sein würde. Es hat auch ganz schön lange gedauert, bis ich dieses Potenzial gesehen habe. Mit Soilent Grün und den Ärzten haben wir ja immer nur in Bremen und Braunschweig gespielt – in Braunschweig kannten wir Schlampe, den Sänger von den Sluts, der uns dann immer gebucht hat, und in Bremen hatten wir eine gute Beziehung zum Schlachthof, wo wir damals viel mit der Deutschen Trinkerjugend und den Mimis gespielt haben. Dann machte die Nachricht von unserer Existenz langsam die Runde, und die erste Single fiel einem Bravo-Redakteur in die Hand.

Farin: Popstar werden war nie der Plan. Mir saß die Familie im Nacken, ich sollte studieren. Ich hatte mich auch eingeschrieben, hatte aber keinen Bock, als ich sah, wie es an der Uni so läuft. Wir haben uns die Zeit vertrieben mit Musik, während wir gewartet haben, dass irgendwann mal ein Job vorbeikommt, den man sich vorstellen könnte. Irgendwann Mitte der Achtziger hat die Gema mir mal – für damalige Verhältnisse – einen Haufen Geld überwiesen, und tatsächlich fiel bei mir erst dann der Groschen: Vielleicht könnte man ja von Musik leben! Aber als wir dann anfingen, wirklich Geld damit zu verdienen, haben wir uns auch schon aufgelöst.

Bela: Es war ja auch verpönt, mit Punk Geld zu verdienen. Freunde von uns, mit denen wir früher bei Konzerten Pfandflaschen sammelten für ein Bier umsonst am Tresen, nahmen es uns wirklich übel, als wir irgendwann in der Bravo waren. Wir haben mit diesem Image gespielt, aber für die anderen waren wir schon so ein bisschen die Verräter der Punk-Gedanken. Wen wir aber immer auf unserer Seite hatten: Ziemlich viele Mädchen, viele Punketten, die auch keinen Bock mehr auf diese Machogesten hatten, die es eben auch in dieser Szene gab. Aber spätestens, als wir in der Bravo waren, war uns klar, dass wir nie wieder zurückgehen und politische Punkmusik spielen könnten.

Habt ihr euch wohlgefühlt mit dieser Rolle, die Ihr innerhalb des Punksystems einnahmt? Keine Politpunks, keine Suffpunks, eher die fröhlichere Variante?

Bela: Jan und ich hatten eine Idealvorstellung: Wir waren beide totale Melodiejunkies. Wenn in einem Lied eine schöne oder ungewöhnliche Melodie drin war, dann mochten wir die Musik. Das war genau die Musik, die wir auch selbst machen wollten. Rückblickend sage ich, es war total wichtig und notwendig, dass es damals eine Teenieband gab, die eine Alternative bot zu den anderen, glattgebügelten Teeniebands. Wobei ich denen gegenüber gar keine bad feelings habe, ich war ja auch mit zehn Jahren auf einem ABBA Konzert, mit meiner Mutter, und fand das super. 

Der Blick zurück lässt aus heutiger Perspektive auch einige Aspekte eurer Bandgeschichte total absurd wirken. Dass Farin nicht zu einem Soilent Grün-Auftritt fahren konnte, weil keiner eine Telefonnummer von ihm hatte und ihr nicht wusstet, wie man ihn erreicht. Oder dass der Infotext zur ersten Ärzte-Single nicht der Platte beigelegt werden konnte, weil er auf Karopapier getippt war und nicht fotokopiert werden konnte. Das kann man jüngeren Menschen schwer erklären.

Farin: Ja, es war schon sehr, sehr, sehr basic damals, das klingt heute wie aus einer anderen Welt. Ich glaube sowieso, unsere ganze Karriere wäre heute so nicht mehr machbar.  Ich habe mir neulich Bilderbuch live angeschaut, die waren technisch so unfassbar gut! Wir haben uns damals nicht geschämt, weil die anderen Bands auch nicht viel mehr konnten, aber heute würden dich die Leute von der Bühne runterlachen, wenn du so rumstümpern würdest wie wir damals.

Bela: Zuerst hatten wir ja vor, jemand anderen singen zu lassen. Max Müller, war damals frisch in Berlin und mein Freund. Max war so ein junger, gutaussehender, hibbeliger, charismatischer Typ, und wir hatten uns das mit dem Singen am Anfang selbst nicht zugetraut. Max’ Bruder war mit seiner Band „Die tödliche Doris“ ja auch szeneprägend, also hielten wir das für eine gute Idee. Max Band DIE HONKAS gab es nach ihrer Single schon nicht mehr.

Farin: Als Max dann zum dritten Mal einfach nicht zur Probe gekommen ist, haben wir gesagt, na gut, dann singen wir halt selbst. Schon irre, an welchen Kleinigkeiten sich letzten Endes die Richtung dieser Band entschieden hat.

Bela: Max hat dann recht bald MUTTER gegründet. Er und ich, wir haben übrigens das gleiche Tattoo, ein Herz mit gekreuzten Knochen, das Zeichen der Vollstarken, unserer Quatschbewegung. Haben wir uns als Teenager selbst gepikert, im Wohnzimmer meiner Mutter.

Apropos Knochen: Auf eurer ersten Veröffentlichung, „Zu schön, um wahr zu sein“, war ja auch „Grace Kelly“ mit drauf – das scheint aus heutiger Sicht sehr gewagt, denn sie war da doch gerade erst tödlich verunglückt, oder?

Bela: Ja, das war noch recht aktuell. Das war der erste Eklat, den wir ausgelöst hatten.

Hat sich es sich für euch damals weniger vermint angefühlt Texte zu schreiben? Wart ihr freier, weil ihr die möglichen Reaktionen dabei noch gar nicht bedacht habt?

Bela: Dass das wahrscheinlich so war, haben wir viel später gemerkt, erst im Rückblick auf die achtziger Jahre. Damals gab es aber tatsächlich nur einen Radioredakteur, der sich fürchterlich aufgeregt hat: „Dieser geschmacklose Dreck läuft bei uns nicht!“ Naja, auf anderen Sendern lief das Lied ja auch nicht, das war also nur einmal mehr nicht im Radio laufen, als es sowieso schon nirgends läuft.

Farin: Wir wollten dann eigentlich am Thema „Monegassischer Adel“ dran bleiben. Bela hatte sogar schon einen Text geschrieben: „Was wird nun aus Stefanie /ich bin so besorgt um sie.“ 

Könntet ihr heute immer noch machen. Gala-Punk, das wäre mal ein neues Genre.

Bela: Eigentlich keine schlechte Idee für ein Themenalbum: „Kim Kardashian/ you’re on Instagram again.“ Müsste man echt mal ausprobieren.

Farin: Und genau das haben wir damals gemacht: Einfach mal was ausprobieren. Das sieht man schon an der Mischung von „Zu schön, um wahr zu sein“:  „Teddybär“, „Anneliese Schmidt“, „Teenager Liebe“ und „Grace Kelly“ – da gab es noch keine Linie und keine Richtung, wir haben einfach gemacht. Wir haben einfach mal alles ausprobiert.

Bela: „Teenagerliebe“ war natürlich klar im Kontext von Dion and the Belmonts’ „Teenager in Love“, einem unserer Lieblingslieder, und die anderen drei Lieder hatten eben Punkrock-Attitüde.

Farin: Im Studio hatte ich damals spontan diese Wandergitarrenakkorde angeschlagen und „Anneliese Schmidt“ dazu gesungen. Das war so das Genre „Lagerfeuermusik für Bescheuerte“, fanden aber alle super, und wir haben das ganz spontan arrangiert und aufgenommen,

Bela: Und ich durfte mein erstes Gitarrensolo aufnehmen.

Im selben Jahr kam dann das Mini-Album „Uns geht’s prima“. War die Arbeit daran dann schon kalkulierter und nicht mehr so unbekümmert?

Bela: Das sollte, nach Plan unseres Labels Vielklang, eine Art Visitenkarte sein, um die größeren Plattenfirmen auf uns aufmerksam zu machen. Deshalb sollten da nur die poppigsten Songs draufkommen. Die Songs, die am wenigsten anecken.

Farin: Zumindest „Kopfhaut“ hat aber doch unsere anarchische Seite gezeigt.

Bela: Bei zwei Liedern wurde tatsächlich ohne mein Wissen ein Schlagzeuger ins Studio geholt, weil mein Stil angeblich nicht zu diesen poppigeren Songs passte, angeblich. Aber der vermeintliche Profi lieferte dann nicht besonders, beim Mischen mussten sie alles gerade schneiden, und ich saß grinsend daneben. Teile der Studiozeit waren damals von einem Wettbewerb des Berliner Senats finanziert, den wir gewonnen hatten.

Farin: Das Publikum konnte dabei nach einem Konzert entscheiden, welche Band es am besten fand. Es gab drei Boxen, eine für jede Band, in die man dann als Wahlzettel seine Eintrittskarte werfen konnte.

Bela: Wir hatten am selben Abend vor dem Wettbewerb noch einen bezahlten Gig in der TU-Mensa. Deshalb kamen wir sehr spät an und sind dann mit unserem Equipment quer durchs Publikum marschiert und haben aufgebaut. Es waren auch jede Menge Frau Suurbier-Fans vom Mensa Auftritt zuvor mitgekommen. Die fanden es wahnsinnig lustig, uns während unseres Auftritts zu bewerfen.

Mit Gammelgemüse?

Farin: Schlimmer: Mit Schaumküssen. Wenn da einer auf dem Griffbrett gelandet wäre und das mit dieser Zuckermasse verklebt worden wäre, hätten wir aufhören können

Bela: Unsere Freunde hätten uns den Gewinn also fast verdorben.

Farin: Aber sie haben es wieder gut gemacht, indem sie ein paar weggeworfene Karten vom Boden aufgesammelt und bei uns in die Box gestopft haben. Nach dem Sieg im Wetteberweb stellten es Leute, die uns nicht mochten, so dar, als ob wir das Geld ja gar nicht brauchten, weil wir sehr gut situiert wären. Was absolut nicht stimmte. Bis auf Sahnie, also Hans, waren wir wirklich arm.

Bela: Wir hatten bis zu dem Moment auch nur eine erste Single draußen. Und dafür musstest du, Jan, dir ja noch 2000 Mark von deiner Mutter leihen, damit die ersten 1000 Singles überhaupt pressen konnten.

DEBIL

Bevor ihr mit „Debil“ dann euer erstes Album aufnehmen konntet, hat Farin die Zukunft der Band ja nochmal spannend gestaltet und ist nach London ausgeschert.

Farin: London war ja für den jungen Punker das Mekka überhaupt. Ich hatte dort einen Kumpel, der es für eine gute Idee hielt, dass ich auch dort hinziehe, und der behauptete, er hätte einen tollen Job für mich. Also packte ich meine Sachen. Der Job war aber so lausig, dass ich nach einer Woche wieder zuhause war.  Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Der hat die Ärzte aufs Spiel gesetzt! Aber da war ja noch nichts, was ich hätte riskieren können, es ging ja um nichts.

War das ein Zustand paradiesischer Leichtigkeit?

Farin: Tatsächlich: Ja! Und sich das zu bewahren, wo mittlerweile einige Arbeitsplätze an den Ärzten hängen, ist echt schwierig. Ich möchte nie das Gefühl haben, ich MUSS jetzt was machen, ich MUSS jetzt ein Lied schreiben, denn dann wird es nicht gut. Jeder, der das jetzt liest und einen normalen Job hat, sagt natürlich spätestens jetzt: Na, du Arschloch, das will ja niemand, aber man kann es sich halt nicht anders leisten. Aber so funktioniert Kreativsein eben nicht. Der einzige Motivationsgrund Musik machen zu können, ist für mich: Dass ich richtig Bock drauf habe. Und das geht uns allen drei so, auch wenn jeder es anders formulieren würde. Die Idealkonstellation ist, dass wir alle drei Bock haben, auch aufeinander. Dann kann das Ergebnis wirklich sensationell werden.

So wie Frauen, die sich sehr gut kennen, sich in ihren Periodenzyklen angleichen, müsst ihr euch…

Farin: …in unseren Bockzyklen angleichen. Das ist wirklich so.

Bela: Es gab auch Zeiten zu Beginn, in denen ich zwar Bock auf die Band hatte, aber sehr unzuverlässig war. Auch, was Probezeiten anging. Jan und Hans haben mir deshalb mal zusammen eine Uhr geschenkt. Das war ganz süß, weil sie sich erst lange zusammen überlegt hatten, welche Art von Uhr ich überhaupt tragen würde. Jan und ich waren große Zeichentrickfans, sind auch zusammen gerne ins Kino in die „Lange Nacht des Zeichentrickfilms“ gegangen. Und dann haben sie mir ne grüne Bugs-Bunny-Uhr geschenkt. Die habe ich auch getragen. Das war das einzig Bunte an meinem Outfit.

Hattet ihr dann das Gefühl, jetzt geht es tatsächlich um etwas, als es an die Aufnahmen von „Debil“ ging?

Bela: Nicht wirklich. Wir hatten einen Showcase in einer ganz üblen Disco in Frankfurt. Da waren dann verschiedene Leute der Chefetage von CBS, besoffen sich auf Kosten der Plattenfirma und lachten über uns. Jim Rakete, der damals unser großer Fürsprecher bei CBS war, hat dann die Aufnahmen durchgedrückt.  Aber wir sollten erstmal nur eine Single machen, als Test. Wir bekamen eine Woche Studiozeit und sollten unsere „drei kommerziellsten Songs“ aufnehmen.

Farin: Sowas hatten wir aber leider nicht.

Bela: „Paul“ war deutlich der kommerziellste Song, den wir damals hatten. Und wie später „Männer sind Schweine“ wurde das zu einem Lied, das uns im Nachhinein relativ schnell peinlich war. Bis heute ist das eine Gagnummer, die manchmal einer nur deshalb anspielt, um den anderen zu ärgern.

Euer ganz privates „Hossa“!

Bela: Genau. Der Song war einfach zu positiv. Jedenfalls dachten wir: Warum sollen wir eine Woche Studiozeit für drei Songs verschwenden? Und beschlossen, einfach so viele Lieder aufzunehmen, wie wir schaffen konnten. 

Farin: Am Ende haben wir 12 Lieder aufgenommen – in der Zeit und mit dem Budget, das für drei veranschlagt war.

Das klingt allerdings nach einem ausgebufften Trick, aus einer geplanten EP clever ein ganzes Album zu machen. 

Farin: Wir dachten einfach, wir zeigen denen mal, wie toll wir sind. Das fanden die CBS Typen zwar nicht direkt, sie fanden nur, dass wir sehr fleißig sind. Und sagten: “Toll, wir geben euch nochmal ne Woche zum Mischen, dann macht doch alles schön fertig. Sie haben uns dann wahrscheinlich mehr aus Mitleid das Album machen lassen, so nach dem Motto: Die drei haben zwar keinen Hit, aber dann haben sie wenigstens eine Platte. 

Bela: Die Spex schrieb damals: „Man hört den Schliff der Industrie“, dabei hatten wir für „Debil“ viel weniger Studiozeit als zuvor für „Uns geht’s prima“. Außerdem hatten wir die kommerziellen Songs ja schon auf der EP verbraten.

Spürtet ihr bei den Aufnahmen einen gewissen Druck, die bestmögliche Kunst abzuliefern, weil ihr ja nicht wissen konntet, ob es danach noch ein zweites Album geben würde?

Bela: Mein Plan B war immer, dass es keinen gab, und darum war ich tatsächlich total sorglos. Ich dachte mir: Wenn das mit der Musik nicht klappen sollte, arbeite ich eben in einer Bar oder lege irgendwo auf – obwohl ich das gar nicht kann. Bis heute nicht. Ich bin ein total beschissener DJ. Aber die Platte hat innerhalb von einer Woche 10 000 Stück verkauft, dann in der nächsten Woche nochmal so viel, und dann stagnierte das. Für eine Platte, die nichts gekostet hat, war das ganz okay. Man muss wahrscheinlich sagen, dass die Ärzte in der Wahrnehmung der Leute immer größer waren, als das die Verkaufszahlen abgebildet haben. Viele Menschen kannten uns auch einfach gar nicht. Irgendwann in der Anfangszeit kamen mal irgendwo auf dem Land Leute beim Soundcheck in die Halle rein, weil sie draußen unsere Plakate mit dem roten Kreuz drauf gesehen hatten und Blut spenden wollten. 

IM SCHATTEN DER ÄRZTE

Gerade die ersten beiden Alben sind ja oft stilbildend für eine Band. Man lotet miteinander aus: Was finden wir gut, was schlecht, welche Rolle nimmt wer ein. Wie lief dieser Prozess bei euch?

Farin: Mit „Im Schatten der Ärzte“ haben wir diese divergierenden Charaktere eingeführt, die Bela und mich unterscheiden. Bela hat gesagt, ich bin jetzt Grufti, wir machen jetzt Vampirlieder! Ich ließ zwar auch schon böse Menschen in meinen Texten auftreten, El Cattivo und so, war damit aber automatisch gezwungen, das ergänzende Pendant zu sein. Und ich habe dann halt Sunshine-Songs gemacht.

Bela: Ich war eben der Nachtaktivere von uns beiden, also fiel mir automatisch der dunklere Part zu. Allerdings haben wir da ja auch schon zusammengewohnt, und Jan fand manche Gothic-Bands, die ich hörte, gar nicht so schlecht. Aber mich hat das Düstere schon immer mehr angezogen.

Farin, wärst du auch gerne mal der Dunkle gewesen?

Farin: Ich war zwar wirklich fast immer gut gelaunt, das stimmte schon, aber natürlich hatte auch dunkle Seiten. Aber die waren eben einfach schon durch Bela abgedeckt. Als ich neulich mal in alten Songs von mir kramte, habe ich gemerkt, dass ich damals eigentlich ganz schön viele dunkle Songs geschrieben hatte, aber die habe ich, glaube ich, gar nicht vorgespielt. 

Dafür hast du Bela dann später mit „Elke“ das erste Heavy Metal-Lied weggeschnappt.

Farin: Ja, das fand er dann auch doof. Metal war ja seine Musik. Aber er mochte das Lied an sich so gern dass wir es gemacht haben. Nach der Reunion waren die Rollen dann ohnehin gemischt, weil mit Rod ein Joker in die Band kam, mit dem stilistisch alles geht. Komm, wir spielen jetzt Bebop! – Okay!

Bela. Ich hätte Elke so eh nicht schreiben können, so einfach war das. Ich habe bei „Wilde Welt“ versucht, so ein Hardrock-Riff zu bauen, aber dafür waren meine Gitarrenfähigkeiten einfach nicht gut genug. Dementsprechend war das schon ok. Jan hat mir ja auch netterweise das Gitarrensolo überlassen.

Hattet ihr auch mal überlegt, eure Lieder zusätzlich auch auf englisch rauszubringen? Es gibt ja diese englische Fassung von „Du willst mich küssen“, wo sich „Rachmaninow“ ganz herausragend auf „Love“ reimt.

Farin: Nee, daran haben wir tatsächlich gar nicht gedacht.

Bela: Wieso haben wir das damals eigentlich aufgenommen?

Farin: Ich glaube, einfach nur aus Scheiß. Oder vielleicht hatte Micki irgendwelche Kontakte nach England, vielleicht wollte er das da mal jemandem vorspielen.

Micki Meuser, der Produzent von „Im Schatten der Ärzte“, war ja lustigerweise auch der Produzent von Bettina Wegener und damit mitverantwortlich für euren Klohit „Sind so kleine Hände“.

Bela: Micki war Bassist bei Ina Deter, deren „Neue Männer braucht das Land“ auch auf dem Klo lag. Aber mit Nervous Germans hatte er auch eine New Wave Band.

Farin: Micki ist ein Supertyp. Aber mit dem Album hat es nicht richtig funktioniert.

Bela: Das war die Zeit, in der alle angefangen haben, Samples zu benutzten, fast alle Platten klangen damals so. Ich habe nur auf „Wie ein Kind“ Schlagzeug gespielt, bei „Monsterparty“ – das es aber nicht auf die Platte schaffte. Erst sehr viel später landete der Song auf der „Unplugged“.

Farin: ich bin bis heute unglücklich mit der Produktion. Diese donnernden Drums! Ich glaube immer noch fest, es gibt ein paar Songs aus dem Album, wenn man die mit etwas mehr Gefühl produziert hätte… Aber ganz ehrlich, ist auch egal. Wir konnten später ja noch so viel ausprobieren.

Bela: Wir haben im Studio auch wahnsinnig viel Zeit verplempert mit dem Basslauf von „Du willst mich küssen“. Hans hatte ja immer nur den einen Lauf im Repertoire, den er dauernd angeboten hat, den Basslauf von „It doesn’t make it alright“ in der Version der Stiff Little Fingers. Den Basslauf, den wir für „Du willst mich küssen“ wollten, hat er gar nicht kapiert. Also haben wir versucht, ihn zu programmieren, aber selbst der Basslehrer von Hans hat´s nicht wirklich gekonnt. Am Ende war es eine Kooperation von Jan und Micki, der eigentlich nicht auf der Platte spielen wollte.

Hans nannte sich zwar „Sahnie, das kleine Sahnebonbon“, aber eure Erfahrungen mit ihm waren eher bitter.

Bela: Es gab schon früh komische Situationen mit ihm. Für einen Auftritt beim britischen Channel 4, die kurz vor „Im Schatten der Ärzte“ ein Berlin-Special drehten, haben wir den Song „Eva Braun“ aufgenommen, um ihn Playback zu performen. Jan und ich waren voll konzentriert, hingen mit dem Mischer über dem Pult. Hans saß in irgendeinem anderen Aufnahmeraum und machte die ganze Zeit so „Mimimimi“-Piepsgeräusche. Wir saßen schon 16, 17 Stunden im Studio, er kam immer nur sporadisch mal vorbei, und fragte dann: „Habt ihr meine Mäusesignale gehört?“ Der Toningenieur war kurz davor, ihn zu erwürgen.

Klingt mindestens anstrengend.

Bela: Ich konnte ihm nie so ganz vertrauen. Als wir mal in Düsseldorf am Ratinger Hof gespielt haben, traf er sich heimlich mit dem Manager der Toten Hosen. Der hielt ihn für das Band-Mastermind und wollte Die Ärzte irgendwie aus dem Weg räumen. Hans war der erste, der mit unserer Band ernsthafte Absichten hatte und unbedingt Geld verdienen wollte.

Wie absurd, dass er ausgerechnet er dann in „Wie ein Kind“ von jemandem singt, der den ganzen Tag „der Kohle hinterherläuft“.

Bela: „Wie ein Kind“ ist ein tolles Lied, ein klassischer Rockpopsong, der ja wie „Zu spät“ funktioniert. Mit einem klassische Aufbau, einem klassischen Thema: verlorene Jugend, das ist ja das Thema überhaupt der Rockmusik! Wir haben „Wie ein Kind“ geliebt, wenn wir es bei Konzerten von Frau Suurbier gehört haben. Da hatte Micha den immer gesungen. Als wir dann fragten, Hans, haste was geschrieben für die zweite Platte? sagte er: „Nee, aber wir können ja „Wie ein Kind“ nehmen, von den Suurbiers, der Song ist von mir“. Haben wir natürlich sofort gemacht, war ja eines ihrer besten Lieder.

Und ihr habt erst später erfahren, dass Hans es gar nicht geschrieben hatte.

Bela: Das sagt viel über damaligen Bedingungen aus. Die waren für die Bands sehr prekär. Frau Suurbier hatte alle Lieder bei der Gema auf Hans angemeldet, um etwas Geld zu sparen. Und so lagen alle Rechte bei ihm. Er hatte eben Geld, durch seine Eltern, ansonsten waren ja alle ständig klamm. Einen unserer ersten Verzerrer habe ich bei der Band The Wirtschaftswunder von der Bühne geklaut. Das glich sich dadurch karmamäßig wieder aus, dass Jan nach einem Konzert die Gitarre von der Bühne gestohlen wurde, das wiederum war ein Punker mit Irokese und Oberlippenbart namens Jesus. Die Gitarre bekamen wir wieder. Später wurde uns dann noch der Verzerrer entwendet.

Hattet ihr keinen Verdacht geschöpft, als Hans plötzlich mit so einem sensiblen Lied daherkam?

Bela: Nee. Wir hätten es uns aber wirklich denken können: Er hat zwischendurch ja auch mal Lieder für Die Ärzte geschrieben, und die waren einfach so viel schlechter. Ich erinnere mich noch sehr gut an „Tini ist ein Werwolf“, das er fürs dritte Album vorgeschlagen hat, wo es im Refrain immer hieß: „Tini, lass das Beißen sein / Tini, lass mich nicht allein,“ so richtig schlimmer Schunkelrockabilly war das.

Und irgendwann wollte er dich ja sogar aus der Band werfen.

Bela: Er hatte Jan zumindest so weit, dass er sagte: Wir stellen Bela vor die Wahl: Entweder du hängst dich jetzt voll rein, oder du bist raus. Ich war damals nächtelang unterwegs, auch mal auf Drogen. Das war Hans nicht fokussiert genug. Zum zweiten Album gab es ein Treffen bei Jan in der Wohnung und Hans sagte: „Ab jetzt wird das anders aufgezogen. Jetzt werden Popsongs fürs Radio geschrieben, und du ziehst da gefälligst mit. Oder Wölli, der mich bei Frau Suurbier ersetzt hatte und noch nicht bei den Hosen eingestiegen war, wird der neue Die Ärzte-Schlagzeuger.“ Angeblich hätte der schon zugesagt, was Wölli mir gegenüber später verneinte.

Farin: Als Bela dann kurzzeitig selbst aussteigen wollte, hat Jim Rakete zum Glück schnell geschaltet und gesagt: Nee, ohne ihn gibt es diese Band nicht. Dann gab es Mediationsgespräche, und Hans gelobte Besserung,.

Bela: Du hast das alles nicht verstanden und wolltest es einfach nicht wahrhaben.

Farin: An irgendeinem Abend hat er dann aber Sachen zu mir gesagt, die so krass und drastisch waren – da wurde mir klar, was ich mir für ein Lügengebilde aufgebaut hatte, und da gab es dann keinen Weg mehr zurück. Hans musste weg.

Bela: Es war ganz gut, dass ich an diesem Tag mal wieder eine Stunde zu spät zur Probe kam und Hans in dieser Zeit all diese Dinge zu Jan gesagt hatte. Ich rief Jan von der Telefonzelle aus an, um mich zu entschuldigen weil ich zu spät bin. Jan sagte nur: „Ach, du kannst dir Zeit lassen. Und übrigens, wir schmeißen Hans aus der Band.“

Warum hat es so lange gedauert, bis ihr euch dazu durchringen konntet?

Farin: Bela und ich kommen aus eher dysfunktionalen Familien, und für uns war die Band ganz klar eine Ersatzfamilie. Darum haben wir recht lange die Augen verschlossen und gesagt, komm, wir kriegen das wieder hin.

Bela: Es gibt geflügelte Worte von Hans, die wir heute noch benutzen. Zum Beispiel. „Halt’s Maul und spiel“ – das hat er mal zu mir auf der Bühne gesagt, als ich gerade einen Witz über ihn machte. Ich weiß ihn sogar noch, es war auch ein blöder Witz, ein Ansage für „Kamelralley“, den Hans ja sang, und ich sagte, dass seine Stimme eigentlich von den Genfer Konventionen als Verstoß gegen die Menschenrechte eingestuft ist. Einmal war sein Bruder im Publikum und hat mir mit der Faust gedroht, weil ich zu viele Witze über Hans machte.

Obwohl sein Rauswurf unter euch beiden beschlossen war, habt Ihr aber noch ein Konzert mit ihm gespielt. Bei einer Raiffeisenbank irgendwo in Süddeutschland, ohne ihm zu sagen, dass es sein letzter sein würde.

Farin: Ja, weil der Auftritt so wichtig für uns war, da gab es 6 000 Mark. Alle wussten es, außer ihm. Sogar der Fahrer.

Bela: Wir haben dann hinter seinem Rücken auch schon über Ersatz nachgedacht, und ich hatte relativ schnell Hagen im Kopf: Ein kluger, angenehmer, ruhiger Typ. Ich habe ihn in seiner ganzen Ärztezeit nur einmal besoffen gesehen, und da war er auf Eierlikör. 

DIE ÄRZTE

Euer drittes Studioalbum, „Die Ärzte“, war eher ein dunkles Artefakt, nicht nur, weil das Cover so finster war. Auch die Lieder darauf sind, bis auf „Ich bin reich“ als fröhlicher Aussetzer, ja eher düster.

Farin: Das ist mir damals gar nicht so aufgefallen, aber es korrespondiert mit unserer Geschichte: Hans war gerade rausgeflogen, und wir hatten eine eher ungewisse Zukunft. Unser Produzent Manne Praeker ermunterte mich zum ersten Mal dazu richtig Rockgitarre zu spielen. Sonst habe ich meine Gitarre ja immer eher wie eine Ukulele bedient und bis dato nur auf „Käfer“ mal richtig Gas gegeben. Manne hat das Rockigere sehr forciert. Weil ich damals großer Billy-Idol-Fan war, hab ich mir dessen typisches Ge-deng-ge-denk ausgeliehen.

Bela: „Die Ärzte“ war bis dahin unsere teuerste Platte, was am luxuriösen Produktionsstil von Manne Praeker lag und daran dass die Platte im Abschluss indiziert wurde. Mannes Stil war eher: „So, jetzt gehen wir mal essen, puh, jetzt sind wir so satt, jetzt gehen wir nicht mehr ins Studio, machen wir morgen weiter!“ Wir haben überzogen und mussten verlängern, darum sind auf der Platte auch nur 11 Lieder, weil wir sehr viel Zeit verplempert haben. Wir haben „Die Ärzte“ aufgenommen wie Spliff, und die Platten zuvor haben wir aufgenommen wie eine Garagenband. Wir haben immer die Milkshakes, die Band von Billy Childish, dafür bewundert, dass sie einmal zwei Alben an einem Tag aufgenommen haben, das fanden wir eigentlich super.

Auf „Die Ärzte“ hast du Bela dich ja auch endgültig als zweiter, gleichberechtigter Sänger etabliert.  

Bela: In einer der für mich größten Bands, Kiss, haben auch alle gesungen. Bei Soilent Grün war das ganz normal für uns. Und bei den Ärzten waren zwei Sänger dann schon allein deshalb praktisch, weil wir oft in total verrauchten Läden gespielt haben, und Jan dann zwischendurch mal eine Pause brauchte. Und natürlich machte es die Band auch bunter und vielfältiger. 

Mit „Sweet Sweet Gwendoline“ wurde auch endlich euer Band-Maskottchen eingeführt. Woher kommt eure gemeinsame Liebe für Trash- und Comickultur?

Farin: Diese Leidenschaft gehörte von Anfang an dazu. Als Bela und ich zusammen gezogen sind, habe ich als erstes ein breites Regal gegenüber der Kloschüssel angebracht – obwohl ich wirklich kein Heimwerker bin – und darauf lagen dann ausschließlich Comics. Weil es diesen Spruch von Robert Crumb gibt: „Es gibt nichts Schöneres, als mit einem guten Comic auf dem Klo zu sitzen.“ Irgendwann tauchte dann der Comic „The Adventures of Sweet Gwendoline“ von John Willie auf, und daraus sind Lied und Figur entstanden. Ich war riesiger Fan von dem Charakter.

Was fandest du daran so toll?

Farin: Im Prinzip war die ganze Story nur eine Entschuldigung dafür, dass sie ständig gefesselt wird. Derart an den Haaren herbeigezogen! Ich wusste noch nicht genau, was ein Fetisch ist, und dachte, schon komisch, dass sie jetzt schon wieder gefesselt wird.

Bela: Die Figur gab es aber erst zur Tour zum Album „Ist das alles“. Wir wollten schon länger ein Maskottchen haben, so wie Eddie von Iron Maiden oder der Totenkopf bei den Misfits.

Farin: Zum ersten Mal tauchte sie dann auf dem Tourplakat auf. Als Bühnendeko haben wir bei Hagen zu Hause auf seinem Diaprojektor, eine zwei Meter große Gwendoline auf Folie projiziert und aufgemalt. Daraus wurden später in den Neunzigern dann die aufblasbaren Figuren wurden. 

Natürlich provozierte Gwendoline wegen ihrer Zusammengeschnürtheit und überschaubaren Kleidung auch immer wieder Sexismus-Vorwürfe.

Farin: Eine Demonstrantin, die vor einer Halle gegen unser Konzert protestierte, hat sogar mal ein Mädchen geohrfeigt, das ein Shirt mit Gwendoline drauf trug. Das Motiv ist bis heute unser bestverkaufte Shirt. 

Bela: Wir haben dann sogar ein paar Demonstrantinnen zu uns in den Backstage gebeten und relativ unaufgeregt mit ihnen diskutiert. Man trennte sich unentschieden. Als wir dann auf die Bühne gingen,  lag auf meinem Schlagzeug ein halbes Wiener Würstchen, dazu ein Zettel: Schönen Gruß von deiner Schwester.

Konntet ihr denn damals nachvollziehen, dass „Geschwisterliebe“ auf dem Index für jugendgefährdende Schriften landete?

Bela: Nee. Ich fand den Song gleich super, weil er technisch gesehen so ein klassischer Bluessong ist, mit einem Endreim, bei dem das Ende jeder Strophe sich auf „flachlegen“ reimt. Mich hat der Text nicht geschockt, und so was wie Indizierung fand in unserem Kosmos bis dahin einfach nicht statt. Selbst unsere Plattenfirma sagte: Ihr seid auf „Debil“ mit „Claudia hat `nen Schäferhund“ durchgekommen, dann wird das auch keine Probleme machen.  Viele haben uns vorgeworfen, wir hätten diesen Skandal bewusst inszeniert, aber tatsächlich hat uns unsere Unbedarftheit da hingebracht.

Bekamt ihr Angst, als dann bei einem Konzert sogar die Polizei aufmarschierte, um das Verbot zu überwachen?

Farin: Schon. Wir waren ja doch noch irgendwie Kinder, gerade mal Anfang 20, und wenn dann bewaffnete, ernst guckende Erwachsene aufmarschieren… Heute würde ich ganz anders mit der Situation umgehen. Aber auch, weil ich inzwischen bei meinen Reisen durch Afrika in sehr viele Gewehrläufe geguckt habe. Damals konnten wir das nicht einschätzen: Was wäre, wenn sie uns festnehmen und vielleicht verprügeln würde?

Bela: Ich fand die ganze Indizierung eigentlich ganz cool. Wir waren inzwischen beim Major unter Vertrag, alles war so glatt, da war das eine gute, roughe Abwechslung. Lustigerweise waren wir dann zeitgleich die beliebteste Band bei den Bravo-Lesern, weil die Bravo uns in der ganzen Sache eher als Opfer dargestellt haben. Wir waren beliebter als jede andere Teenieband. Aber leider nicht so reich, weil wir eben eher eine Kassettenband waren, deren Alben man für Kumpels weiterkopierte. Die großen Verkäufe gingen erst mit dem zweiten Start los, als wir plötzlich eine ernstzunehmende Rockband wurden. Das waren wir in den Achtzigern nicht. Das Bewusstsein für unsere Band kam erst mit der Auflösung.

Die Bestrafung für „Geschwisterliebe“ fiel ja auch eher putzig aus. Als Ihr den Song  mal bei einem Konzert spieltet – wenn auch nur instrumental, den Gesang besorgte das Publikum – musstet ihr 1000 Mark Strafe zahlen, aus heutiger Sicht ein niedlicher Betrag.

Farin: Sie haben vor Gericht unser Einkommen geschätzt. Wir mussten uns zusammenreißen, nicht laut loszulachen, denn zu dem Zeitpunkt haben wir schon ein bisschen Geld verdient. Sie haben uns aber auf 600 Mark Monatseinkommen oder so geschätzt.

Bela: Genau kannten wir unser Einkommen nicht, aber mehr als 600 DM werden´s schon gewesen sein. 600 bekam Hagen ja allein schon pro Konzert.

Könntet ihr euch vorstellen, wie ein Lied wie „Geschwisterliebe“ heute ankommen würde?

Farin: Och, im Gangsterrap hast du ja heute Texte, da wäre „Geschwisterliebe“ ein lockeres Aufwärmen, bevor es ans Eingemachte geht.

Heute müsste man natürlich auch den Provokationslevel ein bisschen hochschrauben?

Farin: Man müsste auch ganz andere Worte benutzten. „Flachlegen“ ist ja ein lustiges, niedliches Wort. Der Text ist schließlich auch entstanden, als ich 15 war, da hatte ich noch nicht mal Sex.

Es gibt viele Wörter in Deinen Texten, die man eigentlich für unverpopbar halten würde: „Wohlgeruch“ zum Beispiel oder „Tuberkulose“.

Farin: Ich habe ein Faible für schöne Worte, genau wie Bela. Auch für Fremdwörter, die ganz natürlich Teil meines Wortschatzes und mir darum gar nicht fremd sind, zum Beispiel „Aphasie“.

Bela: Hä?

Viele Formulierungen erinnern ferne auch an die Erika Fuchs-Sprache der Entenhausener „Lustigen Taschenbücher“.

Farin: Ich habe tatsächlich ihretwegen Lesen gelernt. Als ich drei war, hat mir das ältere Nachbarskind manchmal „Micky Maus“-Hefte vorgelesen. Er fand diese besondere Sprache aber blöd und hat sie dann immer umformuliert: „Donald sagt, du bist doof, und Dagobert sagt, du bist selbst doof!“ Und ich dann immer „Nee, das glaub ich nicht, so reden die nicht!“ Ich habe mir dann vor der Schule Lesen beigebracht, damit ich die Heftchen selbst lesen kann. Das war definitiv stilprägend.

Wer hat dich sonst noch inspiriert?

Farin: Die alten Asterix-Übersetzungen und die Comedian Harmonists.

Bela: Die Harmonists waren eine Referenz, bei der wir beim Texten sofort zusammen gekommen sind. Und Wilhelm Busch war unsere Reimschule.

Farin: Und dann noch Otto Reuter – den kennt heute kaum jemand mehr, er stammt aus einer ähnlichen Zeit wie die  Comedian Harmonists, ein korpulenter Herr, der lustige, bissige Texte machte. Sein größter Hit: „In 50 Jahren ist alles vorbei.“ Und dazu habe ich dann noch gelesen wie ein Staubsauger. Meine Eltern hatten ein riesiges Bücherregal, und ich habe mich querbeet durchgefressen. Mit neun habe ich „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ von Siegmund Freud gelesen, weil ich dachte, da stehen Witze drin.

Ein Mysterium birgt euer drittes Album immer noch: Ein Lied mit dem kryptischen Titel „R.A.M.B.O in a Chinese Whorehouse“, der angeblich nicht fertig aufgenommen wurde und seit dem verschollen ist.

Farin: Das war ein richtig geiler Frankie-goes to Hollywood-Discosound. (singt:) „R.A.M.B.O. in a Chinese Whorehouse!“. Wurde leider nicht fertig aufgenommen, und danach war dann das Studio belegt.

Bela: Es gibt bei den Ärzten sowieso viel angedachtes, angerissenes Material, aus dem dann aus irgendwelchen Gründen doch nichts wurde, obwohl die Ideen super waren. Ich habe mal ein Lied über Stehschlagzeuger geschrieben, das wollte ich zusammen mit Slim Jim Phantom von den Stray Cats aufnehmen, der mich ja mit dazu inspiriert hat, im Stehen zu trommeln, aber daraus ist leider nie was geworden. Aber er schrieb mir mal in einer Email: „Bela, you’re a real cool cat.“ Immerhin!

IST DAS ALLES

„Ist das alles“ war dann eine eher schwere Geburt, als es darum ging, neue Lieder zu schreiben. Gab es tatsächlich Texte, die euch zu albern waren? 

FARIN: Zu albern gab’s nicht, zu schlecht gab’s schon. Conny Konzack, unser damaliger Manager, hat einfach mal eine ganze Demorunde abgelehnt und gesagt, Nee, Jungs, das können wir nicht rausbringen. Um die Flaute zu überbrücken, haben wir die zwei neuen Songs, die gut waren – nämlich „Radio brennt“ und „2000 Mädchen“, aufgenommen und drumherum eine Best of gestrickt. Ich habe mir neulich nochmal unsere abgelehnten Ideen angehört und gedacht: Conny hatte schon recht.

Ihr wart vermutlich einfach erschöpft vom ewigen Touren.

Farin:  Wir waren alle, das stimmt. Wir hatten unheimlich viele Konzerte gespielt. Durch die Indizierung ging es für uns ja zuerst steil nach unten und dann noch steiler wieder hoch. Wir waren plötzlich die Bad Boys, und alle wollten uns hören. Wir haben das natürlich ausgekostet und viele Konzerte gespielt, aber wir waren dann auch echt erledigt.

Bela: Uns hat auch die ganze Indizierung, bei der wir ja ständig reagieren mussten, mitgenommen. Plötzlich ging dann ja auch um die Verrohung der Jugend durch Musik, und wir wurden als schlimmstes Beispiel von allen herumgereicht. Die Luft war bei uns einfach raus. Es war auf jeden Fall ziemlich entsetzlich, was wir da teilweise geschrieben haben: „Ein Mann mit Gipsbein ist ein armer Mann / weil er nicht mehr laufen kann.“ oder „Hey Brigitte, nimm mich bitte“, über Brigitte Nielsen, oder „Du und ich und Walter“, ein Lied darüber, dass der Hund der Freundin immer dazwischen geht, wenn man mal ran will. Und weil wir auf Tour eh schon „Gehn wie ein Ägypter“ gecovert hatten, haben wir das Lied auch noch mit auf das Album genommen. Es lief alles ein bisschen auf Sparflamme.

Ihr wart in euren Texten ja manchmal der Zeit gewaltig voraus.„Sie kratzt“ nimmt ja schon „Feuchtgebiete“ vorweg, „Blumen“ ist eigentlich eine Beschreibung des heute so beliebten Instagram-Veganismus mit schön geschmückten Tellerchen. Und „2000 Mädchen“ ist, genau betrachtet, ein frühes Anti-Stalking-Lied, als es den Begriff Stalking noch gar nicht gab.

Bela: Die Idee kam uns, als wir an einem Kiosk vorbeigelaufen sind und eine Schlagzeile lasen, dass ein Typ 2000 Mädchen am Telefon belästigt habe. Wir gingen nach Hause, und Jan hat den Song geschrieben. „Mit dem Schwert nach Polen, sag warum Rene“ ist übrigens auch von einer Zeitungsschlagzeile beeinflusst.

AB 18

Ihr wart für viele Jugendliche gute Rebellionskumpane, die einen in den Wirren der Pubertät aufmuntern konnten: Eure verbotenen Lieder, die ihr auf der von euch freiwillig selbst induzierten „Ab 18“ hätten Sigmund Freud gut gefallen, weil man mit ihnen über etwas lachen konnte, das einen nachhaltig verwirrt und verstört. Das kann sehr entlastend wirken.

Farin: Vor allem merkst du, dass auch andere Leute sich verbotene Gedanken machen, das hilft ja unglaublich.

Ihr habt eure Schocklieder auch immer sehr clever dosiert: Man konnte nicht damit rechnen, auf jedem Alben etwas Angeferkeltes zu finden.

Farin: Nach „Ab 18“ haben wir das so auch nie wieder gemacht. Leicht schmuddelige Andeutungen machen wir in manchen Liedern immer noch, aber wir haben nie überlegt, wie wir dieses Stilmittel des Verbotenen weiter ausnutzen könnten, um die Verkäufe zu steigern. 

Außer mit der Bundesprüfstelle hattet ihr gelegentlich ja auch Ärger mit der Frauenbewegung.

Farin: Oh ja. Das Absurdeste für mich: Als man aus dem Lied „Helmut Kohl schlägt seine Frau“ konstruierte, dass wir gut finden, wenn Frauen verprügelt werden. Und diese wirre Deutung kam auch noch von den Grünen, man kann sich auf nichts mehr verlassen.

Bela: In Fulda haben CSU und Grüne gemeinsam gegen uns gearbeitet.

Nach den zermürbenden Aufnahmen von „Ist das alles“ fuhrst du mit Bela nach Zypern. Hattest du von Anfang an vor, ihm dort die Trennung vorzuschlagen, oder kam das während des Urlaubs?

Farin: Ich glaube, die Idee kam mir erst dort. Und ich erinnere mich noch sehr gut, dass Bela zuerst ernsthaft geschockt war. Weil es ja gerade nach der Flaute wieder aufwärts ging: „Ist das alles“ hatte gut verkauft, die „Ab 18“ auch, selbst die Plattenfirma sagte: Guck mal hier, unsere Schmuddelkinder!

Bela: Ich hatte immer recht sorglos in den Tag gelebt und dachte, Scheiße, was soll denn ohne Die Ärzte aus mir werden? Ich habe einen Tag lang überlegt, dann haben wir uns abends zusammengesetzt und ich hab gesagt: Ja, machen wir. Und es war wirklich bizarr, wie uns diese Entscheidung sofort, also noch im Urlaub, einen neuen Schub gegeben hat. 

Farin: Wir haben dann einfach ein bisschen rumgesponnen: Stell dir mal vor, wir machen jetzt noch ein Album und eine Tour, und das isses dann, das wär doch fett! Sowas macht keiner! Und das war dann tatsächlich auch das Totschlagargument für uns beide. Keine Band würde sagen: Wir haben jetzt Erfolg – nee nee nee, darauf haben wir keinen Bock! Das heißt: Keine Band außer uns. Dass das gewagt war, war uns beiden klar, aber ich dachte auch ganz ehrlich: ich mache bestimmt auch noch was anderes im Leben.

Also nicht: andere Musik, sondern etwas ganz anderes?

Farin: Ja, ich wollte tatsächlich etwas ganz anderes machen. Als wirklich alles vorbei war, habe ich gesagt, ich fahre jetzt so lange um die Welt, bis ich weiß, was ich machen will. Da hatte ich noch nicht ausgesorgt, aber angenehm Geld für die nächsten zwei, drei, vier Jahre. Ich wusste, ich muss irgendwann wieder Geld verdienen. Ein Dreivierteljahr war ich unterwegs. Und dann kam mir der originelle Gedanke: Haha, ich mach wieder Musik!

Das ist nicht die ganze Wahrheit

Kaum hattet ihr beschlossen, euch aufzulösen, flutschte es wieder mit dem Songschreiben. „Das ist nicht die ganze Wahrheit“ ist eine Wirbelfahrt durch alle möglichen Stile.

Farin: Da haben wir uns wirklich ausgetobt. Ein bisschen hatten wir das schon auf „Im Schatten der Ärzte“ probiert, aber da war diese Ambition leider noch mit Nicht-Können gepaart. Sowas wie „Schwanz ab“ hätten wir uns vorher auch nicht getraut, ist ja ne lupenreine Hippie-Nummer.

Bela: Hagen hat später mal gesagt, das war unser „Sgt. Pepper“, unsere beste Platte. 

War das eine bewusste Stilübung, aus Spaß an der Variation, oder eher ein wilder Raushau-Impuls: Bevor Schluss ist, feuern wir nochmal aus allen Kanonen!

Farin: Wir haben beide zu dieser Zeit einfach wahnsinnig viel und sehr unterschiedliche Musik konsumiert und dachten, warum soll man das dem Album nicht auch anhören?

Bela: Noch auf Zypern hatten wir beschlossen, eine richtig gute Platte zu machen und danach so lange auf Tour zu gehen, wie es uns möglich war. Wir haben übrigens in diesem Zuge auch den ersten deutschen Rapsong gemacht, „Wir können rappen“, ist auf der Maxi von „Westerland“. Noch bevor Die Fantastischen Vier ihre erste Platte draußen hatten! Ok, das war nach Falco. Mit goldenen Versen wie „Ene mene Mopel, wer frisst Popel?“

Wie oft sitzt ihr zuhause uns hört euch gemütlich „Nach uns die Sinnflut“ an? Das knüppelt ja schon ganz ordentlich, freundlich gesagt.

Farin: Muss man sich das auf der Zunge zergehen lassen: Damit haben wir U2 von Platz 1 der Albumcharts gestoßen. Mit diesem Live-Getrümmer! Ich bewundere unsere Energie, wir haben, glaube ich, kein Lied unter 250 bpm gespielt, und das manuell. Aber es ist wirklich keine Platte für beschauliche Sonntagnachmittage. Die Leute sind auf den Konzerten einfach dermaßen durchgedreht, nachdem wir unsere Auflösung angekündigt hatten. Wir mussten die Tour nochmal um 20 Konzerte verlängern, weil alle uns nochmal sehen wollten. Wir wurden quasi von Tag zu Tag berühmter.

Bela: Unser damaliger Graphiker Ulf rief mich an und erzählte mir, dass Peter Maffay fassungslos über den Erfolg „solch einen Lärms“ war.

Kam da nicht die Versuchung, doch lieber weiterzumachen? 

Farin: Ja, klar – allerdings nur von Seiten der Plattenfirma. Bei uns war das diese alte John-Wayne-Geschichte: Ein Mann muss seinen Weg gehen, auch wenn er gemerkt hat, dass der Weg sinnlos geworden ist.

Bela: Für uns war klar, wir ziehen das durch. Und besser als mit einem Dreierlivealbum nach dem Vorbild der ebenfalls dreiteiligen Woodstock-Platte – besser kann man seinen Abgang nicht inszenieren.

Ihr habt dann in schöner Verkehrung chronologischer Dramaturgie ja auch noch euer Frühwerk veröffentlicht, „Die Ärzte früher“. Ein Lied namens „Tittenmaus“ wäre heute nicht unumstritten.

Farin: „Tittenmaus“ finde ich immer noch gut, aber es gibt ein anderes unreleastes Lied aus dieser Zeit, auch über Mädchen, in dem alle Vorurteile verbaut sind, die man haben kann. Der Refrain war „Mädchen, Mädchen denken nicht / sie haben Angst vor Pickeln und vor Übergewicht / Mädchen, Mädchen denken nie / sie haben lange Haare, und Röcke bis zum Knie.“ Da dachte ich mir, das ist ein bisschen dünn, und vor allem so ganz ohne unerwarteten Twist. Das Lied wollte raus aus meinem Kopf, aber zum Glück hatten wir als Band genug Hirn, um zu sagen: Nee, das nehmen wir nicht aufs Album.

Bela: „Tittenmaus“ ist entstanden, nachdem ich den Film „Wer hat Angst vor Virginia Wolf“ gesehen hatte. In der deutschen Synchronisation sagt das Richard Burton zu Liz Taylor. Ich fand das Wort so witzig, auch im Zusammenhang der Geschichte der Beiden. Dass wir „Tittenmaus“ für die Kompilation neu aufgenommen haben, merkt man übrigens daran, dass das Intro von „Purple Rain“ geklaut ist. Das Prince-Lied gab es zu dem Zeitpunkt, von dem die Aufnahme eigentlich stammen sollte, noch gar nicht. Dazu gibt es auch noch eine schöne Anekdote: Irgendwann mal habe ich auf Tour in einer Disco in Saarbrücken morgens um vier mit einem hübschen Mädchen getanzt. Es lief „Purple Rain“, ich ziehe sie auf die Tanzfläche, wir schwofen so rum – und plötzlich setzt meine Stimme ein.  Wie peinlich, zu seinem eigenen Lied zu tanzen! Unter Beobachtung von allen Leuten in der Disco! Ich hab dann einfach stoisch durchgetanzt. Aber ich hatte nicht gemerkt, dass das „Tittenmaus“ war, so gut haben wir „Purple Rain“ nachgemacht. Oder so viel hatte ich schon getrunken.

Euer Ende war dann ja ein bisschen wie die Chronik eines angekündigten Todes. Ihr wusstet schon ewig lange, dass es zu Ende geht, aber es dauerte zwei Jahre von der Idee bis zum wirklich finalen Finalkonzert.  

Bela: Farin und ich sind mit den Motorrädern nach Sylt zum Abschiedskonzert gefahren, im strömenden Regen. Wir kamen an, und da waren so viele Menschen! Wir sind zum Hotel, direkt am Strand, und mussten die Motorräder ins Foyer schieben, auf den feinen Teppich, weil vor dem Hotel eine riesige Menschenmenge auf uns wartete. Wir hatten Angst, die Fans schrauben uns alles ab.

Wie es ein paar Jahre vorher mit Farins Maschine passiert war?

Bela: Ja, da hatte ihm jemand das Motorrad repariert und netterweise am Ende einer Tour vorbeigebracht, damit er darauf nach Hause fahren kann, und leider direkt vor der Halle geparkt. Blöderweise aber war Farins BMW eben schon auf dem Cover von „Die Ärzte“ zu sehen gewesen, mit Nummernschuld und allem. Da fehlten anschließend einige Teile.

DIE ZEIT NACH DER TRENNUNG

Farin, du hast nach der Trennung irgendwann in Indien Erleuchtung gefunden und dir wieder eine Gitarre gekauft.

Farin: Und darauf gleich meine ersten Lieder für meine neue Band King Kong geschrieben.

Ganz bewusst auf Englisch, um die Trennung zu allem vorherigen möglichst deutlich zu machen und zu sagen: Das hier ist etwas ganz anderes?

Farin: Genau, weit weg von allem, was vorher war. Dass dieses andere niemand hören wollen würde, war mir nicht klar. Aber hätte ich das geahnt, hätte ich es wahrscheinlich trotzdem genauso gemacht.

Hast du eine Erklärung dafür, warum sich eher wenige Leute für deine neue Band interessierten?

Farin: Der wenig schmeichelhafte Grund ist, dass meine neuen Sachen einfach nicht wirklich gut waren. Es war eben so weit weg von allem bisherigen, dass es die Fans nicht interessiert hat. Das war schon ein Tritt in die Magengrube. In seiner brutalen Deutlichkeit war das aber auch gut – wenn der Zuspruch gerade so okay gewesen wäre, hätte ich mich viel länger damit gequält. Gleichzeitig verkauften wir immer noch reichlich Ärzte-Platten. Von 1982 bis 1988 haben wir weniger Alben verkauft als in den Jahren, in denen es uns nicht gab. Jedes Jahr wurden meine Gema-Abrechnungen größer. Wir wurden quasi qua Abwesenheit zur Legende.

Wie war eigentlich euer Verhältnis während dieser Zeit? Bela hatte inzwischen ja Depp Jones gegründet, und ihr habt mindestens ein Konzert zusammen gespielt. Oder zumindest direkt nacheinander.

Bela: Wir waren Vorband von King Kong. Das war unsere erste Show als Depp Jones, in der Zeche Bochum, aber wir haben uns tatsächlich an dem Abend gar nicht gesehen. Ihr wart essen, während wir gespielt haben. Und wir sind direkt danach abgehauen.

Farin: Wir waren schon länger auf Tour und komplett durch.

Bela: Und dann haben wir nochmal auf einem Benefizkonzert im Tempodrom zusammen gespielt.

Farin: Und ich weiß noch, dass du mich einmal angerufen hast, weil du ein Fernsehinterview mit King Kong gesehen hattest und du fandest, dass wir total unsympathisch rüberkamen. Du hast dir aufrichtig Sorgen gemacht.  

Bela: Ihr hattet da so eine eigene Sprache, habt euch immer nur einzelne Wörter zugeworfen und euch total bepisst, und die Moderatorin und die Zuschauer hatten keine Chance, irgendwas zu verstehen. Ich hatte wirklich das Bedürfnis, dir das zu sagen.

Farin: Und ihr habt mal im Metropol gespielt, und da bist du auf die Bühne gekommen und hattest etwas Blut an der Nase. Und ich so, aha, Koks! Ich hab dich danach auf die Seite genommen und gesagt, es geht mich zwar nichts an, aber pass bitte ein bisschen auf. Dabei hattest du dir beim Sprung auf die Bühne nur das Mikro an die Nase gehauen.

Bela: Ich hatte bei Depp Jones tatsächlich total Verantwortung übernommen und bin immer nüchtern auf die Bühne gegangen. Das war zugegebenermaßen vorher nicht immer so.

ROD

Rod, du warst 1984 als Zuschauer beim Ärzte-Konzert Hamburg, war das dein erster Kontakt mit der Band?

Rod: Da habe ich sie tatsächlich zum ersten Mal live gehört. Die „Debil“ lief bei mir zuhause öfter, war ja ne ungewöhnliche Platte, die zu einer Zeit kam, als Rockabilly immer mehr Einflüsse auf den Punk hatte. Von meinen Freunden fanden zum Beispiel viele die Stray Cats geil, einer hatte Eddy Cochran-Platten, das fanden wir auch ganz cool. Und die Ärzte waren irgendwie eine Melange aus allem, ohne peinlich zu sein.

Trafen sie direkt deinen Humor, oder fandest du sie albern?

Rod: Albern fand ich die Sachen, die damals so unter den Namen „Funpunk“ liefen. ZK war ganz lustig, aber immer nur Lieder übers Saufen zu machen – wir feiern, wir saufen, und dann saufen wir noch ein bisschen, und dann wird noch ein bisschen gesoffen – das fand ich total unlustig. Wie ein Fips-Asmussen-Witz, der eigentlich schnell vorbei sein müsste, aber ewig lang erzählt wird. Da fand ich es super, dass die Ärzte übers Milchtrinken singen.

In welchen Bands hast du damals gespielt?

Rod: 1984 hatte ich ne Punkband, „Die Erben“ – oder vielleicht hießen wir auch Ramsch, das weiß ich gar nicht mehr so genau. Dann eine Band, die Massaker hieß, und ich glaube, ich hatte schon zusammen mit meiner Schwester eine Countryband. Also einiges, das parallel lief.

Was weißt du noch von deinem ersten Ärzte Konzert als Gast?

Rod: Es war nicht so gut besucht, vielleicht 120 Zahlende, das sah in der Fabrik Hamburg nicht so gut aus. Ich dachte, dass es viel voller wird, Die Ärzte waren in ihrem Auftreten ja immer so aufreißerisch. Aber das war eigentlich egal. Es gab zwei Sachen beim Konzert, die ich total geil fand. Das erste war die Getränkepause. Dass die einfach nach einer Dreiviertelstunde aufgehört haben zu spielen, Licht an, damit man gemütlich trinken gehen konnte. Wie absurd war das denn? Genial.

Eigentlich war das ja ein Versehen.

Rod: Ja, das habe ich dann Jahrzehnte später auch erfahren: Der örtliche Veranstalter hatte sie dazu gedrängt, um den Getränkeumsatz anzukurbeln, und sie dachten, das ist in der Fabrik so üblich – sie haben ja zum ersten Mal da gespielt. Und die zweite Sache, die ich super fand: Diese unglaublich lange Version von dem Lied, dass wir damals alle gehasst haben –  Der Trommeltanz von George Kranz. Dindada-dindodo, oder wie das ging. Das haben die gefühlt ewig gespielt. Dum-daaaadaaa-drumdidirum! Da dachte ich, diese Typen haben vor nichts Respekt, cool, und nehmen sich selbst nicht so ernst. Wenn das Publikum auf irgendwas nicht reagierte, haben sich Jan und Bela eben gegenseitig die Bälle zugespielt, das kannte ich so noch nicht.

Das spielt ja auch schön mit den Abhängigkeiten vor und auf der Bühne: Wenn ihr uns nicht zuhört und mitmacht, unterhalten wir uns eben miteinander, wir brauchen euch gar nicht.

Rod: Total. Mit kam das unglaublich souverän und durchdacht vor.

Farin: Wir waren damals aber auch als Personen berühmter, als unsere Musik. Alle wussten, die Ärzte kommen aus Berlin und machen komische Sachen – aber unsere Musik lief ja nicht im Radio. Man ging also aufs Konzert und wusste nicht so richtig, was einen erwartet. Dass wir dann den Trommeltanz in einer unfassbaren Gemetzelversion gespielt haben – kein Wunder, dass Rod dachte, was sind das denn für Vögel?

Wie ging es mit eurer Bekanntschaft weiter? 

Rod: Ich war 1987 nach Berlin gezogen, habe mit den Rainbirds irre viel geprobt, und abends bin ich dann gern mit Beckmann, dem Bassisten von den Rainbirds, ausgegangen. Daher kannte ich Bela vom Sehen aus manchen Bars. Aber alles, was ich von den Ärzten wusste, hatte ich aus der  Bravo aufgeschnappt. Ich habe mir die damals öfter mal aus Witz gekauft und gerne Ihre gefaketen Homestorys gelesen, in denen dann Bela und seine Totenkopfsammlung gezeigt wurden. Und Farin liest nur Bücher, hieß es da immer, verrückt! Als würde er den ganzen Tag nur schmökern. Und Bela wurde in jedem Interview immer als gefragt: Hast du ein neues Tattoo?  

Rainbirds – Blueprint (1988)

Hast du sie auch musikalisch weiterverfolgt?

Rod: Nee, das wurde dann ja synthielastiger, mit Drumcomputer und so, das hat mich nicht mehr so berührt. Das nächste Treffen war dann erst Jahre später in München, bei einem Festival vom Goethe-Institut. „Die Macht der Nacht hieß das“, 1988, im Zirkuszelt. Die Rainbirds haben gespielt, dann Nina Hagen, dann die Ärzte. Die haben da richtig abgeräumt und  die Lieder unglaublich schnell gespielt, ich habe nichts erkannt. Danach kam Jan dann auf mich zu, ich hatte bei ihm anscheinend das Image des Supergitarristen von den Rainbirds: Hui, der kann vielleicht sogar Noten lesen!

Farin: Genau, ich war totaler Fan von Bossa Nova, ohne das im mindesten spielen zu können, und wollte „The Girl from Ipanema“ erklärt bekommen. Und dann schreibt der Typ einfach mal locker diese Griffe auf, dir mir bis heute nichts sagen. Als würdest du zu jemandem mit einer vertrackten Rechenaufgabe gehen und der schreibt dir einfach eine noch vertracktere mathematische Formal auf. Und dann so: Hier, das ist deine Lösung. 

Rod: Ich hab ihn für verrückt gehalten, und er wahrscheinlich mich, weil ich ihm Jazzakkorde zeigen wollte. Nach dem Festival bin ich noch mit Beckmann und Bela durch München gezogen.

Bela: Ich muss aber was richtigstellen. Wir waren die erste Band des Abends, dann kamen die Rainbirds, weil die ´nen Riesenhit hatten und Headliner war Nina Hagen. Absurd war, dass wir die dort befindlichen Kameras für die Aufnahme unseres Live-Videos benutzt haben und dafür extra Pyrotechnik auffuhren. Bei den Bands nach uns gab´s dann nichts davon. Mit Beckmann und Rod bin ich noch ziemlich abgestürzt.

Habt ihr einen guten Laden gefunden?

Rod: Wir sind in der Münchner Freiheit gelandet, einer Disko, die fast leer war. Es war so wenig los, dass wir irgendwann „Reise nach Jerusalem“ gespielt haben. Und Limbo haben wir auch getanzt. Aber es wollte einfach noch keiner ins Hotel und schlafen gehen, und so haben wir uns ganz gut kennengelernt.

Bela: Das war keine Disko. Wir waren auf der Party einer bekannten Musikjournalistin die in irgend ´nem Laden ihren Geburtstag gefeiert hat. Aber die meisten Leute waren schon weg, als wir kamen. Aus Mangel an Gästen haben wir dann mit Stühlen alles Mögliche angestellt und dann noch einen seltsamen Tanz aufgeführt, bis man uns nahelegte, zu gehen.

Warst du auch beim Abschiedskonzert in Westerland?

Rod: Ja, ich bin mit den Goldenen Zitronen angereist. War doch klar, wir geben ihnen die letzte Ehre! Ich weiß gar nicht mehr, wie das Konzert war, ich war nur irgendwann froh, dass es vorbei war, diese kreischenden Teenager gingen mir total auf den Sack.  Ich weiß noch, dass Bela sich wahnsinnig gefreut hat, dass ich gekommen war. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, war aber auch wahnsinnig blau. Am nächsten Morgen bin ich dann am Strand, unter einem dieser Holzwege durch die Dünen, aufgewacht. Es hatte sich natürlich keiner um Schlafplätze gekümmert. War ein toller Tag.

Konntest du dir da schon vorstellen, mal mit Farin und Bela zusammen zu spielen?

Rod: Zumindest mit Bela hatte ich dann ganz guten Kontakt. Wir hatten eine gemeinsame Stammkneipe – ich habe gegenüber gewohnt, mein WG-Mitbewohner war der Besitzer, also war das praktisch mein Wohnzimmer. Bei den Rainbirds zeichnete sich damals langsam ab, dass es nicht mehr lange gut gehen würde. Das letzte Album hatte eine sehr zähe Produktion. Bela wollte die ganze Zeit schon sein S.U.M.P-Soloalbum machen, und Beckmann und ich sollten dann also mitspielen.

Warst du leicht zu überzeugen?

Rod: Es war für mich eine Befreiung, da mitzumachen. Bei den Rainbirds wurde wochenlang probiert und diskutiert, ob diese spezielle Hi-Hat-Figur jetzt richtig ist, ganz filigranes Arbeit mit sehr vielen Egos und drei Produzenten, sehr viele Befindlichkeiten, es war Horror. Nach sechs Stunden Setlist-Diskussion bei den Rainbirds habe ich mich dann schon immer diebisch gefreut, geil, danach gehen wir mit Bela ins Studio und können so richtig Spaß haben, Bierchen trinken, Gitarre einstöpseln und fertig! Das war ne ganz andere Stimmung, das war Rock’n’Roll. und das hatte ich total vermisst. Und natürlich war ich sofort dabei, als er dann 1989 Depp Jones gründete.

Wie King Kong waren aber auch Depp Jones nicht sehr erfolgreich. Wie hast du das empfunden?

Rod: Es war ein bisschen deprimierend. Die Clubs wurden immer kleiner, irgendwann, gegen 1992, haben wir dann gesagt, okay, noch ein Album, und dann war es das. Wir haben gemerkt, es macht keinen Sinn mehr. Aber für Bela und mich war klar: Wenn musikalisch mal wieder was ansteht, machen wir wieder was zusammen. Irgendwann spielte ich dann mal einen Spaß-Gig mit Bela. Im „Eimer“ in Kreuzberg coverten wir als Depp Jones „My Way“ und noch irgendwas. Das war dann der Abend, wo Bela mich total besoffen im Klo fragte: Sag mal, ich hab mich mit Jan getroffen, wir wollen die Ärzte wieder machen, hast du Bock?

Interview: Anja Rützel

Teil 2 des Interviews: Von der Wiedervereinigung bis heute 

Mit freundlicher Genehmigung © …and more bears