Nouvelle Vague, New Wave oder eben Neue Welle: Alles was roh, kühl und anders als das bisherige in der Kunst war, wird mit dem Attribut einer Welle beschrieben. So auch diese Musik, die in den 1980er Jahren über Deutschland hinwegschwappte und schon bald auch wieder austrocknete.
Die Neue Deutsche Welle entstand zunächst im Underground mit Bands wie DAF, Ideal oder Palais Schaumburg, die sich aus trotzigem Punk und britischen New Wave entwickelten. Sie brachen mit sämtlichen Regeln und Konventionen der Musikindustrie und nutzten die neuen elektronischen Instrumente, um eine ganz neue Musik zu machen.
Schon bald wurden die unkonventionellen Bands bekannter und stürmten die biedere ZDF-Hitparade mit ihren frischen und frechen Songs und Outfits: Dass Hubert Kah im Nachthemd auftrat, sorgte damals für einen Skandal (dass er heutzutage im “Big Brother”-Haus Seelenstriptease betreibt nur noch für müdes Augenrollen). Und so wurde irgendwann die Inszenierung dann auch wichtiger als die rotzig-radikalen Songs.
Die Musikindustrie erkannte den neuen Trend und überflutete den Markt mit gecasteten Bands und seichter Musik. Markus sang gnadenlos “Ich will Spaß” und NDW wurde zu schlageresquem Mainstream, in dem sich sowohl Kinder als auch kindische Partygänger wohl fühlen konnten. Die ewige “Polonäse Blankenese” startete, im Schlepptau warteten schon die Raabs, Horns und Petrys. Bereits 1984 war das Ende der Neuen Deutschen Welle besiegelt und es herrschte wieder angepasste Normalität in den deutschen Charts.
Aber für eine kurze Zeit in den Achtzigern war deutschsprachige Musik nicht nur albern, sondern ironisch, ikonisch und idealistisch zugleich. Die wenigen Jahren veränderten die deutsche Musiklandschaft nachhaltig und ermöglichte neue Bewegungen wie zum Beispiel die Hamburger Schule. Genauso umstritten wie die zeitliche Einordnung von NDW ist auch, was denn nun überhaupt dazu gezählt werden dürfe: Gehören die Weltstars Kraftwerk und Falco dazu, ist Nena ein wichtiger Beitrag oder schon das kommerzielle Ende?
ACT DES MONATS
Hier kommen jedenfalls die (subjektiv) besten und prägendsten Songs aus der NDW-Zeit:
Kraftwerk – Die Roboter (1978)
Kraftwerk verbindet man vielleicht nicht sofort mit der Neuen Deutschen Welle, aber wahrscheinlich war die Düsseldorfer Band mit Songs wie „Radioaktivität“, „Roboter“ oder „Das Modell“ der Urknall, der vielen Musikern eine ganz neue Welt eröffnete. So eigenwillig, konsequent und avantgardistisch war Popmusik aus Deutschland nie zuvor und auch danach nie wieder.
Rheingold – Dreiklangsdimensionen (1980)
In einer gerechten Welt hätte dieser Pionier des Synthiepops ähnlichen Status wie Kraftwerk. Und der bizarre Horror-Film “Der Fan” mit Sänger Bodo Staiger und Désirée Nosbusch in der Hauptrolle wäre auch nicht vergessen.
Joachim Witt – Goldener Reiter (1980)
Auch in diesem Lied ist der Text diametral zum eingängigen Kinderlied-Muster, denn es geht um einen Mann, der wegen Schizophrenie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird.
Ideal – Blaue Augen (1981)
Annette Humpe (auch Background-Sängerin bei Trios „Da Da Da“ und „Herz ist Trumpf“) schrieb das Lied zusammen mit den Neonbabies und die Textzeile “Deine blauen Augen machen mich so sentimental” wurde zum geflügelten Flirt-Wort in den Achtziger Jahren. Nach dem Ende ihrer Band führte Annette Humpe Künstler wie Rio Reiser, Die Prinzen und Adel Tawil als Produzentin zum Erfolg.
Grauzone – Eisbär (1981)
Ein trojanisches Pferd unter den NDW-Klassikern, das mitten in einer kindlichen und eingängigen Melodie ein lärmendes Jazzgescheppere einbaut.
Palais Schaumburg – Wir bauen eine neue Stadt (1981)
Der Text ist einer Kinderoper entlehnt und extrem dadaistisch: Betrachtet man das Video aus dem Jahr 1981 glaubt man eigentlich eher zeittypische Hipster zu sehen.
Trio – Da Da Da (1982)
Das radikal Minimale und repetetiv Stoische an “Da Da Da” sorgte für Empörung, genauso wie der erste Auftritt in der ZDF-Hitparade: Während Stephan Remmler sein Spielzeug-Casio-Keyboard spielte, demonstrieren die Bandmitglieder gepflegte Langeweile. Was die geschockten Schlagerfans damals nicht wussten: Trio wurde von Grammy-Gewinner Klaus Voormann entdeckt, der vorher für Lennon und Lou Reed Bass spielte. Mit Trio landete er den ersten großen Hit der NDW.
Hubert Kah – Sternenhimmel (1982)
Auch seine Auftritte sorgten für Skandale und so inszenierte sich die “Lady Gaga des NDW” mal im Nachthemd, mal in Zwangsjacke.
Andreas Dorau – Fred vom Jupiter (1981)
Mit gerade mal 15 Jahren hatte Andreas Dorau seinen ersten Hit. Geschrieben wurde das Lied während einer Schul-AG namens “Wie entsteht ein Pop-Titel?”. Erfolgreicher kann man so ein Projekt wohl nicht abschließen als mit einem Evergreen.
Nena – Nur geträumt (1982)
Mit „Nur geträumt“ stürmte Gabriele Susanne Kerner mit ihrer Band Nena 1982 die Charts. Das ganze Land war schockverliebt in die damals 22-Jährige, die zuvor die Fanpost für Spliff im Büro ihres Managers Jim Rakete beantwortete. Er erkannte ihr Talent und machte sie über Nacht zu Deutschlands größtem Star. Bis heute kennt jeder auf der Welt Nena und ihre „99 Luftballons“, ein Song der den Höhepunkt und gleichzeitig das Ende der NDW symbolisiert, bevor die Plattenfirmen die Neue Deutsche Welle mit Unmengen drittklassigem Abklatsch zum alten Hut machten.