Es ist das Jahr 2018 und Du willst deine Eltern schocken? Sei rechts. Wer sich früher vom so genannten Mainstream absetzen wollte, schloss sich einer (linken) Subkultur an. Doch diese scheinen immer mehr zu verschwinden und was bleibt da noch an Provokation in Sachen Pop: Populismus.
Wie sehr und ob überhaupt Popmusik zu Populismus führen kann, zeigt eine 2018 heftig geführte Debatte in Großbritannien und die hierzulande vielleicht überraschende Frage: Ist Britpop Schuld am Brexit?
Don’t Look Back In Anger
Ein Thema, das 2018 immer wieder aufkochte und auch am Ende des Jahres ungelöst ist, ist der Brexit: In Großbritannien, einem Land, das derzeit gespaltener als je erscheint, wird auch die Frage diskutiert, ob ein musikalisches Phänomen den Weg dazu geebnet hat, nationalistischer zu denken. In vielen Medien wie zum Beispiel dem Guardian, diversen Musik-Blogs oder von Poptheoretikern wie Jon Savage, wird die These vertreten, der Britpop sei mitschuldig am Brexit. Die Vorgaukelung einer heilen nostalgischen englischen Welt, die nostalgische Rückbesinnung auf Bands wie The Kinks, The Beatles, The Rolling Stone und die Rückkehr der Macho-Kultur und Pub-Idealisierung führten zu einem Hedonismus und Patriotismus im Land, der als „Cool Britannia“ gefeiert wurde. Bands wie Blur und Oasis ließen sich von Politikern wie Tony Blair vereinnahmen, man war nicht nur musikalisch wieder wer, man wollte es auch dem Rest Europas selbstherrlich zeigen. Damon Albarn und Noel Gallagher wachten schnell aus diesem Rausch auf, die Katerstimmung nach dem Ende des Britpophypes blieb hingegen lange in der Luft hängen wie abgestandener Bierdunst im Pub.
Jenseits von England war man den vielen Klons der Britpopbands schnell überdrüssig, es entstand ein Graben musikalischer Interessen und was früheren Helden heute bleibt, ist eine Art musikalische Trauerbegleitung anzubieten. Albarn hat dies 2018 mit seinem Projekt The Good, The Bad And The Queen auf dem sehr guten Album „The Merrie Land“ gemacht, in dem der Brexit-Irrsinn verarbeitet wird. Die Band tut dies jedoch wieder mit nostalgischen Mitteln über Merrie Olde England. Auf den Punkt gebracht wird diese musikalische wie textliche Identitätssuche in den Zeilen „If you’re leaving please still say goodbye / And if you are leaving can you leave me / My silver jubilee mug / My old flag / My dark woods / My sunrise“. So ist „Merrie Land“ letzten Endes auch ein Liebesbrief an ein Land, dessen exzentrische Art zum einen zur Abschottung führen kann oder aber zur Offenheit (wie Albarn immer noch hofft).
Are The Kids still alright?
Diese Stimmen zur Politik im Land stammen oft von älteren weißen Herren, die sich geschockt Sorgen um die Jugend machen. In den USA sind dies zum Beispiel die Punkveteranen Bad Religion, die 2018 mit dem Song „The Kids Are Alt-Right“ das Abdriften der Jugend nach Rechts beklagt. Und dies in (wiederum nostalgischer) Anspielung auf den Song der britischen Band The Who, „The Kids Are Alright“, aus dem Jahr 1965 – eine Hymne auf die Subkultur der Mods. Genauso empört reagierte man unter linken Fans auf Aussagen des einstigen The-Smiths-Sänger Morrissey, der auf seiner Website die Wahl von For Britain, einer rechtspopulistischen Partei empfahl (hauptsächlich weil diese gegen das Schächten von Tieren sind, aber auch weil diese laut dem Hardcore-Veganer nicht rassistisch seien, sondern einfach anders als die etablierten Parteien). Überschrieben ist dieser persönliche Post mit einem Zitat aus seinem Song „Irish Blood, English Heart“: „I’ve been dreaming of a time when / The English are sick to death of Labor, and Tories“ und die einleitenden Worte lauten: „I despice racism, I despice facsim, I would do anything für my Muslim friends“. Die überraschende Konsequenz daraus ist für Morrissey, der ebenfalls schon immer einem nostalgischen England-Bild nachhing, die Wahl von For Britain – einer Partei, die offen anti-islamisch ist und Auftritte von Holocaust-Leugner toleriert. Gleichzeitig postet Morrissey ein Bild des afro-amerikanischen Autors James Baldwin, einer Ikone der Gelichberechtigung aller Menschen, ungeachtet von sexueller Orientierung, Herkunft oder Hautfarbe, mit dessen Äußerung: „Artists Are Here To Disturb The Peace“. Das Gute an Morrisseys widersprüchlichen bis wirren Aussagen ist, das er uns zumindest daran erinnert. Das Schlechte an Songs wie „The Kids Are Alt-Right“ ist, dass sie nichts verändern. Und ja, es ist kompliziert.
2018 steht wie kaum ein anderes Jahr für all die Widersprüche die sich durch den Komplex Pop und Politik ziehen: Die Rechten bedienen sich an linken popkulturellen Codes, die Linken versuchen sich an nostalgischen Protestsongs und erreichen mit diesem gutgemeinten Ansatz niemanden mehr über 30. Schon 1992 schrieb der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen in der Spex (2018 beerdigt, aber das ist eine andere Geschichte über Pop): „The Kids are not alright“ angesichts der damaligen rassistischen Ausschreitungen in Rostock, bei denen man damals schon nicht anhand von Dresscodes Links von Rechts unterscheiden konnte. Was soll also noch subkulturell und subversiv in Sachen Popmusik sein? Für Diederichsen lag die Hoffnung im Hip Hop, „die Musik der Jugendlichen und der Minderheiten nach der Hoffnung auf Überwindung von Widersprüchen, auf Revolution und Utopie“. Und es ist eine interessante Antwort des Jahres 2018 auf diese These von vor über 25 Jahren, das nur Musik, die sich nicht vereinnahmen lässt, relevant sein kann. Denn der russische Präsident Wladimir Putin hat nun eine staatliche Kontrolle dieser seiner Ansicht nach„staatsgefährdenden“ Hip-Hop-Musik angekündigt. In Großbritannien ist es ebenfalls ein Grime-Rapper, der mehr und mehr zur politischen Stimme der Jugend wird und im Februar des Jahres auf der Bühne der Brit Awards in einem wütenden Freestyle-Rap Premierministerin Theresa May scharf attackierte, nämlich Stormzy. Seine Songs sind das Gegenteil von britischen Mitgröhl-Hits wie „Don’t Look Back In Anger“ und das absolute Gegenteil von wohlmeinenden linksliberalen alten weißen Männern wie Bono oder Bob Geldof und Stormzy hat in Großbritannien eine gewichtige Stimme abseits der bislang männlich dominierten Gitarrenmusik bekommen und er nutzt diese auch politisch. Interessant ist auch, dass 2018 sich plötzlich auch Künstler politisch äußerten, die bislang eher durch diplomatisches Schweigen angesichts des Rechtsrucks in ihren beiden Ländern auffielen: So äußerte sich Taylor Swift per Instagram-Post und gab an, in den US-Mid-Term-Elections die Demokraten zu wählen und Helene Fischer positionierte sich gegen die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz mit dem Bekenntnis zu #wirsindmehr, dem Hashtag des Jahres 2018. Neben einigen empörten eher rechtskonservativen Fans, die beide Sängerinnen haben, hatten diese Stimmen aber wohl auch ein wenig Gewicht. Nach Swifts Post registrierten sich laut Vote.org über 60.000 Neu-Wähler.
ACT DES MONATS
Tanz den Trump
Umgekehrt scheinen bedenkliche politische Äußerungen Fans aber auch nicht abzuschrecken: Kanye Wests bizarren Trump-Liebesbekundungen hielten Konzertbesucher nicht ab, ihn zu feiern – genauso wie Morrissey umjubelte und bestens besuchte Konzerte 2018 in Südamerika gab. Hier dominiert die Ansicht, man müsse die Musik von persönlichen politischen Ansichten trennen. Ja, es ist kompliziert. Vielleicht muss man einfach akzeptieren, dass 2018 das Jahr der gesellschaftlichen und politischen Widersprüche war. Wie Musik damit clever umgehen kann und dennoch Haltung bezieht, zeigte Sänger und Schauspieler Donald Glover aka Childish Gambino. In seinem spektakulären Video „This Is America“ tanzt er den Trump: Besser gesagt, er führt in unglaublich vielen Schritten vor, wie irrsinnig die Politik und Gesellschaft im Jahre 2018 in den USA ist. Die vielen Anspielungen in dem Clip sind so zahlreich, dass es zu dem Video einige zusätzliche Erklärvideos gibt.
*2018: Das Jahr, in dem Fußnoten zu Clips und Musik eingeführt werden mussten…