Justin Vernon alias Bon Iver meldet sich mit einer neuen EP zurück, die so roh und persönlich ist wie lange nicht mehr. „SABLE“ ist eine dreiteilige Sammlung von Songs, die tief in die dunklen Ecken von Vernons Seele blicken lassen.
Die EP markiert nicht nur eine musikalische Rückkehr zu seinen Wurzeln, sondern auch einen intimen Einblick in seine inneren Kämpfe der letzten Jahre.
Ein Rückzug ins Innere
Nach der Veröffentlichung von „i,i“ (2019) und unzähligen hochkarätigen Kollaborationen mit Künstlern wie Kanye West und Taylor Swift, fühlte sich Vernon zunehmend von der Rolle, die Bon Iver verkörpert, erdrückt. Der Druck und die damit verbundene Angst äußerten sich schließlich in körperlichen Symptomen, die ihn fast dazu brachten, die Musik ganz aufzugeben. In dieser Zeit der Unsicherheit und während des Lockdowns fand Vernon jedoch den Raum, sich mit seinem inneren Aufruhr auseinanderzusetzen.
„SABLE“ ist ein Reset. Die dichten Schichten und die ausgeklügelte Produktion früherer Werke weichen hier einem reduzierten, fast spartanischen Sound. Vernons Stimme und Gitarre stehen im Mittelpunkt, unterstützt von sporadischen Beiträgen langjähriger Wegbegleiter wie Greg Leisz (Pedal Steel), Rob Moose (Geige), Michael Lewis (Saxophon) und Trever Hagen (Trompete).
Die Songs: Offenheit und Ehrlichkeit
Der Opener „THINGS BEHIND THINGS BEHIND THINGS“ entstand bereits 2020, als Vernon am Tiefpunkt seiner Krise war. Es ist ein Lied über das Erkennen und Auseinandersetzen mit den eigenen Dämonen. Die Entstehung dieses Tracks war für Vernon selbst eine Überraschung, eine Reflexion über das Zerpflücken der eigenen Kontexte.
„S P E Y S I D E“ entstand 2021 während einer Phase der Reflexion in Key West. Es ist der vielleicht intimste Song der EP, so aufgenommen, dass man das Gefühl hat, direkt in die Gitarre hineinzuhören. Der Song ist eine Entschuldigung an zwei Menschen, die ihm wichtig sind und die er verletzt hat. Hier gibt Vernon die Rätselhaftigkeit vergangener Alben auf und spricht direkt und unverblümt über Schuld und Reue.
ACT DES MONATS
Das abschließende „AWARDS SEASON“ ist der jüngste der drei Songs, geschrieben bei langen Spaziergängen um den Lake of the Isles in Minneapolis. Es ist ein Lied über das Bilanzziehen nach einer schmerzhaften Veränderung, über die Unmöglichkeit, die Vergangenheit ungeschehen zu machen. „I really damn been on such a violent spree“, gesteht Vernon, und damit fasst er das zentrale Thema der EP zusammen: die Auseinandersetzung mit den eigenen Abgründen.
SABLE: Eine ungeschönte Bestandsaufnahme
„SABLE“ ist der Name eines dunklen, fast schwarzen Farbtons, und treffender könnte der Titel für diese EP nicht sein. Die drei Songs sind Projektionen von Vernons innerer Dunkelheit und spiegeln die Last wider, die er in den letzten Jahren mit sich herumgetragen hat. Doch gleichzeitig ist „SABLE“ auch ein Akt der Befreiung, ein Versuch, den Schmerz zu verarbeiten und loszulassen. Bon Iver zeigt sich hier so offen und verletzlich wie noch nie – ein mutiger Schritt, der die Hörer*innen direkt ins Herz trifft.
Bon Iver: Biografie
Bon Iver ist das musikalische Projekt von Justin Vernon, einem amerikanischen Sänger, Songwriter und Produzenten. Mit seiner einzigartigen Mischung aus Folk, Indie-Rock und experimentellen Klängen hat Bon Iver seit der Veröffentlichung seines Debütalbums im Jahr 2007 eine beeindruckende Karriere hingelegt. Vernons Fähigkeit, intime, oft melancholische Geschichten mit innovativer Musikproduktion zu verweben, hat ihn zu einem der einflussreichsten Künstler des 21. Jahrhunderts gemacht.
Die Anfänge: „For Emma, Forever Ago“ (2007)
Die Geschichte von Bon Iver beginnt in einer abgelegenen Hütte in den Wäldern von Wisconsin. Nachdem sich Vernons frühere Band DeYarmond Edison 2006 aufgelöst hatte und er sowohl eine persönliche als auch eine berufliche Krise durchlebte, zog er sich in die Wildnis zurück. In der Einsamkeit dieser Hütte schrieb und nahm Vernon innerhalb von drei Monaten das Album „For Emma, Forever Ago“ auf, das 2007 als Selbstveröffentlichung erschien.
Das Album, geprägt von minimalistischen Arrangements, Vernons falsettartiger Stimme und Texten, die von Herzschmerz und Isolation handelten, entwickelte sich schnell zu einem Kritikerliebling. Songs wie „Skinny Love“ und „Re: Stacks“ wurden zu Hymnen einer neuen Generation von Indie-Folk-Fans. Die rohe, emotionale Kraft des Albums machte Bon Iver über Nacht zu einem Namen in der Indie-Musikszene.
Der Durchbruch: „Bon Iver, Bon Iver“ (2011)
Nach dem Erfolg von „For Emma, Forever Ago“ ging Bon Iver auf Tour und erweiterte das Projekt zu einer vollständigen Band. 2011 folgte das zweite Album „Bon Iver, Bon Iver“, das einen deutlichen Stilwechsel markierte. Während das Debütalbum noch stark von der Akustikgitarre und den kargen Arrangements geprägt war, präsentierte sich das zweite Album als eine vielschichtige, orchestrale Klanglandschaft.
„Bon Iver, Bon Iver“ erhielt begeisterte Kritiken und gewann 2012 zwei Grammy Awards, darunter den Preis für das „Best New Artist“. Das Album enthält Hits wie „Holocene“ und „Beth/Rest“ und wird oft als Meisterwerk der Indie-Musik angesehen. Es zeigte Vernons Wachstum als Musiker und Produzent, da er eine Vielzahl von Instrumenten und eine komplexe Studioproduktion einsetzte, um ein dichtes, atmosphärisches Album zu schaffen.
Kollaborationen und neue Horizonte
In den Jahren nach „Bon Iver, Bon Iver“ arbeitete Justin Vernon mit einer Vielzahl von Künstlern zusammen, darunter Kanye West, James Blake und The National. Besonders seine Zusammenarbeit mit Kanye West auf dem Album „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ (2010) brachte ihn in den Mainstream. Vernons Beitrag zu Tracks wie „Monster“ und „Lost in the World“ zeigte seine Vielseitigkeit und seinen Einfluss auf die Popmusik.
Diese Kollaborationen führten auch zu einer Expansion seines musikalischen Ausdrucks. Er gründete das experimentelle Projekt Volcano Choir, dessen Album „Repave“ (2013) eine weitere Facette von Vernons kreativer Vision zeigte. Außerdem trat er bei verschiedenen Musikfestivals auf und trug dazu bei, die Musikszene in seiner Heimatstadt Eau Claire, Wisconsin, durch das Eaux Claires Music & Arts Festival zu beleben.
Experimentelle Phase: „22, A Million“ (2016)
2016 veröffentlichte Bon Iver sein drittes Album „22, A Million“, das als radikale Abkehr von seinen vorherigen Arbeiten gilt. Das Album ist durch elektronische Experimente, verzerrte Vocals und kryptische Texte geprägt, die eine neue, abstrakte Phase in Vernons Schaffen markieren. Titel wie „33 ‘GOD’“ und „10 d E A T h b R E a s T ⚄ ⚄“ zeigten, dass Vernon bereit war, musikalische Konventionen zu brechen und neue Wege zu erkunden.
Obwohl das Album polarisiert, wurde es von vielen Kritikern als mutige und innovative Weiterentwicklung gelobt. „22, A Million“ etablierte Vernon endgültig als einen der einflussreichsten Künstler seiner Generation, der bereit ist, Risiken einzugehen und sich immer wieder neu zu erfinden.
Rückkehr zur Intimität: „i,i“ (2019)
Mit „i,i“ (2019) kehrte Bon Iver teilweise zu den organischeren Klängen seiner früheren Werke zurück, ohne jedoch die experimentellen Elemente von „22, A Million“ zu verlieren. Das Album, das als der vierte und abschließende Teil eines thematischen Zyklus betrachtet wird, kombiniert warme, analoge Klänge mit digitalen Texturen.
Songs wie „Hey, Ma“ und „Faith“ reflektieren Vernons komplexe Gefühlswelt und seine Gedanken zu Themen wie Identität, Gemeinschaft und dem menschlichen Dasein. „i,i“ erhielt erneut breite Anerkennung und bestätigte Bon Ivers Status als einer der führenden Innovatoren in der modernen Musik. So einflussreich, dass ihn sogar Taylor Swift zum Songwriting für ihre Alben „folklore“ und „evermore“ bat.
Aktuelle Entwicklungen: „SABLE“ (2024)
Im Jahr 2024 veröffentlichte Bon Iver die EP „SABLE“, die sich als ein äußerst persönliches Werk herausstellte. Nach einer Phase der tiefen persönlichen und künstlerischen Krise zog sich Vernon wieder auf seine musikalischen Wurzeln zurück. Die EP ist geprägt von reduzierten Arrangements, die vor allem seine Stimme und Gitarre in den Vordergrund stellen. Sie zeigt eine neue Seite von Vernon, der sich mit Themen wie Schuld, Reue und Heilung auseinandersetzt.