Der Dortmunder Rapper Schlakks über seine große Liebe zum HipHop und den Grund, warum er auch heute noch relevant ist.
Von Frederik Schreiber aka Schlakks
Wenn ich in Interviews darauf angesprochen werde, wie ich zum Hip Hop gekommen bin, spule ich meist reichlich automatisiert etwas von deutschsprachigem Rap der Nullerjahre, Faszination für Sprachgewalt und dem Drang des Selbermachens herunter. In der Regel langweilige ich mich dabei selbst zutiefst – und wenn ich später das Interview lese, tut mir die spröde Antwort leid.
Zweifellos: Sie ist ein Teil der Wahrheit. Aber wenn ich mir daraus hervorgehend dann nochmal die Frage stelle, warum ich eigentlich wirklich zum Hip Hop gefunden habe – und vor allem: warum ich bis heute bei ihm geblieben bin, dann denke ich, dass meine floskulierte Antwort diesem Phänomen lange nicht gerecht wird.
Um das hier schonmal klarzustellen: Hip Hop hat seit Beginn meiner Jugend bis heute einen gigantischen Einfluss auf nahezu alle Bereiche meines Lebens und maßgeblich mein Leben mitgeprägt. Dennoch: Ein Teil des Selbstverständnisses in meiner Beziehung mit Hip Hop geht mit einer – vielleicht nahe liegenden, aber doch diffusen – Distanzierungshaltung einher, die mich bis heute begleitet. Und dabei rede ich nicht von der vermeintlichen Abgrenzung gegenüber bösen Gangsterrappern (ich kann es nicht mehr hören). Vielmehr geht es mir darum, dass ich mich nicht eingrenzen lassen will, weil ich denke, dass ich gewisse Werte auch ohne Hip Hop leben kann. Auch steckt darin vermutlich die Sorge einer Vereinnahmung, eine vielleicht ideologiekritische Angst vor der Überstülpung konkreter Zuschreibungen und Regelwerke. Denn in meinem Hip-Hop-Begriff schwingt ‚anything goes‘ genauso mit wie Freiheit, die Chance von Anarchie und die Loslösung von Hype und Fremdbestimmung. Wahrscheinlich deswegen reproduziere ich mein Verständnis von Hip Hop nur in sehr seltenen Fällen durch meine Texte auf der Bühne. Rap spielt in meinen Songs eine untergeordnete Rolle. Für mich erscheint es mehr Hip Hop, die Texte mit frischem Inhalt zu füllen als nur zu erklären, was ich hier gerade mache und was das mit Hip Hop zu tun hat. Trotzdem erscheint mir meine Haltung dabei selbst oft wie eine innere Distanzierung, in der die Idee mitschwingt, dass ich Hip Hop nicht zwingend brauche, um meine Ideen in die Welt zu tragen. Dass ich den freien Gedanken liebe und mir kein Korsett überstülpen lasse.
ACT DES MONATS
Aber ist das wirklich so? Hätte ich Hip Hop für all das nicht gebraucht?
Das bezweifle ich sehr. Schauen wir uns die Sache mal an.
Wir sehr ich die Kunst des MCings liebe, wäre einen eigenen Artikel wert. Die Interaktion und das Verfließen mit der Crowd, call and response – all das ist tief in der DNA jeder meiner Liveshows. Die Elektrisierung des Moments, diese pure Gegenwart hat eine unglaubliche Kraft, von der ich glaube, dass sie sehr tief in Herz und Seele rein reichen kann – dahin, wo wir im Alltag selten hinkommen. Und ja: natürlich findest du auch in Liveshows abseits des Raps ähnliche Elemente (und sowieso natürlich im Jazz, Soul und Funk). Doch diese ausufernde, gemeinsame Feier des Moments ist im Hip Hop sehr fokussiert, bewusst und energetisch. Weshalb ich auch immer noch glaube, dass ein guter Freestyle die Königsdisziplin ist (deswegen fallen uns all die schlechten Freestyles wahrscheinlich so besonders auf). Respekt an alle guten Freestyle-MCs da draußen. Ich gehöre übrigens nicht dazu.
Dieses Verständnis des MCings hat für mich dann auch weniger mit Ego zu tun als mit Unity. Queen Latifahs Unity ist wahrscheinlich einer der besten Raptracks überhaupt. Unity, die Einheit, hat für mich im Hip Hop – na, und eben auch gesellschaftlich – eine sehr große Bedeutung. Und als ich letztens las, dass Hip-Hop-Fans tendenziell sozialer orientiert und darauf aus sind, Verbindung mit anderen Menschen herzustellen – da leuchtete mir das schon sehr ein. Die Sache mit der Crew und der Freundschaft fand ich im Hip Hop schon immer ziemlich geil.
Aber was hat Hip Hop mir noch gegeben?
Es ist ein schmaler Grat zwischen Traditionalismus und Geschichtsvergessenheit. Ich glaube, du musst nicht die umfassende Geschichte von Hip Hop kennen, um einen guten Rapsong zu schreiben. Wenn ich Rap-Workshops für Jugendliche gebe, verliere ich mich nicht so sehr in der Theorie, sondern versuche das Spielerische sprechen zu lassen: direkt texten, rappen. Im Verlauf dessen finden wir Möglichkeiten, darüber zu sprechen. Ich glaube, das kann Hip Hop ganz gut. Dieses Ding mit dem Empowerment und dem Selbermachen. Und den Punchlines.
Aber ey: knowledge ist natürlich auch king. Und deswegen finde ich persönlich es natürlich wichtig, die Historie von Hip Hop zu kennen. Denn das Kennenlernen der Kultur gab mir mehr Sensibilität für Rassismus und Polizeigewalt. Sie ermöglichte mir das Verlassen meiner mittelschichtigen Bubble – ja: wir müssen über Klassismus reden, eigentlich den ganzen Tag. Klassismus hat mein Aufwachsen geprägt – und Hip Hop hat mir schon Sensibilität dafür auf den Weg gegeben, als es das woke Milieu noch nicht gab. Sicher ist in meinem Hip-Hop-Begriff deswegen auch sehr stark die Idee integriert, nicht nach unten zu treten. Und deswegen schäme ich mich nicht nur für sexistische Lines aus meinen Anfangstagen, sondern genauso für Lines, in denen ich mich selbstgerecht über vermeintliche ‚Prollos‘ und ‚Assis‘ erhob. Das war nicht Hip Hop. Im Gegenteil verdeutlichen all diese Punkte eigentlich nur ganz deutlich, dass ich als weißer Rapper eine Verantwortung habe, mit dieser Kultur nicht unachtsam umzugehen. Mich nicht zu erheben, sie mit Respekt zu behandeln und im Selbstverständnis jederzeit antirassistisch und machtkritisch zu sein. sein. Wie die gute Presslufthanna auf „So nämlich“ rappt:
„Wir sind weiße Ärsche, also Gäste in dieser Kultur, Doch die meisten von uns Weißen bleiben stumm oder stur“
Auch Macklemore hat dazu letztens etwas Schlaues gesagt. Ja, ich bin ein Gast in dieser Kultur und würde gerne ein guter Gast sein.
Und was ist jetzt mit Realness und Authentizität? Diese Begriffe sind für mich mit den Jahren aufgrund ihres inflationären und vor allem hanebüchenen Gebrauchs zu Worthülsen verkümmert – das hat Fatoni ja auch mal ganz gut aufgegriffen. Und so sehr ich Megaloh liebe und ihn für einen der besten MCs dieses Landes halte, so wenig glaube ich allerdings, Hip Hop wäre die „einzige Mucke, wo man das, was man sagt, auch verkörpern muss“. Ich verstehe den Ansatz dahinter, sehe aber im Alltag des Hip Hop wenig Punkte, die dafür sprechen. Eher habe ich das Gefühl, dass den meisten Rappern das ziemlich egal ist und auch die Hörer:innen eigentlich oft nur gut unterhalten werden wollen.
Keine Frage: Natürlich finde ich so viele Entwicklungen im heutigen Rap-Kosmos grauenvoll. Andererseits wünsche ich mir, dass Hip Hop sich immer weiterentwickelt und formt. Das ist wichtiger als Nostalgie. Und so vieles aus der vermeintlich guten alten Zeit ist vielleicht wirklich das, was wir gemeinhin als ‚hängen geblieben‘ bezeichnen. Die Diskussion um Auto-Tune ist mir scheißegal. Macht, wenn ihr Bock habt. Kickt meinetwegen genauso seit zwanzig Jahren die gleichen Oldschoolflows. Das finde ich maximal ein klein bisschen hängen geblieben. Wirklich hängen geblieben ist es für mich die gleiche Mackerhaftigkeit wie damals durchzuziehen, weil Hip Hop da ja schon immer so war. Hip Hop weiterhin für ein Jungs-Ding zu halten. Hängen geblieben ist für mich der engmaschige Spott über eine vermeintlich dumme Ausdrucksweise (mitunter einfach nur, weil du die Sprache nicht verstehst). Und ja, hängen geblieben ist für mich auch das völlig unkritische Abgefeiere von Marken und Konsum im Allgemeinen (ich weiß, dünnes Eis). Hängen geblieben ist für mich nach unten auszuteilen à la AFD. Finde ich persönlich alles nicht so Hip Hop.
Als die Landtagswahlen im letzten Jahr näher rückten, habe ich mich zum ersten Mal genauer mit dem Parteiprogramm von „Die Urbane. Eine Hip Hop Partei“ befasst. Ich muss gestehen: Auch hier war meine erste innere Reaktion die ironisierende Distanzierung. Bei näherer Betrachtung allerdings war ich überrascht, wie sehr die Ideen, Werte und Forderungen der Partei meinem eigenen Weltbild und auch meiner politischen Haltung entsprechen. Hip Hop, so wie die Partei ihn versteht, fordert eine völlige Neustrukturierung der Gesellschaft. Ich glaube zwar immer noch, dass der Zusatz der „Hip Hop Partei“ für Menschen außerhalb der Szene sicher ein Ausschlusskriterium an der Wahlurne ist – andererseits kann ich, gerade beim Schreiben dieses Artikels, sehr gut verstehen, warum das Unterstreichen des Hip-Hop-Begriffs ihr wichtig erscheint.
Wenn ich all das rekapituliere, finde ich es in gewisser Form dreist, mich von Hip Hop zu distanzieren. Und deswegen wurde mir gerade in den letzten Jahren meine Dankbarkeit für diese Kultur nochmal bewusst. Und nach 20 Jahren ist es wirklich mal Zeit zu sagen:
Danke Hip Hop. Du bist ein Teil dessen, was ich bin.
Hip Hop hat nicht mein Leben gerettet und ich lebe auch nicht für Hip Hop. Aber so weit weg davon, wie ich selbst manchmal behaupte, ist es dann auch nicht. Und auch, wenn ich die Worte nur schreibe und nicht rappe, kann Hip Hop immer ein Teil davon sein – ohne, dass ich dabei eine Zwangsläufigkeit sehe, diese Dinge als „Hip Hop“ zu markieren. Wenn einige Dinge, die ich mache, nicht Hip Hop sind, ist das auch völlig okay. Das ist mein Hip Hop. Es ist Teil der Idee, das deine Idee sich vielleicht anders formt. Ob ich wegen Hip Hop ein besserer Mensch geworden bin, weiß ich nicht (wäre ja noch schöner!). Aber Hip Hop hätte das Potential dazu. Er ist ein bisschen meine Heimat und irgendwie auch meine Wahlfamilie. Und wenn Kollege Yuto in einem seiner neusten Kunstfabriksongs rappt „bleibt Hip Hop für mich, dass man jeden Menschen respektiert.“, dann finde ich das schon ziemlich gut. Klar, dafür brauchen wir Hip Hop im ersten Moment nicht zwangsweise. Aber durch ein tiefes Durchdringen der Hip Hop Kultur kommen wir der Sache ganz sicher sehr nah.
Der Dortmunder Rapper Schlakks betreibt poetisch-partyerprobten Rap für zweifelnde Begeisterte und die, die es mal werden wollen. Auf der Suche nach den letzten Inseln der Freiheit ist er vor allem als Live-MC bekannt. Gemeinsam mit seinen Kompagnons Opek und Razzmatazz hat er in den letzten Jahren unzählige Festivalbühnen und Clubs abgerissen.