Unglaublich, aber wahr: Clint Eastwood ist jetzt 93 Jahre alt. Wir gratulieren mit einer Liste der besten Filme des großen Knurrers.
Nein, er ist nicht der beste Schauspieler der Welt und auch als Regisseur kein Genie. Was aber das Charisma angeht, hat niemand eine Chance gegen den am 31. Mai 1930 in San Francisco geborenen 1,93-Meter-Lulatsch. Und eben das macht eine Leinwaldikone aus. Fällt der Name Eastwood, hat man sofort Bilder im Kopf. Das verächtliche Zähneblecken aus dem Mundwinkel heraus, das in Stein gemeißelte Gesicht, der staksige, lange Schritt, die hochaufgerichtete Figur. Wem außer Eastwood würde man es zutrauen, im Alleingang alle Bösewichte dieser Welt zu bestrafen, wenn’s sein muss, mit bloßen Fäusten? Er ist der Mann, dem man vertraut. Und mit dem man sich besser nicht anlegt.
Die meisten Action- und Westernstars, siehe John Wayne, haben im Alter das Problem, dass ihnen niemand mehr den eisenharten Hund abkauft. Nicht so Eastwood. Denn in seinen Spätwerken demontierte er sein Image mit bemerkenswerter Selbstironie. Zudem, das betrifft die komplette Karriere, arbeitete er mit ungewöhnlichen Rollen immer wieder gegen die Klischees an.
Eastwoods Aufstieg kam nicht über Nacht. In den 50ern hatte er sich als Nebendarsteller durchgeschlagen, bevor er einen größeren Part in der TV-Westernserie Rawhide (ab 1959) ergatterte. Der entscheidende Karriereschritt folgte im Jahr 1964, als Sergio Leone dem jungen – und damals noch günstigen – Schauspieler die Hauptrolle im Italowestern „Für eine Handvoll Dollar“ anvertraute. Gedreht wurde überwiegend in Spanien. Niemand setzte einen Pfifferling auf das B-Movie. Viele Kritiker hatten nur Spott übrig: Italiener machen Western. Umso überraschender war der große Erfolg. Der hatte nicht zuletzt mit Eastwoods Präsenz zu tun. Die Rolle als zigarillorauchender, ebenso einsamer wie schweigsamer Reiter nahm man ihm sofort ab.
Danach gab’s zwei weitere, deutlich gelungenere Western mit Leone, die ordentlich Geld in die Kassen spülten: „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) und „Zwei glorreiche Halunken“ (1966). Doch Europa ist nicht Hollywood. Um sich in seiner Heimat durchzusetzen, benötigte Eastwood Durchhaltevermögen. Und Glück: Mit Regisseur Don Siegel, dessen lakonischer Stil wie angegossen zum Darsteller passte, fand er einen neuen Mentor. Fünfmal arbeitete das Duo zusammen. Der wichtigste Film für Eastwood in den USA war „Dirty Harry“ (1971), die reaktionäre Mutter aller modernen Actionfilme. Damit avancierte der Schauspieler zum Superstar. Im selben Jahr hatte er mit „Sadistico“ auch seine erste Regiearbeit vorgelegt.
ACT DES MONATS
Es folgte eine lange Karriere mit Hits und Flops. Als exzellenter Geschäftsmann hat Eastwood die selbst gegründete Produktionsfirma Malpaso zum Goldesel gemacht. Seit vielen Jahren tritt der Schauspieler fast ausschließlich in eigens inszenierten Filmen auf, manchmal schreibt er sogar die Musik. Als Regisseur ist der Traditionalist stark von Siegel geprägt. Gezeigt wird lediglich das, was unbedingt nötig ist. Eastwood verwendet fast nur First Takes.
Endgültig am Gipfel kam er mit seinem Western „Erbarmungslos“ (1992) an, der unter anderem mit den Oscars für den besten Film und die beste Regie ausgezeichnet wurde. Die gleichen Auszeichnungen, diesmal mehr als diskutabel, gab es für das Boxerinnen-Drama „Million Dollar Baby“ (2004).
Clint Eastwood, ein überzeugter Republikaner, der von 1986 bis 1988 als Bürgermeister der kalifornischen Kleinstadt Carmel-by-the-Sea fungierte, ist ein Arbeitstier. Sein bislang letzter Film, erneut als Regisseur und Hauptdarsteller, heißt „Cry Macho“ und stammt aus dem Jahr 2021. Eastwood war 91 Jahre alt. Kommt da noch was? Diesem Mann ist es zuzutrauen, falls die Natur nicht vorher zuschlägt. Wir blicken auf seine zehn besten Filme zurück.
10. Gran Torino (2008, Regie: Clint Eastwood)
Dieser stockkonservative Film strotzt vor Klischees: Ein verbitterter alter Koreakriegsveteran (Eastwood) wird von seinem Rassismus geheilt, weil er dem Charme einer knuffigen asiatischstämmigen Nachbarsfamilie erliegt. Und nicht von seinem Rassismus geheilt, weil es auch böse Asiaten gibt, die sich nicht an amerikanische Regeln halten. Melancholie und trockener Humor heben das Werk dennoch über das Mittelmaß hinaus. Eastwoods Darstellung der Hauptfigur Walt Kowalski ist eine der schönsten seiner Karriere. Den Schlusssong raunt der Meister höchstpersönlich.
9. Sadistico (1971, Eastwood)
Eastwoods Regiedebüt ist schon deshalb bemerkenswert, weil es das Heroenimage des Schauspielers konterkariert. Als Radio-DJ Dave Garver spielt er zwar einen Mann, der sich seines großen Sexappeals bewusst ist. Doch Selbstgefälligkeit wird der Figur fast zum Verhängnis. Blind stürzt sich Garver in eine Affäre mit einer Frau, die sich als Psychopathin herausstellt. Der Thriller hat einige Brüche, berüchtigt ist eine schwülstige Softpornoszene. Dennoch ist die Reputation des Werks in den vergangenen Jahren gestiegen. Zu Recht. Drollig: Eastwoods Mentor Dons Siegel spielt eine kleine Rolle als Barkeeper.
8. Coogans großer Bluff (1968, Don Siegel)
Ein Kleinstadtbulle kommt nach New York, um einen Gauner abzuholen und zurück nach Arizona zu bringen. Der sture Cowboy richtet in der Metropole allerlei Unheil an, bezirzt Frauen und zeigt kiffenden Hippies, was eine Harke ist. Das zutiefst reaktionäre, knochentrockene Werk war die erste Zusammenarbeit von Eastwood mit Don Siegel. Action und (sexistischer) Humor wechseln sich hübsch ab. Der Film ist ein Paradebeispiel für Eastwood in der Rolle eines Mannes, der auch nach Rückschlägen unerschütterlich bleibt und kräftig auf die Pauke haut.
7. Die Brücken am Fluss (1995, Eastwood)
Clint Eastwood in einem Rührstück? Kann nicht funktionieren. Mit „Die Brücken am Fluss“ bewies er als Regisseur und Hauptdarsteller das Gegenteil. So zart und verletzlich hat man Eastwood weder vorher noch nachher gesehen. Als Fotograf und Weltenbummler Robert Kincaid kommt er ins Niemandsland nach Iowa und beginnt eine zärtliche Affäre mit einer frustrierten Frau, deren Los es ist, das Leben auf einer abgeschiedenen Farm zu verbringen. Meryl Streep spielt Francesca Johnson, hin- und hergerissen zwischen Familienpflicht und Abenteuerlust, atemberaubend gut. Und Eastwood gelingt das Kunststück, offensichtlich angestachelt von der Brillanz seiner Leinwandpartnerin, ebenfalls.
6. Betrogen (1971, Siegel)
Diese Parabel über Eifersucht und Männlichkeit ist der ungewöhnlichste Film, den das Duo Siegel/Eastwood gedreht hat. Während des amerikanischen Bürgerkriegs wird der verwundete Corporal John McBurney (Eastwood) von den Bewohnerinnen eines Mädchenpensionats gesund gepflegt. Er fühlt sich im Schlaraffenland, mit fatalen Konsequenzen. Zeitweise wirkt der Film wie ein Fiebertraum. „Betrogen“ blieb lange obskur und zählt bis heute nicht zu den bekannten Werken Siegels und Eastwoods. Das ändert sich hoffentlich.
5. Flucht von Alcatraz (1979, Siegel)
Gefängnisfilme sind ein eigenes Genre, und dieser gehört zum Kanon. Für ihre letzte Zusammenarbeit widmeten sich Siegel und Eastwood einer wahren Geschichte. Frank Morris war 1962 zusammen mit den Brüdern John und Clarence Anglin die Flucht von der Gefängnisinsel Alcatraz gelungen. Ob sie es mit ihren aus Regenjacken gefertigten Schwimmwesten wirklich an Land schafften, blieb ungeklärt. Der Wahrheitsgehalt des Films dagegen dürfte bei wenigen Prozent liegen. Clint Eastwood spielt Morris als einen Ehrenmann, der sich in Gefängnissen bewegt wie der Fisch im Wasser. Spielerisch meistert er, immer einen coolen Spruch auf Lager, alle Extremsituationen. So wird es nicht gewesen sein. Genau das macht „Flucht von Alcatraz“ aber so unterhaltsam.
4. Dirty Harry (1971, Siegel)
Kaum ein Film hat das Actiongenre so geprägt wie dieser. Alle späteren Werke, in denen ein einsamer Wolf das Gesetz in die eigenen Hände nimmt, um gegen das Böse zu kämpfen, sind direkt oder indirekt von Dirty Harry beeinflusst. Warum steht er dann nicht auf Platz eins der Liste? Weil er etwas schlecht gealtert ist. Aus heutiger Sicht wirken die Actionszenen zahm, zudem ist der Film sehr langsam inszeniert. Sehenswert ist er freilich immer noch: Inspektor Harry Callahan kämpft verbissen und sogar mit Foltermethoden gegen einen psychopatischen Killer. Der begeht fast alle Straftaten, die es so gibt: Mord, Körperverletzung, Entführung, Raub, Erpressung. Andy Robinson spielt den „Skorpion“ furchterregend intensiv. Bei seinem Erscheinen wurde „Dirty Harry“ von einigen Kritiker:innen als faschistisch bezeichnet. Das geht zu weit. Dennoch ist der Film alles andere als linkspolitisch geprägt. Was er mit späteren Actionstreifen, vor allem in den 80ern, gemeinsam hat. Nach der Dollar-Trilogie mit Sergio Leone markierte „Dirty Harry“ für Eastwood den zweiten Wendepunkt in seiner langen Karriere.
3. Erbarmungslos (1992, Eastwood)
Der oscarprämierte Spätwestern ist das beste Werk des Regisseurs Eastwood. Der alternde ehemalige Outlaw William „Bill“ Munny (Eastwood), einst berüchtigt als brutaler Mörder, wurde von seiner Frau auf den rechten Weg gebracht. Nun ist sie gestorben, und die Farm, die Munny mit den beiden kleinen Kindern bewirtschaftet, wirft viel zu wenig ab. Also nimmt er doch wieder einen Job als Kopfgeldjäger an. Gemeinsam mit seinem alten Kumpel Ned Logan (fabelhaft: Morgan Freeman) und dem fast blinden jungen Großmaul Schofield Kid (Jaimz Woolvett) soll er zwei Männer bestrafen, die eine Prostituierte übel zugerichtet haben. Viel geht schief und führt dazu, dass Munny sich am Ende doch wieder ganz in sein früheres Ich flüchtet. Es ist ein wehmütiger Film über Gewalt und Moral, der Eastwood da gelungen ist. Großen Schauwert hat Gene Hackman als zynischer Sheriff Little Bill Daggett.
2. Für ein paar Dollar mehr (1965, Sergio Leone)
Clint Eastwood und Lee Van Cleef in einem Italowestern: ein Traumduo. Im zweiten Film von Leones Dollar-Trilogie spielen sie Kopfgeldjäger, die eine Partnerschaft eingehen, um den Galgenvogel El Indio (Gian Maria Volonté) und seine Bande zur Strecke zu bringen. 10000 Dollar Prämie sind auf Indios Kopf ausgesetzt. Es beginnt ein detailreiches, ideensattes Katz-und-Maus-Spiel. Eastwood wirkt in seinem Poncho und mit Zigarillo im Mundwinkel noch ikonischer als im ersten Teil. Hager, wortkarg, listenreich, gefährlich. Wie Pfeifenraucher Douglas Mortimer (Van Cleef) ein Streichholz am Buckel eines Halunken entzündet, um sich die Pfeife anzustecken, gehört zu den vergnüglichsten Momenten des Films. Klar: Der Halunke wurde gespielt von Klaus Kinski.
1. Zwei glorreiche Halunken (1966, Leone)
Der beste Italowestern überhaupt ist gleichzeitig der beste Eastwood-Film. Der Triumph hatte auch mit Geld zu tun: Nach den sehr erfolgreichen ersten beiden Dollar-Filmen dufte Leone endlich mit großem Budget drehen. Er nutzte es unter anderem für wuchtige Schlachtengemälde. Die Geschichte ist ambitioniert verzwickt, obwohl es vordergründig nur um drei Typen geht, die sich einen geraubten Goldschatz unter den Nagel reißen und die anderen ausstechen wollen. Der internationale Verleihtitel „The Good, the Bad and the Ugly“ passt im Gegensatz zum deutschen – wie so oft – wirklich zum Film. Clint Eastwood, in gewohnten Klamotten, spielt den guten „Blonden“, Lee Van Cleef den bösen „Sentenza“ und Eli Wallach den hässlichen „Tuco“. Wobei es, Leone hatte Humor, selbstverständlich keinen Guten gibt und alle Figuren durchtrieben hässlich sind.
Im Gegensatz zu den vor allem unterhaltsamen Vorgängern hatte der Film eine epische Struktur – und Tiefgang. Die Sinnlosigkeit des Krieges wird luftabschnürend in einem Kampf zwischen nord- und südstaatlichen Einheiten um eine unbedeutende Brücke thematisiert. Brillant ist zudem das auf einem Friedhof spielende Dreier-Duell am Ende. Dazu erklingt die ikonische Musik von Ennio Morricone. Besser geht’s nicht, Meisterwerk.