Im Verlauf der 2000er Jahre haben sich Deichkind aus Hamburg zu einer der wichtigsten deutschen Bands entwickelt. Doch kaum jemand weiß, wer hinter den Masken eigentlich steckt. Wir stellen die schrillste Band Deutschlands vor.
„Leider Geil“, „Bück Dich Hoch“, „Remmidemmi“ – an den Songtiteln bzw. Parolen von Deichkind kam in den letzten Jahren wirklich niemand vorbei. Zwischen Hip-Hop und Electro(-punk) hat die Band ihren eigenen „Tech Rap“ etabliert und dabei insbesondere mit den aktuelleren Alben ein erstaunliches Gespür für Hits entwickelt. Ihre Shows sind spätestens seit „Remmidemmi“ legendäre Exzesse.
1997: Dabei war der Anfang für Philipp Grütering (Kryptik Joe), Malte Pittner und Bartosch Jeznach (Buddy Buxbaum) gar nicht so einfach. Denn ironiegeschwängerten Rap auf Plattdeutsch muss man der verbissenen Hip-Hop-Szene im Jahr 1997 erstmal beibringen, beim ersten Konzert bewirft das Publikum die Band mit Tomaten.
2000 schaffen sie jedoch schon den ersten Mainstream-Erfolg mit dem Video zu „Bon Voyage (Feat. Nina MC) vom Debütalbum „Bitte ziehen sie durch“, das auf MTV und VIVA auf Dauerrotation läuft.
2005: Dass Deichkind aber noch längst kein Massenprodukt sind, beweist der Bundesvision Songcontest von Stefan Raab: Mit ihrem abgedrehten Song „Electric Super Dance Band“ landen sie auf Platz 14 von 16. Dennoch bleibt der Auftritt in Silberanzügen und mit seltsamen Posaunisten im Gedächtnis haften. Deutschland ist einfach noch nicht bereit für den wilden Stilmix der Hamburger Band.
2006 erscheint schließlich das Album „Aufstand im Schlaraffenland“ mit dem Klassiker „Remmidemmi“ und etabliert den musikalischen Stil, der später auch für die großen Hits sorgen sollte: Electro- und Disco dominieren, Hip-Hop tritt in den Hintergrund. DJ Phono, bisher Tour-DJ, übernimmt die künstlerische Leitung der Bühnenshows und sorgt maßgeblich dafür, dass Deichkind-Shows zum quietschbunten Happening werden, die alles bisher Dagewesene sprengen.
ACT DES MONATS
Im selben Jahr muss Malte Pittner wegen interner Streitigkeiten die Band verlassen, ein Jahr darauf wird Sebastian Dürre (Porky) zum festen Mitglied. Nur ein weiteres Jahr später gibt auch Buddy Buxbaum überraschend seinen Ausstieg bekannt, weil ihm die musikalische Neuausrichtung nicht gefällt und wird durch den bereits etablierten Rapper Ferris MC alias Ferris Hilton ersetzt. Pittner spielt heute bei der Countryband Texas Lightning mit Olli Dittrich und schreibt Songs für Truck Stop und Annett Louisan. Buxbaum scheiterte bislang mit seiner Solokarriere und hangelt sich nach eigener Aussage seit seinem Ausstieg von Job zu Job.
2009: Im Februar stirbt mit nur 32 Jahren auch noch überraschend Produzent Sebastian Hackert (Sebi), der maßgeblich für den Sound der Band im Studio und auch auf Konzerten verantwortlich war, doch die Band entscheidet sich nach diesen Schlägen trotz Trennungsgedanken dafür, das Projekt trotzdem fortzusetzen. Eine gute Entscheidung, sollten die kommenden Jahre doch die bislang erfolgreichsten der Bandgeschichte werden.
2010 tritt Deichkind beim ersten eigenen Theaterstück namens „Deichkind in Müll – Eine Diskurs-Operette“ in Hamburg auf, auch wenn sich die Band heute nur ungern an die Theaterzeit erinnert. Das enge Theater-Korsett passt nicht zur freien Form, die Deichkind auf ihren Konzerten bevorzugen. Die Band selbst nennt ihre Shows „Kindergeburtstag für Erwachsene“, das Publikum wird dabei stets miteinbezogen, wenn Bandmitglieder beispielswiese mit einem Schlauchboot auf den Zuschauern „crowdsurfen“. Es gibt jede Menge exaltierte Requisiten für den Exzess, wie herumfahrende Podeste, sogenannte Omnipods, die mittlerweile sogar zum Patent angemeldet wurden.
2012: Das Album „Befehl von ganz unten“ der Partymonster schafft es dann sogar bis auf Platz 2 der Charts und etabliert quasi zeitgleich Begriffe wie „Leider geil“ (Österreichs Jugendwort des Jahres 2012) in der Jugend- und Interntsprache.
2015 toppt diesen Erfolg, denn mit „Niveau Weshalb Warum“ erscheint das sechste Album erstmals auf eigenem Label, das direkt auf Platz 1 der deutschen Charts einsteigt. Im Oktober 2018 gibt Ferris MC bekannt, die Band verlassen zu wollen, um sich wieder verstärkt auf seine Solokarriere zu konzentrieren.
Legendär ist das Video zu „Selber Machen Lassen“, in dem die gesamte deutsche Musikszene zu sehen ist, außer Deichkind selbst.
Deichkind verbinden seit jeher Humor und Ironie auf vielleicht einzigartige Weise mit Melancholie und dem nötigen Ernst. Und um dieser Mischung die nötige Energie zu geben, spielen die Live-Shows eine elementare Rolle. Zwischen Genie und Wahnsinn, Kostümparty und Dada-Ansatz hat sich die Band zu einem der besten Live-Acts Deutschlands entwickelt.
2019: Über vier Jahre nach der Veröffentlichung vom bis dato erfolgreichsten Album „Niveau weshalb warum“ gibt es ein neues musikalisches Lebenszeichen der zum Duo geschrumpften Band. Das Video zur Single „Richtig Gutes Zeug“ hat nicht nur Lars Eidinger in der Hauptrolle, sondern dient auch dazu, wieder eine neue Deichkind-Tour für 2020 anzukündigen. Im September 2019 folgt dementsprechend das neue Album „Wer sagt denn das?„.
2023: Nach der Corona-Zwangspause veröffentlichen Deichkind das Album „Neues vom Dauerzustand“, zu dessen Titel sie vom gleichnamigen Theaterstück von René Pollesch inspiriert wurden. Mit Songs wie „In der Natur“, „Auch im Bentley wird geweint (feat. Clueso)“ oder dem Partysong „Mehr davon (feat. Fettes Brot)“ bleiben Deichkind konsequent unberechenbar. Und darauf kann man sich auch weiterhin verlassen.
Deichkind Mitglieder
Gründungsmitglieder | |
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MC, Musik | Philipp Grütering (Kryptik Joe) |
MC | Malte Pittner (bis 2006) |
MC, Musik | Bartosch „Buddy Buxbaum“ Jeznach (bis 2008) |
Aktuelle Besetzung | |
MC, Musik | Philipp Grütering (Kryptik Joe) |
Regisseur | Henning Besser (DJ Phono, La Perla) |
MC | Sebastian „Porky“ Dürre (seit 2005) |
Ehemalige Mitglieder | |
MC | Sascha Reimann (Ferris MC) (2008–2018) |
Im Musik Podcast „Reflektor“ von Tocotronic-Basser Jan Müller sprechen Porky und Philipp über die wilde Geschichte und die mehrfache Häutung der Band.
Diskografie Deichkind
2000: Bitte ziehen Sie durch
2002: Noch fünf Minuten Mutti
2006: Aufstand im Schlaraffenland
2008: Arbeit nervt
2012: Befehl von ganz unten
2015: Niveau weshalb warum
2019: Wer sagt denn das?
2023: Neues vom Dauerzustand