Selten hat ein Debütalbum einer jungen Band so viele Verrisse provoziert, wie „Alles Nix Konkretes“ von AnnenMayKantereit. Jetzt folgt Album Nummer 2 und die Band versucht sich darauf am Rip-Off von Reiser und Rilke ohne jedoch allzu sehr in die Tiefe zu gehen: So ist „Schlagschatten“ mehr Semesterarbeit, denn echte Auseinandersetzung mit den Inspirationen.
„Zu harmlos“, „zu bieder“, „zu langweilig“, die Enttäuschung über das mittelmäßige Debütalbum der im Vorfeld extrem gehypten Band AnnenMayKantereit war groß in der deutschen Medienlandschaft. Dass die Kritik teilweise krass überzogen und unfair war, haben wir beschrieben, obwohl auch bei uns das Album eher so „naja“ bewertet wurde.
Die Hoffnung stirbt aber zuletzt und so muss eine solche prägnante Stimme wie die von Henning May einfach nur die richtigen Songs singen und das ganze wird zum Selbstläufer. Ein Rio-Reiser- und Ton Steine Scherben-Album könnte er im Schlaf einsingen und es würde ein riesiger Erfolg werden.
Aber kann er auch eigene Songs, die die Zeit überdauern? Diesen Beweis ist Henning May bisher noch schuldig geblieben. Sein bester Beitrag bisher war der für eine Single von K.I.Z., während die bandeigene Hitsingle „Pocahontas“ auf dem diesjährigen Oktoberfest rauf und runterlief und für manche schon unter die Kategorie Schlager fällt.
Auch der erste offizielle Song des neuen Albums „Weiße Wand“ überzeugt trotz politischen Inhalts nicht. Zu vage und fast schon kleinlaut klingt das, was Henning May hier über die großen Begriffe „Flüchtlingskrise“ und „Reichstagsbrand“ singt.
Wie um dieser Kritik gleich mit den ersten Worten die Luft zu entziehen, fängt das Album mit den kraftvollen Worten „Die Vögel scheißen vom Himmel“ an, in dem ein wenig nach Violent Femmes oder Isolation Berlin klingenden sehnsüchtigen Liebeslied „Marie“, das seine Inspiration von Rainer Maria Rilke bezieht und eine Art Rip-Off des berühmten „Panther“-Gedichtes ist. Und auch bereits die zweite Single „Nur wegen Dir“ zeigt, wo die Stärke der Band liegt – in der Emotionalität, nicht in der Intellektualität.
ACT DES MONATS
Noch merkt man AnnenMayKantereit an, dass sie vier Freunde seit der Schulzeit sind, obwohl das vierte Mitglied rätselhafterweise kein Anrecht auf einen Teil vom Bandnamen hat – der sowieso extrem sperrig ist. AnnenMayKantereitLötgering wäre aber wohl doch too much, seit 2014 ist jedoch Malte Huck am E-Bass dabei und Lars Lötgering verließ die Band, aber es wurde auch kein AnnenMayKantereitHuck daraus.
Sei’s drum: AMK wie es einfachheitshalber heißt, machen auch auf ihrem Zweitling jugendlich entspannte bis banale Musik für die WG, das Sommerfest oder die gesellige Bierrunde daheim. Dass das darüber hinaus auch in den riesigen Arenen funktioniert, ist angesichts dieser Kumpelhaftigkeit kein allzu großes Wunder – Komplexität und Kleinteiliges verliert sich auf der großen Bühne nur.
Die Gesellschaftskritik von AMK beschränkt sich so größtenteils auf Luxusprobleme wie das Freizeit- wie Ausgehverhalten zum Beispiel am „Freitagabend“ im genauso betitelten Lied, in dem genauso gegrölt wird wie in den darin besungenen Straßen: Es ist dieses 1:1 von Form und Inhalt, der die Schlichtheit von „Schlagschatten“ ausmacht. Geht es ums Tanzen, liegt ein Tanzrhythmus zugrunde. Geht es um Nachdenkliches, klimpert ein Piano. Geht es ums Feiern, wird gegrölt.
Und so ist es schade, dass es egal ist, ob man letztlich AMK oder AKK sagt, denn wie die Politikerin hinter letzterer Abkürzung ist man stets bemüht, seine Aussagen mit der richtigen Form/Plakat/Flyer/Video zu unterstreichen. Reizvoller wäre es jedoch, wenn Sänger Henning May seine Inspiration Rainer Maria Rilke ernster nehmen würde und sich nicht den Blick versperren lassen würde, indem er sich stets immer nur „im kleinsten Kreis“ dreht.
„Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.“
(Aus Rainer Maria Rilke – „Der Panther“)